Mönchengladbach. Christoph Kramer gilt seit Jahren als wichtige Stütze der Gladbacher Mannschaft. Ein Gespräch über Borussias Entwicklung und Bayerns Dominanz.
Im Sommer wird Christoph Kramer (30) wieder in eine andere Rolle schlüpfen. Dann wird der Mittelfeldspieler von Borussia Mönchengladbach für ein Millionenpublikum EM-Spiele als TV-Experte im ZDF analysieren. Vorher kämpft der Weltmeister von 2014 mit den Fohlen aber noch um einen internationalen Startplatz. Der Endspurt beginnt am Samstag (18.30 Uhr/Sky) in München.
Herr Kramer, der FC Bayern steht vor der neunten Meisterschaft in Serie. Wie kann wieder Abwechslung ins Titelrennen kommen?
Christoph Kramer: Nach der Verpflichtung von Julian Nagelsmann durch den FC Bayern fehlt mir ein wenig die Fantasie, dass es in Bezug auf die Meisterschaft zu einer ernsthaften Konkurrenzsituation kommen könnte. Leipzig war auf einem sehr guten Weg. Jetzt geht Nagelsmann, der einen sehr großen Anteil daran hatte, nach München. Deswegen geht die Meisterschaft, denke ich, auch in den nächsten Jahren nur über Bayern.
Gladbach hat in dieser Saison schon München, Leipzig und Dortmund geschlagen, ist aber aktuell Siebter. Was fehlt Borussia zu einer Spitzenmannschaft der Liga?
Kramer: Die Liga ist insgesamt enger zusammengerückt. Wir haben de facto gegen die vermeintlich kleinen Mannschaften einfach zu viele Punkte liegen lassen. Aber es gibt auch nicht mehr den klassischen Kleinen, den man einfach so besiegt.
Woran liegt das genau?
Kramer: Wir haben uns in dieser Saison vor allem gegen Mannschaften mit einer Fünferkette in der Abwehr extrem schwer getan. Diese tief stehenden Teams haben uns häufig Probleme bereitet.
Duelle mit Bayern kann Ihre Mannschaft immer mal wieder für sich entscheiden. Gehören die Münchener mittlerweile schon zu Gladbachs Lieblingsgegnern?
Kramer: Es gibt angenehmere Aufgaben, als in München zu spielen. Die Bayern werden auch gerne zu Hause Meister. Sie kommen jetzt auch nicht aus einer Englischen Woche, in der man sie vielleicht mal packen kann, weil sie eine hohe Belastung hatten. Sie hatten am vergangenen Wochenende auch frei, sind ausgeruht. Wir wissen, was da auf uns zugerollt kommt. Uns erwartet eine ganz harte Nummer.
Sie haben in dieser Saison schon mehr als 2900 Pflichtspiel-Minuten absolviert. Was bedeutet Ihnen dieser große Umfang an Einsätzen?
Kramer: Ich freue mich natürlich darüber, dass ich viele Minuten bekommen habe, dass ich viele Spiele gemacht habe. Aber hinten raus merke ich das nun auch. Es ist eine etwas zähe Saison. Wir hatten viele kräftezehrende Phasen, auch abgesehen vom Sportlichen – auch aber nicht nur durch Corona. Es war bei uns zwischenzeitlich einiges los. Das hat ein bisschen Substanz gekostet. Es ist gut, dass man sich jetzt noch auf dreimal 90 Minuten Vollattacke konzentrieren kann und dann erstmal Pause ist.
Auch Ihre Mannschaft befindet sich nun in der Vorphase zum Quarantäne-Trainingslager. Was halten Sie von der DFL-Maßnahme?
Kramer: Wenn man zu dem Schluss kommt, dass es notwendig ist, ist es so gut gelöst. Ich persönlich habe damit kein Problem, weil ich im Verein viele Leute habe, mit denen ich echt gut auskomme. Das hat ein bisschen Jugendherbergs-Charakter. Man ist in der Blase unter sich. So habe ich dann auch nochmal ganz intensiven Kontakt mit Spielern wie Oscar Wendt, der den Verein verlassen wird und mit dem ich lange zusammengespielt habe. So nimmt man das als eine Art Abschiedstour, ohne natürlich die Ernsthaftigkeit in den entscheidenden Spielen zu verlieren. Es geht ja noch um etwas.
Auch Marco Rose wird Gladbach nach der Saison in Richtung Dortmund verlassen. Was nimmt Ihr Team aus der Zeit unter dem Trainer mit?
