Mönchengladbach. Christoph Kramer kann mit Gladbach den Titelgewinn von Borussia Dortmund verhindern. Im Interview spricht er über eine komplizierte Saison.
Christoph Kramer (28) erscheint in Jogginghose zum Interview. Gerade noch hat er mit Borussia Mönchengladbach trainiert, jetzt macht er es sich im Sessel bequem, stellt er die Füße auf einen kleinen Tisch. So spricht der Weltmeister von 2014 über eine äußerst komplizierte Saison, in der sich die Gladbacher aber trotzdem schon jetzt für die Europa League qualifiziert haben. Am Samstag (15.30 Uhr/Sky) beim Duell mit Borussia Dortmund haben sie sogar noch die Chance, die Champions League zu erreichen. Während der BVB um die Meisterschaft kämpft.
Herr Kramer, wie heftig klopft das Herz vor diesem Duell?
Christoph Kramer: Für solche Spiele wird man doch Fußballer, daher freue ich mich riesig auf das Spiel. Der Europapokal ist uns jetzt nicht mehr zu nehmen. Es ist schön für uns, dass wir jetzt schon etwas in den Händen haben. Das nimmt etwas den Druck vor dem Saisonfinale. Jetzt wollen wir mit aller Macht ins Spiel gehen und versuchen, Platz vier zu verteidigen.
Dann würde der BVB aber definitiv nicht Meister werden. Was sagen Sie zum Titelkampf?
Kramer: Es war schon mehr drin als in den vergangenen Jahren. Aber Bayern ist einfach zu konstant. Es ist ja gerade die große Kunst von Bayern, dass sie einfach ihre Ergebnisse einfahren. Das ist eine riesengroße Qualität – und die hat nun mal nur Bayern München. Außerdem: Mit dem Kader muss man auch Meister werden.
Warum hatte Gladbach wie Dortmund Probleme in der Rückrunde?
Kramer: Wir haben uns in der Hinrunde in einen Flow gespielt. Da haben wir mit Plea und Hazard zwei Spieler gehabt, die aus dem Nichts Tore geschossen haben. Wir konnten dann kontern, da hat alles gepasst. Das hat uns in der Rückrunde oft gefehlt. Wenn wir den Flow noch etwas weitergezogen hätten, dann wären wir wahrscheinlich gar nicht eingebrochen. Wir haben das drin, was wir gespielt haben.
Haben Sie mit Hazard über seinen geplanten BVB-Wechsel diskutiert?
Kramer: Nein, das war intern kein Thema. Ich hatte sowieso keine allzu große Hoffnung, dass er bleibt. Weil er jetzt in einem Alter ist, in dem er den nächsten Schritt machen kann, machen will, vielleicht auch machen muss. Trainer Dieter Hecking geht im Sommer hingegen definitiv. Marco Rose übernimmt. Wie gelingt da noch die Zusammenarbeit? Ich hätte gedacht, dass es sich ein bisschen seltsam anfühlt. Aber es klappt gut, das darf auch keine Ausrede sein.
Wíe beurteilen Sie die Entscheidung?
Kramer: Das kann immer nur der beurteilen, der alles im Überblick hat und der die Entscheidung treffen muss. Max Eberl hat so viel aus diesem Verein gemacht. Wenn unser Sportdirektor so entscheidet, dann gibt es daran gar nichts zu rütteln. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass man ihm vertrauen kann. Trotzdem haben die Fans zuletzt auch gepfiffen.
Ist der Anspruch durch die früheren Erfolge von Gladbach zu hoch?
Kramer: Es kommt immer auf die Generation an. Meine Generation verbindet mit Gladbach Platz 15. Die Jüngeren sehen Gladbach in den internationalen Rängen. Nur die, die Gladbach in den 70er-Jahren miterlebt haben, kennen diese Zeit. Aber sie wissen auch, dass das lange her ist. Und dass es auch viel schlimmer hätte kommen können. Jetzt bewegen wir uns in stabilen Verhältnissen in der Bundesliga. Das kriegen nicht viele hin.
Stimmt. Viele Traditionsklubs haben Probleme. Oft ist es zu unruhig.
Kramer: Ich glaube nicht, dass das mit den Problemen der Traditionsklubs zusammenhängt. Klar sind Klubs wie Schalke, Köln oder Gladbach immer ein bisschen unruhiger als zum Beispiel Leverkusen, wo ich gespielt habe. Wenn man da nicht gewonnen hat, dann hat man halt nicht gewonnen. Wenn man hier nicht gewinnt, dann ist es schon etwas anderes. Aber ich glaube, dass eine große Fankultur einem Verein mehr gibt als nimmt.
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Ist es denn schöner, für einen Traditionsklub zu spielen?
Kramer: Ich finde schon. Ich hätte das nicht für möglich gehalten, weil ich mich nicht so eingeschätzt hätte. Aber als ich mit Leverkusen international um die Champions League gespielt habe, waren auswärts 200 Leute da. Wenn es bei uns um die Champions League geht, dann sind da 20.000 Fans in der Stadt, 12.000 im Stadion. Da ist richtig Wucht hinter.
Wie lange wollen Sie das noch mit Gladbach erleben?
Kramer: Ich würde hier gerne meine Karriere beenden. Ich bin 28, fünf Jahre habe ich sicher noch.
Beim DFB sind Sie allerdings kein Thema mehr. Schmerzt das?
Kramer: Nein. Meine Karriere ist schon viel besser gelaufen, als ich mir das jemals erträumt hätte. Ich habe immer gehofft, dass ich mit dem Fußball mein Geld verdiene und in der Dritten Liga spiele. Das war mein Ziel. Was ich danach alles erreicht habe, ist sensationell. Deswegen trauere ich Dingen nicht nach.
Wie groß sind seit dem WM-Aus 2018 Ihre Sorgen um den deutschen Fußball?
Kramer: Ich erlebe die Situation gar nicht so dramatisch, auch wenn es immer heißt, die Jugend sei schlechter. Aus meiner Vergangenheit weiß ich, dass die unteren Jugendauswahlmannschaften egal sind. Ich habe in der U17 gespielt, davon spielt kaum noch einer Fußball. Danach fängt es an, interessant zu werden.
Was denken Sie denn dann, wenn Talente schon früh mit großen Summen gelockt werden?
Kramer: Ich bin ja selber erst zehn Jahre aus der Jugend raus. Aber was die heutigen Jugendspieler verdienen, womit sie gelockt werden, was sie für Schuhverträge haben, das hat sich massiv geändert. Das ist für kein Talent gesund. Es ist nicht Spaß der Antrieb, sondern Geld, Status. Es sind Kinder. Der Reifeprozess setzt bei ihnen nicht ein. Und es geht ja auch um den Menschen. Man ist länger Mensch als Fußballer.