Essen. Michael Welling, Vorstandsvorsitzender von Rot-Weiss Essen, äußert sich heute mal nicht zum Fußball, sondern zu einem Zeit-Phänomen: Tattoos.

Hallo, Herr Welling, jetzt bitte mal die Hosen runter, wo sitzen Ihre versteckten Tattoos und was gibt es darauf zu sehen?

Michael Welling: Bei mir ist nichts versteckt, meine Haut ist nackt und klar wie ein Kinderpopo.

Man stelle sich mal vor, der Herr Vorsitzende von Rot-Weiss Essen geht auf eine Vorstandsetage zu Sponsorengesprächen, und ihm würde das Ende eines Drachens aus dem Hemdkragen lugen. Käme vermutlich nicht so gut an, oder?

Welling: Für mich selbst kommt das definitiv nicht in Frage, mir persönlich wäre es allerdings egal und ich glaube, dass sich hier auch die Zeiten verändert haben.

Umgekehrt könnten Sponsoren auch auf die blanke Hals- oder Nackenpartie sowie die nackten Arme des RWE-Bosses aufmerksam werden. Wenn jeder käuflich ist: Wie teuer wäre Ihnen Ihre Haut?

Welling: Ich glaube, ich würde vieles für RWE machen, hier gibt es allerdings Grenzen. Wenn ich es beziffern müsste, würde ich eher über einen ganzen Jahresetat des Klubs reden.

Die Lebensgeschichte des Arturo Vidal – praktisch auf einem Oberkörper.
Die Lebensgeschichte des Arturo Vidal – praktisch auf einem Oberkörper. © imago

Ach, wie spießig, andere Kollegen von Ihnen sind da viel freizügiger, der Hajo Sommers (Präsident von RWO) schlüpft, wenn nötig, sogar in ein Dirndlkleid.

Welling: Ich mache grundsätzlich ja viel Quatsch mit, würde prinzipiell auch wenig ausschließen, aber mit Blick auf unumkehrbare Tattoos bin ich im Herzen dann doch Spießer.

Dabei bewegen Sie sich aber in einer Branche, in der sich nackt vorkommen muss, wer kein Tattoo vorweisen kann. Wieso ist das so?

Welling: Heute ist ein Tattoo ja fast schon etwas Uniformistisches. Individuell und eigenständig ist man wohl eher, wenn man hier seine Haut nicht zu Markte trägt.

Können Sie verstehen, wenn manche Damen oder ältere Herrschaften sich im Stadion entsetzt abwenden, wenn Spieler nach Abpfiff ihren Oberkörper entblößen und den Eindruck erwecken, sie kämen gerade frisch von einem Kreuzzug?

Welling: Das wiederum nicht, jeder soll das machen, was er für richtig hält. Ich glaube, da zeigt sich auch gelebte Toleranz.

Früher galten Tattoos ja als soziales Stigma, so etwas trugen nur Seefahrer oder Ex-Knackis. Besteht in der jungen Bevölkerung eine romantische Sehnsucht nach Knasterfahrung?

Welling: Ich glaube eher, dass es der Ausdruck von Hedonismus ist, und das Tattoos heute eher ein modisches Accessoire darstellen, dass sie eher weniger eine gesellschaftliche Symbolik haben. Vielmehr versuchen diese Menschen, ihren Individualismus zum Ausdruck zu bringen - und dennoch haben alle sehr ähnliche Tattoos.

Gibt es da einen Gradmesser: Je mehr Tattoos auf einem Körper, umso härter die Zweikämpfe auf dem Feld?

Welling: Ich glaube nicht, dass Karl-Heinz Förster und Jürgen Kohler je tätowiert waren – also nein!

Modisch fast so grenzwertig wie ein Tattoo: Michael Welling mit Fanmütze.
Modisch fast so grenzwertig wie ein Tattoo: Michael Welling mit Fanmütze. © Michael Gohl

Manche Zeitgenossen tragen mittlerweile ihre ganze Lebensgeschichte mit sich. Da würde bei einer Bewerbung ein Ganzkörperfoto als Lebenslauf ausreichen.