Kramer: Wir haben uns vorher immer schwer damit getan, hoch anzulaufen, hatten also Probleme, wenn wir zurücklagen, kommen und den Gegner pressen mussten. Häufig war das Spiel dann mehr oder weniger schon verloren. Von den Spielertypen aber auch als Mannschaft haben wir da einen Riesenschritt nach vorne gemacht. Wir können jetzt ein gutes, vernünftiges Pressing spielen durch hohes Anlaufen, haben aber die anderen Facetten, die uns zuvor stark gemacht haben, zugleich nicht vergessen. Das nehmen wir mit.
Im Zuge der Trainersuche wurde über etliche Namen spekuliert. Wie denken Sie nun über die Verpflichtung von Adi Hütter?
Kramer: Es ist zunächst einmal eine Riesenauszeichnung für Gladbach, was da für große Namen im Gespräch waren. Das kommt ja nicht von ungefähr. Man kann sehr auf Max Eberl vertrauen, weil er seit Jahren immer die richtigen Entscheidungen für den Klub trifft. Ich sehe keinen Grund, warum das jetzt nicht der Fall sein sollte. Adi Hütter ist für uns eine sehr gute Personalie.
Wie Rose wechselt auch Hütter aufgrund einer Ausstiegsklausel. Ist es logisch, dass Trainer zunehmend Verträge wie Profis erhalten?
Kramer: Ich habe mich ehrlich gesagt etwas gewundert, dass das erst so spät passiert ist, weil der Trainer eine der wichtigsten Personalien in einem Verein ist. Es ergibt aber auch vollkommen Sinn für Bayern München, Julian Nagelsmann für 25 Millionen Euro zu holen. Wenn man einen Trainer hat, der im besten Fall alle Spieler besser macht, ist das besser, als wenn man zwei neue Spieler kauft.
Kann Hütter dazu beitragen, dass ständig mit Wechselgerüchten in Verbindung gebrachte Spieler wie Denis Zakaria, der den Trainer ja bereits aus Bern kennt, in Gladbach bleiben?
Kramer: Heute ist es nicht mehr so, dass man in der Kabine über seine eigene Zukunft spricht. Aber natürlich spielt der Trainer eine entscheidende Rolle, ob man sich eine weitere Zusammenarbeit vorstellen kann. Wie das in einzelnen Fällen aber aussieht, kann ich nicht beurteilen.
Welche Bedeutung hat personelle Kontinuität in einem Klub?
222 Spiele für Gladbach
Christoph Kramer, geboren am 19. Februar 1991 in Solingen, spielte in der Jugend von Bayer Leverkusen, wo er später zunächst in der Regionalliga-Mannschaft zum Einsatz kam. Der Werksklub verlieh ihn von 2011 bis 2013 an den VfL Bochum. Anschließend spielte Kramer zwei Jahre auf Leihbasis für Liga-Konkurrent Borussia Mönchengladbach. Seit 2016 steht er fest bei den Fohlen unter Vertrag. Im Gladbach-Trikot absolvierte Kramer bislang insgesamt 222 Pflichtspiele.
Kramer: Wenn ein Spieler lange bei einem Verein bleibt, ist das auch ein Ausdruck dafür, dass er sich wohlfühlt, ohne dass es eine negativ behaftete Wohlfühloase ist. Nur wenn man sich wohlfühlt, kann man den besten Sportler aus sich machen, der in einem steckt. Man tritt anders auf in gewissen Phasen, wenn man den Verein im Herzen hat als wenn man ihn nur als Übergangsstation sieht. In schwierigeren Phasen, die während einer Saison bei jeder Mannschaft immer mal wieder vorkommen, entlockt es einem die zwei, drei Willensprozente mehr, wenn man an dem Klub hängt. Kontinuität im Verein wird, meiner Meinung nach, oft unterschätzt.
Sehen Spieler in Gladbach den Verein als Durchgangsstation?
Kramer: Früher mehr als heute. Nico Elvedi zum Beispiel könnte sicher zu einem europäischen Top-Verein wechseln, hat sich aber entschieden, langfristig hier zu bleiben. Gladbach ist nicht mehr die klassische Durchgangsstation, die es vielleicht vor fünf, sechs Jahren mal war. Wenn man früher ein Angebot von einem europäischen Spitzenklub hatte, musste man ernsthaft darüber nachdenken. Mittlerweile ist Gladbach auch finanziell anders aufgestellt. Man hat hier inzwischen auch eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass man im Europapokal spielt.
