Essen. Fußball hin, Siege her – beim bunten Drumherum will das Zweite Erster sein. Deshalb haben die Mainzelmänner ausgerechnet Heringsdorf auf Usedom zum fußballerischen Fernsehgarten umfunktioniert. Doch aus dem Rentner-Paradies wird keine Party-Meile - da hilft auch Oliver Kahns Twitter-Premiere vor laufenden Kameras nicht.
Sie wollten so modern sein, die Mainzelmänner. Und da hatten sie sich etwas ganz Besonderes ausgedacht. Katrin Müller-Hohenstein, die im Silber-Dress so wirkte, als sei sie vom Raumschiff Orion auf die Erde zwangsversetzt worden, zeigte ihrem Kollegen Oliver Kahn mal, was eine Harke ist: Sie führte ihm vor den Augen der Öffentlichkeit vor, wie man twittert.
Twitter – das sei den zu früh Geborenen verraten – ist ein Kurznachrichtendienst, über den man ganz wichtige Nachrichten ganz schnell absetzen kann. Dafür ließ die Katrin die erstaunte Öffentlichkeit und den ehemaligen Torwart-Titan wissen, was Sportprominenz an der Europameisterschaft und speziell am Spiel der deutschen Nationalmannschaft interessiert.
Katrin Müller-Hohenstein zwingt Oliver Kahn zum ersten Tweet
Nehmen wir Boris Becker, bei dem wir uns erlaubt haben, seine Rechtschreib-Künste geringfügig zu korrigieren. „Habe leider kein deutsches Fernsehen“, entfuhr es dem ehemaligen Tennis-Champ, „wie ist Scholli angezogen???“ Schicksalsfragen. Dumm nur, dass diesmal nicht das Erste übertrug, bei dem der ehemalige Bayern-Kicker als Experte anheuerte, sondern das Zweite. Kleinigkeit, geschenkt. Überhaupt hätte sich des Bobbele seinen Tweet generell schenken können. Banal, banaler, Becker.
Das kann der Oli doch auch, mag sich die Katrin gedacht haben und zwang ihren Kollegen zu seinem mutmaßlich ersten Tweet. Den schreibt er nicht selbst, sondern diktiert ihn Web-Reporterin Jeannine Michaelsen. Inhalt? Haben wir vergessen. War wohl nicht so wichtig.
ZDF will aus dem Rentner-Paradies Usedom eine Party-Meile machen
Überhaupt waren Katrin Müller-Hohensteins Moderationsleistungen nicht so wichtig. Immerhin: Vor und nach dem Spiel der deutschen Elf gegen Lieblingsgegner Niederlande kiewelte die 46-jährige Strahlefrau mit dem scheinbar operativ eingesetzten Dauergrinsen fröhlich vor sich hin. Sie machte keine Fehler. Aber: Reicht es wirklich, keine Fehler zu machen?
Einen Fehler hat indes definitiv das ZDF gemacht. Das Zweite hätte nie und nimmer aus dem Rentner-Paradies Usedom eine Party-Meile machen dürfen. Klar, zwei Mal hat's geklappt mit dem bunten Tralala rund um internationale Fußball-Turniere, erstmalig beim Sommermärchen 2006 in Berlin, auf der Partymeile vorm Brandenburger Tor, und dann, zwei Jahre später, bei der Europameisterschaft 2008. Damals hatte sich das ZDF auf der Seebühne im österreichischen Bregenz einquartiert. Bregenz hatte den Charme, im Dreiländereck Deutschland/Österreich/Schweiz zu liegen, und die Nachbarländer Österreich und Schweiz hatten die Kicker-Sause damals ausgerichtet.
Mancher Klappstuhl blieb leer im ZDF-Studio
Und jetzt Heringsdorf. Sicher, das ZDF hatte befürchtet, weder Polen noch in der Ukraine eine nennenswerte Zahl deutscher Fans für ein Begleitprogramm begeistern können. Aber das Publikum in Heringsdorf auf Usedom an der polnischen Grenze wirkte so lendenlahm wie der Club der toten Dichter. Nicht nur, dass mancher Klappstuhl leer blieb an diesem Abend – schlimmer wirkte die Tatsache, dass die zum guten Teil betagten Zuschauer offenbar durch Claqeure in Wallung gebracht werden mussten.
Welch lahmer Zock auf Usedom geboten wurde, machten zwei kurze Schalten nach Berlin klar. Vor dem Brandenburger Tor tobte, wie so oft, das pralle Leben. Auf Usedom hingegen schien Campino Regie zu führen. Ob vor oder nach Sonnenuntergang: Auf Deutschlands östlichster Insel herrschte tote Hose, vermutlich weil die Phrasendreschmaschine derart hochtourig lief, dass wir einen Kolbenfresser befürchten mussten.
Uns blieb schließlich eine deprimierende Erkenntnis: Das ZDF hat den Fußball-Strand in den Sand gesetzt.