Danzig. Zwei Vorlagen steuerte die zentrale Figur des deutschen Spiels zum Sieg gegen die Niederländer bei, seine restlichen Auftritte waren solide bis unterdurchschnittlich. Gegen Griechenland leistete er sich Fehler bei einfachen Pässen. Kehren seine außergewöhnlichen Kräfte rechtzeitig zurück?
Ein bisschen geistige Zerstreuung kann vor dem großen Duell nicht schaden. Die Nationalmannschaftsführung holt sich ein bisschen Hollywood ins Haus, lässt „The Amazing Spider-Man“ vor den Augen seine Spieler aufführen. Ein Streifen, der noch nirgendwo in den Kinos zu sehen ist, der von einem Mann und seinen geheimen Superkräften handelt. Das freiwillige Angebot galt gestern Abend für alle Nationalspieler, auch für Bastian Schweinsteiger, den Mann, der ebenfalls über außergewöhnliche Kräfte verfügt, die aber bei diesem Turnier noch weitestgehend geheim geblieben sind.
Zwei Vorlagen steuerte die zentrale Figur des deutschen Spiels zum Sieg gegen die Niederländer bei, seine restlichen Auftritte waren solide bis unterdurchschnittlich. Gegen Griechenland leistete er sich Fehler bei absurd einfachen Pässen. Auf Schweinsteigers nach oben offener Fußball-Genie-Skala war das ein Besorgnis erregender Tiefpunkt. Um ihn ranken sich daher die Fragen, die die Fußball-Nation vor dem Europameisterschafts-Halbfinale am kommenden Donnerstag gegen Italien bewegen. Was ist bloß mit Schweinsteiger los? Wie labil ist er wirklich?
Die Causa Schweinsteiger steckt voller Zweifel
In einem Interview nach dem Viertelfinale nährte er selbst den Verdacht, dass etwas mit ihm nicht in Ordnung, dass er bei weitem nicht der Alte sei. Der, der eine Mannschaft mit seinem Spiel zu führen weiß, der sich keinen Fehler erlaubt, der als der große Souverän auftritt. Sein lädierter Knöchel, wegen dem er wochenlang ausgefallen war, mache ihm Sorgen, sagte er. Das schmerzt ihn, doppelt, „weil ich gern so spielen würde, wie mein Kopf es mir sagt. Aber mein Körper lässt es nicht zu." Und er äußerte sogar, dass er Verständnis dafür hätte, wenn er von Bundestrainer Joachim Löw auf die Bank verbannt werden würde. Die Causa Schweinsteiger steckt voller Zweifel, voller Skepsis.
Als Löw gestern die entscheidende Frage nach seiner rechten Hand auf dem Platz gestellt bekommt, überlegt er einen Moment und überbückt die entstehende Stille mit einem „ähm, ja“. Es wirkt, als könnte auch er zweifeln, ob das Experiment mit Schweinsteiger in einem so engen, umkämpften Spiel, wie es von dem gegen Italien erwartet wird, funktioniert. Doch er weiß auch, dass sein Misstrauen, so es denn existiert, nicht öffentlich werden darf.
Der Mann an den Schalthebeln des DFB-Spiels
Nur wer hundertprozentig fit ist, spielt, hat Löw vor dem Turnier gesagt. Per Mertesacker und Miroslav Klose, zwei von Löws Lieblingen, mussten beim Start des Turniers erleben, dass es dem Bundestrainer ernst ist mit diesem Leitsatz. Möglich aber, dass er ihn für Schweinsteiger ein wenig aufweicht. Weil er ihn für unersetzbar hält, obwohl Toni Kroos Schweinsteiger lange und erfolgreich beim FC Bayern München und der Nationalelf vertreten hat.
„Er ist so selbstbewusst, wie wir ihn brauchen“, sagt Löw schließlich energisch über den Mann an den Schalthebeln des deutschen Spiels. „Er ist ein emotionaler Leader. Es ist wichtig, dass Schweinsteiger dabei ist. Mit seiner Physis und seiner Präsenz. Seine Probleme haben ihn nicht beeinträchtigt. Es fehlte ihm nur an Handlungsschnelligkeit. Wir bekommen das bis Donnerstag hin.“ Löw hört seinen Worten nach, als erwarte er, dass sie auch ihn überzeugen, dass sie das Hoffen in Gewissheit verwandeln. Aber die gibt es erst am Donnerstagabend in Warschau.
Löw macht sich „wahnsinnig viele Gedanken“
Schweinsteiger hat ein mieses Jahr hinter sich. Zwei schwere Verletzungen, drei verpasste Titel. Wie er überhaupt bislang alle großen internationalen Titel verpasst hat. Ein Zustand, den er mit aller Macht beenden will. Deshalb beißt er sich durch, deshalb macht er sich laut Löw „wahnsinnig viele Gedanken, was die besten Lösungen für uns sind. Er ist unglaublich reif geworden in den vergangenen Jahren.“
Schweinsteiger, heißt das, denkt an das große Ganze. Wie ein Trainer. Wie ein großer Stratege. So wie Matthias Sammer, der Deutschland bei der EM 1996 zum letzten Titel geführt hat. Und deswegen wird Schweinsteiger wohl spielen.
Vielleicht kehren seine außergewöhnlichen Kräfte rechtzeitig zurück. Das wäre dann wahrlich großes Kino.