Danzig. Weil der TV-Kommentator Tom Bartels ergriffen den Mund hielt und irische Fans eine sagenhafte Version des Kurvenklassikers »The Fields of Athenry« anstimmten, erlebte die EM ihre bislang schönsten Minuten. Eine Lobeshymne.

»Low lie the Fields of Athenry
Where once we watched the small free birds fly
Our love was on the wing
We had dreams and songs to sing
Now it´s so lonely round the fields of Athenry.«

87 Minuten waren im zweiten Vorrundenspiel der Gruppe C zwischen Spanien und Irland gespielt. 87 Minuten lang hatte die irische Nationalmannschaft den Arsch versohlt bekommen. Von den Weltmeistern aus Spanien, einer so fantastischen Mannschaft, dass selbst die irischen Spieler nach der Niederlage ganz offensichtlich einfach nur stolz darauf waren, gegen diese Auswahl auf dem Platz gestanden zu haben.

Stolz. So ein abgegriffenes Wort. Kitschig sowieso. Aber manchmal ist der Fußball in seinen besten Momenten eben einfach das: Kitschiger als jeder Heimatfilm.

87 Minuten lang hatten die irischen Zuschauer im Stadion von Danzig hilflos mitansehen müssen, wie ihre Mannschaft in einem Wust aus Pässen, Schüssen und Tricks aus dem Turnier gekegelt wurde. So viel gegnerische Dominanz erträgt keine Fanmeute ohne hörbare Schäden. Phasenweise hörte man dann sogar die Spanier im Stadion, unter normalen Umständen ein Ding der Unmöglichkeit wenn sich Zehntausende Iren zu einem Spiel ihrer Mannschaft einfinden. Der Schock auf den Tribünen saß tief, das spürte man selbst vor dem Fernseher. Aber dann.

»By lonely prison wall
I heard a young man calling
Nothing matters Mary when you´re free
Against the famine and the crown
I rebelled the cut me down
Now you must raise our child with dignity«

Ein leiser Orkan, wer weiß, er ihn anstimmte. Was folgte war ein vielstimmiger, biergetränkter, pathosgeschwängerter, fußballkitischiger Chor, der den Rasen vibrieren ließ. »The Field of Athenry«, ein Lied über die irische Hungersnot 1846 bis 1849. Ein Klassiker, wenn irische Mannschaften Fußball oder Rugby spielen. Die Fans von Celtic Glasgow singen ihn, manchmal auch die des FC Liverpool. Große Vereine wissen eben was gut ist.

Tom Bartels hielt einfach den Mund!

Minutenlang rauschte dieser Männerchor durch das Stadion. Innerlich abgestorben müssen diejenigen sein, die dabei keine Gänsehaut bekamen. Und doch wäre dieser Moment für deutsche Fernseh-Zuschauer nicht so einzigartig (und für eine Europameisterschaft so ungewöhnlich faszinierend) gewesen, wenn der ARD-Kommentator Tom Bartels nicht das getan hätte, was er tat: Er schwieg. Er hielt einfach seinen Mund! Minutenlang.

»Low lie the Fields of Athenry
Where once we watched the small free birds fly
Our love was on the wing
We had dreams and songs to sing
Now it´s so lonely round the fields of Athenry.«

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Der erste Gedanke des von selbstgefälligen Kommentatoren geschändeten Zuschauers: Der Ton war weg. Erste Zweifel daran. Dann die Erkenntnis: Tom Bartels hielt den Mund, weil er den Mund halten wollte. Weil er seinen Zuschauern dieses fantastische Erlebnis nicht versauen wollte. Weil auch er, der schon Millionen Fans hat singen hören, von diesem Moment ergriffen war. Weil er für ein paar Minuten stumm blieb, machte Tom Bartels die vielleicht schönsten Minuten dieser ansonsten von Fasching-Fans, Spielerfrauen und Hooligans bestimmten Veranstaltung.

Dankeschön.