Sint-Michielsgestel. Das runderneuerte Frauen-Nationalteam brennt auf den EM-Beginn. Erster Gegner sind am Montag die Schwedinnen. Die plagt ein Deutschland-Trauma.
Vor dem romantisch anmutenden Eingangsbereich zum „De Ruwenberg“, dem Stammquartier der deutschen Frauen-Nationalmannschaft, stehen seit dem Wochenende zwei mächtige Mannschaftsbusse: das deutsche Original, matt schwarz lackiert, an der Flanke prangt die Aufschrift „Die Mannschaft“.
Auf diese deutschen EM-Spielerinnen kommt es besonders an
DZSENIFER MAROSZAN: Sie hat sich wichtige Titel unter die Haut tätowiert: den Gewinn der U20-WM 2010 oder den Gewinn der Champions League 2015. Würde die EM 2017 hinzukommen? „Platz ist noch genug da“, sagt die 25-Jährige von Olympique Lyon. Als Spielmacherin der Extraklasse mit Erfahrung aus 74 Länderspielen für die Titelverteidigung absolut unverzichtbar – muss aber ihre Weltklasseform aus dem Verein endlich beim DFB beweisen.
SARA DÄBRITZ: Kaum zu glauben: Sie gehört trotz ihrer nur 22 Jahre zu den reiferen Persönlichkeiten im Kader. Wird als alleinige Sechserin damit beschäftigt sein, dass bei aller Offensive auch hinten der Laden zusammenhält. Zeigte sich in 42 Länderspielen als spielintelligent. Als der von der Bundestrainerin bestimmte Mannschaftsrat sich eine Repräsentantin der jungen Garde suchen sollte, stimmten alle für die Spielerin des FC Bayern. Wurde Olympiasiegerin, Europameisterin, U20-Weltmeisterin.
BABETT PETER: Bei der Heim-WM 2011 solide Linksverteidigerin, die nicht groß auffiel. Mittlerweile ist die 29-Jährige vom VfL Wolfsburg Abwehrchefin, die am Anfang der Jones-Amtszeit von der neuen Bundestrainerin wissen wollte, ob sie wichtig ist. Was bisher 107 Länderspiele ja nahe legen. „Sie setzt großes Vertrauen in mich.“ Das will die Nummer fünf nun bei der EM zurückzahlen. Problem: Es gibt keine zweite Innenverteidigerin ihrer Klasse und Abgeklärtheit.
ALMUTH SCHULT: Die 26-Jährige strotzt vor Selbstvertrauen, sagt ihre Meinung, eckt auch mal an – kann einer Torhüterin nicht schaden. Dennoch wandelt die 1,80-Meter-Frau, die für die Titelsammlerinnen des VfL Wolfsburg bereits seit vier Jahren das Tor hütet, im DFB-Team oft auf einem schmalen Grat. Aus ihren 42 Länderspielen gibt es eine lange Liste an Pleiten, Pech und Pannen. Bundestrainerin Jones glaubt dennoch an sie, denn: Ohne starke Nummer eins bleibt Deutschland nicht Europas Nummer eins.
HASRET KAYIKCI: Hat das Zeug zur EM-Entdeckung. Dribbelstarke Offensivallrounderin, die Jones aus der Talentschmiede des SC Freiburg hervorgekramt hat. Quereinsteigerin beim DFB, hat deshalb als 25-Jährige erst vier Länderspiele absolviert. Ist im 4-4-2-System diejenige, die überall auftaucht und von überall abzieht.
Gegenüber parkt neuerdings das für die Frauen-Europameisterschaft bereitgestellte Gefährt: eine landestypisch in orangefarbenen Tönen gehaltene Version, mit der der Titelverteidiger die 65 Kilometer von Sint-Michielsgestel nach Breda zurücklegen wird, wo heute das EM-Auftaktspiel gegen Schweden (20.45 Uhr/ARD) stattfindet.
Ablenkung in der Players Lounge
Einhelliger Tenor der DFB-Delegation: Es wird Zeit, dass es endlich losgeht. Nicht dass Lagerkoller aufgekommen wäre – Radtouren in der Umgebung oder die Players Lounge sorgen für Ablenkung –, aber der neu zusammengestellte Kader lechzt nach seiner ersten Bewährung. „Wir wollen endlich zeigen, was wir draufhaben“, hat Lina Magull gesagt, die ebenso wie ihre Freiburger Klubkolleginnen Carolin Simon oder die Essenerin Linda Dallmann zum neuen Stammpersonal zählt.
Allesamt sind sie Gesichter, die noch nicht lange mit dem Nationalteam in Verbindung gebracht werden. „Dass ich bei der EM dabei sein darf, habe ich nicht erwartet“, bekannte Simon, die Vorfreude auf ihr erstes Turnier ausstrahlt. Passend zum Slogan am Bus: „Let’s celebrate“ – lasst uns feiern.
Vom neunten EM-Titel ist da nicht die Rede. Dabei hat Steffi Jones trotz Runderneuerung dieses Ziel nie kassiert. Im Gegenteil. Die Bundestrainerin will Europameisterin werden wie schon 1995 erstmals als Aktive, als ihr auf der Gegenseite die schwedische Nationaltrainerin Pia Sundhage gegenüberstand. Von diesem Zeitpunkt an wird Schwedens Frauenfußball von einem schweren Deutschland-Trauma geplagt. Nach und nach gingen alle Pflichtspiele, zuletzt das Halbfinale bei der EM 2013 im eigenen Land (0:1), das WM-Achtelfinale 2015 (1:4) und das Olympische Finale 2016 (1:2) verloren. Top-Star Lotta Schelin will „die Dämonen vertreiben“.
„Schweden ist eine sehr erfahrene, kampfstarke Mannschaft“, warnt Jones. Während die selbstbewusste Kollegin Sundhage bei ihrem Abschiedsturnier („Wir sind einfach dran mit einem Sieg gegen Deutschland“) noch einmal alle bewährten Kräfte jenseits der 30 aufbietet, hat Jones gegenüber der EM vor vier Jahren mehr verändert als nur die Spielidee (mutiger und kreativer) und das Arbeitsklima (offener und fröhlicher). Vermutlich wird keine deutsche Spielerin anfangs auf dem Platz stehen, die beim EM-Viertelfinale 2013 gegen Italien bei Anpfiff dabei war.
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Die jetzt als prägende Persönlichkeiten eingeplanten Dzsenifer Marozsan und Sara Däbritz wurden damals nur eingewechselt. Kapitänin Marozsan, die zuletzt immer gegen Schweden traf, erwartet einen „harten Kampf“. Der deutsche Lieblingsgegner wird zum Lackmustest für die körperliche Robustheit und defensive Widerstandsfähigkeit. Das neue 4-4-2-System mit Mittelfeldraute, räumt die für die Halbposition vorgesehene Magull ein, sei „auch riskant“. Nämlich bei Kontern in der Rückwärtsbewegung. Nichts mögen die Skandinavierinnen lieber.
Grindel macht keinen Druck
DFB-Präsident Reinhard Grindel hat bei seinem Besuch im Basiscamp die Messlatte niedriger gelegt: „Man kann in dieser breiten Leistungsspitze nicht so vermessen sein, zu sagen, man wird hier den Titel wieder gewinnen.“ Der Verbandsboss lässt sich zum deutschen Auftakt aus privaten Gründen entschuldigen. Zum Halbfinale käme er ganz sicher. Dann ist das Minimalziel ja schon bekannt.