Warschau. Die alten Spannungen zwischen Polen und Russland haben sich kurz vor der EM-Vorrunden-Begegnung der beiden Länder in Fan-Ausschreitungen entladen. Vor dem Spiel kam es in Warschau zu Schlägereien, zehn Verletzten und mehr als 180 Festnahmen. Selbst im Stadion gab es Provokationen.
Schwere Zusammenstöße zwischen polnischen und russischen Fußball-Hooligans haben am Dienstag das EM-Vorrundenspiel beider Länder in Warschau überschattet. Nach Polizeiangaben gab es zehn Verletzte, darunter ein Deutscher, und mehr als 180 Festnahmen. Niemand sei lebensgefährlich verletzt, hieß es. In polnischen Medien war die Rede von 15 Verletzten.
In der Nacht nach dem Spiel sei es relativ ruhig geblieben, sagte
Karczynski. Die Auswertungen der Überwachungskamera dauerten noch an, es seien
weitere Festnahmen geplant. Russische Medienberichte über ein Todesopfer dementierte die
Warschauer Polizei schon in der Nacht. Von den Verletzten schwebe keiner in
Lebensgefahr. Ein Film auf Youtube zeigt einen polnischen Fan, der bewegungslos
auf einer Brücke lag, umringt von Polizisten.
Die Polizei hatte setzte gegen die Randalierer nahe einer Fanmeile Gummigeschosse eingesetzt, nachdem sie mit Flaschen und Steinen beworfen wurde. In der Fanmeile verfolgten 75.000 Zuschauer das Spiel, das 1:1 endete.
Polizei setzt Tränengas und Gummigeschosse ein
Vor dem Anstoß zogen 5.000 russische Fans aus der Innenstadt der polnischen Hauptstadt zum Stadion. Am russischen Nationalfeiertag missbrauchten sie den Fanmarsch für nationalistische Parolen. Polnische Fans reagierten auf die Provokationen mit Flaschenwürfen. Kurz vor der Arena gab es auf einer Brücke die ersten Attacken auf Polizisten, die den Fanmarsch begleiteten. Die Polizei griff hart durch, setzte Tränengas und Wasserwerfer gegen die teilweise vermummten Randalierer ein und löste den Marsch auf
Auch während des Spiels nahmen die Krawalle kein Ende: Polnische Fans attackierten nahe der mit etwa 100.000 Menschen gefüllten Fanzone in Warschaus Innenstadt Polizisten. Jugendliche zündeten Pyrotechnik, warfen Steine, Böller und Flaschen auf die Beamten. Die Polizei ging mit Tränengas und Gummigeschossen gegen die Randalierer vor.
Immer wieder lieferten sich Fans Schlägereien. "100 Fans beider Seiten waren in Prügeleien verwickelt. 56 Personen wurden festgenommen", sagte Polizeisprecherin Monika Brodowska. Die Polizeisprecherin erklärte, dass die Ermittler jetzt Videoaufnahmen auswerten würden, um weitere Randalierer identifizieren zu können.
Erhöhte Alarmbereitschaft
Auch im Stadion war die Situation angespannt: Während die Nationalhymne kurz vor dem Anpfiff von Schiedsrichter Wolfgang Stark (Ergolding) abgespielt wurde, rollten russische Anhänger am Nationalfeiertag des Landes ein riesiges Banner aus, das die komplette Fankurve bedeckte: "This is Russia", stand darauf, abgebildet war ein furchterregender Krieger. Die polnischen Fans reagierten mit einem Pfeifkonzert und lautstarken "Polska"-Rufen.
Die polnischen Behörden waren bereits den gesamten Tag in erhöhte Alarmbereitschaft versetzt worden. Ab dem Vormittag glich die Warschauer Innenstadt einer Hochsicherheitszone. Überall standen Hundertschaften der Polizei, Sondereinsatzkräfte in Kampfmontur beteiligten sich an der Bewachung des Fanmarsches.
Das werde die größte Herausforderung für sämtliche Ordnungskräfte in der Hauptstadt, hatte der polnische Innenminister Jacek Cichocki bereits am Montag erklärt. Man werde die Situation ständig auf mögliche Gefahrenherde hin analysieren. Man hoffe, dass die pessimistischen Szenarien nicht eintreten werden. Doch bei dem von Anfang an kritisch gesehenen Marsch zum Stadion eskalierte die Situation.
Russisch-polnische Beziehung ist historisch vorbelastet
Bis zu 20.000 russische Fans hatte die Polizei erwartet, nur 9800 waren im Besitz einer Eintrittskarte. Daher war Polens EM-Turnierdirektor Adam Olkowicz in großer Sorge. "Das ist eine große Herausforderung", sagte Olkowicz. Sicherheit sei eines der schwierigsten Themen. Man könne nicht alles vorhersehen.
Die Beziehungen zwischen Russland und Polen sind durch zahlreiche kriegerische Auseinandersetzungen belastet. Im Polnisch-Sowjetischen Krieg (1919 bis 1921) starben Zehntausende Menschen. Im Zweiten Weltkrieg waren in Katyn (heute Russland) bei einem Massaker der sowjetischen Geheimpolizei Tausende Polen ermordet worden.
Vor zwei Jahren war der damalige polnische Präsident Lech Kaczynski auf dem Weg zu einer Trauerfeier anlässlich des 70. Jahrestages des Massakers bei einem Flugzeugabsturz bei Smolensk in Russland mit weiteren Regierungsmitgliedern tödlich verunglückt. Die genauen Umstände sind bis heute unklar.
"Jede Kleinigkeit wird die historischen Missstände, die nie ganz aufgeklärt wurden, wieder ans Tageslicht bringen", sagte Andrzej Rychard, ein Soziologe an der polnischen Akademie der Wissenschaften, in Hinblick auf das Spiel.
Polen-Anhänger beschallten Hotel der russischen Spieler
In der Nacht vor der Begegnung hatten polnische Fans das russische Teamhotel in Warschau unter Dauerbeschallung gestellt. Bis in die frühen Morgenstunden grölten sich bier- und wodkaselige Anhänger des Co-Gastgebers vor dem edlen Le Meridien Bristol an der Prachtstraße Krakowskie Przedmiescie die Seele aus dem Leib, um Andrej Arschawin und Co. den Schlaf zu rauben.
Dabei verbanden die Fans am Rande der Warschauer Altstadt ausdauernd das Angenehme mit dem Nützlichen. Nur wenige Meter entfernt befindet sich das Przekaski Zarkaski, eine der angesagtesten Kneipen der Stadt.