Sie gelten seit vielen Jahren als wichtige Stütze in Gladbachs Team, haben einen Vertrag bis 2023. Können Sie sich vorstellen, irgendwann auch Ihre Karriere bei Borussia zu beenden?
Kramer: Im Leben kommt zwar vieles nicht so, wie man denkt, aber wenn man mich heute danach fragt: Ja, auf jeden Fall. Ich kann mir ein Karriereende in Gladbach vorstellen.
Ihren ersten Profi-Einsatz hatten Sie 2011 für den VfL Bochum in der Zweiten Liga. Zehn Jahre später ist der Klub auf dem Weg in Bundesliga. Fiebern Sie mit?
Kramer: Ja, volle Kanne! Ich bin momentan richtiger Bochum-Fan.
Was macht Bochum in dieser Saison so stark?
Kramer: Die Bochumer spielen einen gepflegten Fußball. Sie haben zwei für die Zweite Liga außergewöhnlich gute Außenverteidiger, zwei richtig schnelle Innenverteidiger. Die komplette Viererkette kann richtig gut kicken. Hinzu kommen Spieler im defensiven Mittelfeld wie Anthony Losilla oder Robert Zulj auf der Zehn. Sie haben viele Ballbesitzphasen im Spiel, die es in der Zweiten Liga sonst nicht so häufig gibt. Normalerweise ist es da eher ein offenes, ausgeglichenes Kampfspiel. Bochum strahlt gefühlt immer Dominanz aus. Und wenn sie nicht den Ball haben, jagen sie ihn mit viel Fleiß und gutem Pressing und zwingen den Gegner damit zu frühen Ballverlusten. Der VfL Bochum spielt sehr, sehr attraktiven Fußball, steht zu Recht da oben und macht viele Sachen stark in dieser Saison.
Verspüren Sie schon Vorfreude auf ein mögliches Spiel gegen Bochum in der neuen Spielzeit?
Kramer: Ich will es momentan noch nicht zu laut sagen. Aber wenn es dazu kommt, freue ich mich sehr.
2011 hat sich Gladbach gegen Bochum in der Relegation vor dem Abstieg gerettet. In dieser Saison hat Borussia im Achtelfinale der Champions League gespielt. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung?
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Kramer: Das ist eine unfassbare Leistung. Man hatte im Prinzip nichts, stand vor dem Aus. Von der Relegation ins Achtelfinale der Champions League in zehn Jahren zu kommen, ist eine Entwicklung, die es nicht häufig gibt. Das ist eine Summe aus ganz vielen richtigen Entscheidungen. Auch wenn es mal kleine Rückschläge gab, zeigt die Kurve doch kontinuierlich nach oben.
Sie haben 2014 den größten Titel bei der WM in Brasilien gewonnen. Könnten Sie sich vorstellen, noch einmal in der Nationalmannschaft zu spielen?
Kramer: Ich würde nicht sagen, dass ich es mir nicht vorstellen kann. Aber realistisch ist es eher nicht.
Im Sommer sind Sie bei der EM wieder ZDF-Experte, wie schon bei der WM 2018. Sie dürften auch durch diese Tätigkeit einen tieferen Einblick in die Medienwelt bekommen haben. Was halten sie vom heutigen Journalismus?
Kramer: Ich finde das alles sehr spannend. Wobei ich meine, dass sich da auch wieder etwas verändern muss. Heute wird eigentlich kaum noch etwas wirklich Relevantes gesagt. Andernfalls werden die Aussagen sofort ausgeschlachtet und in Zusammenhänge gebracht, die so gar nicht existieren. Das führt dann dazu, dass noch weniger wirklich Relevantes gesagt wird. Und dann hat man bald gar nichts mehr. Das liegt, meiner Meinung nach, gar nicht an den Journalisten und auch nicht an den Spielern, sondern an der Gesellschaft. Wir alle wollen am liebsten etwas mit fadem Beigeschmack lesen. Sowas verkauft sich dann natürlich auch besser. Und das ist auch das Problem.
Was ist für Gladbach nun im Saison-Endspurt noch drin?
Kramer: Wir hoffen alle, dass wir noch in die Europa League kommen. Wenn es am Ende die Conference League wird, ist das auch gut. Eins von beiden soll es aber definitiv werden.