Welling: Ich würde dann eher dahin gucken, wo nichts ist, um zu erfahren, was die Person noch erreichen und erleben will.

Es erinnert aber auch ein bisschen an Exhibitionismus, eine ähnliche Entwicklung wie diese Flut an Selfies und den Aktivitäten in manchen sozialen Netzwerken. Woher kommt dieser Antrieb, sein Leben nach außen zu kehren?

Welling: Als Wissenschaftler glaube ich, dass wir in einer Zeit leben, wo die meisten materiellen Wünsche erfüllt und Grundbedürfnisse befriedigt sind. Entsprechend geht der Fokus mehr zur Selbstverwirklichung und zum Ich-Erleben. Dazu passt die Gier nach Aufmerksamkeit in sozialen Medien, oder das sich Exponieren vor Kameras sowie der Wunsch, sich durch Kleidung, Tattoos, Piercings, Brandings zu etwas Besonderem zu machen.

Von Ihnen weiß ich, dass Sie während ihrer Unizeit einer von zwei BWL-Studenten waren, der „lange Mähne” trug anstatt Lodenmantel und Ray-Ban-Brille. Haben Sie bei Tattoos nur die Gnade der frühen Geburt?

Welling: Mein Freund und ich wurden tatsächlich als Hippie-BWLer bezeichnet, weil wir vielleicht optisch und von der Einstelllung her nicht dem Klischee des typischen BWL-Studenten entsprachen. Positiv ausgedrückt könnte ich sagen: Es war Ausdruck von eigenem Denken und Unangepasstheit. Tattoos wären aber auch damals für mich nicht in Frage gekommen.

Sie sind ja gerne und länger mal auf Fernreisen, war da nie der Anreiz, sich ein bleibendes Souvenir auf der Haut mitzubringen?

Welling: Meine Angst vor nicht sterilen Instrumenten war gerade in diesen Ländern dominierend. Aber einige meiner Freunde haben es tatsächlich genauso gemacht, angefangen bei Symbolen in Indien bis hin zu springenden Delfinen auf dem Bauch in Mexiko.

Ich glaube ja, die ganze Tattoo-Welle ist weiblich. Mir ist als erstes bei Frauen so richtig das berühmte Arschgeweih aufgefallen, die Stelle war mir früher nur als Maurer-Dekolleté bei sich bückenden Handwerkern bekannt. Wie ging es Ihnen?

Welling: Ich muss gestehen, dass ein ästhetisches Tattoo auf schönen Frauenkörpern durchaus einen Reiz ausübt. Und möglicherweise war das der Ursprung, das Arschgeweih aber ist genauso abschreckend wie das Bauarbeiter-Dekolleté.

Ist es das Privileg der Jugend, heute nicht an später zu denken, wo sich manches Arschgeweih verformt, manche Handschrift eher krakelig wird und die Gesichter sich verzerren werden, wenn die Haut im Alter schrumpeln wird?

Welling: Zum einen ist ja gerade dieses Gefühl der Unverletzlichkeit und des ewigen Lebens in der Tat ein Privileg der Jugend, zugleich sollte man sich aber auch im Alter durchaus eine Form von Unbekümmertheit bewahren.

Da Sie auch als gewiefter Geschäftsmann gelten: Sollte man jetzt in Start-Up-Unternehmen investieren, spezialisiert auf Tattoo- Entfernungen und Hauttransplantationen?

Welling: Ich glaube, dass es dafür schon zu spät ist, einige clevere Leute das schon aufgegriffen und sogenannte First-Mover-Advantages realisiert haben.

Jetzt sind Sie aber auch stolzer Vater und es ist nicht auszuschließen, dass der Sohn oder die Tochter eines Tages mit dem Wunsch nach Conan, dem Barbaren, oder Fury auf der zarten Wade nach Hause kommen, was sagen Sie denen?

Welling: Ich hoffe, dass ich vorher in der Erziehung so viel Einfluss ausgeübt habe, dass dieser Wunsch nicht kommt. Wenn sich meine Kinder aber das RWE-Logo auf die Wade tatöwieren lassen wollen, würde ich die Rechnung übernehmen.