Warschau. BVB-Profi Jakub Blaszczykowski musste als kleiner Junge mitansehen, wie sein Vater seine Mutter ermordete. Trotz dieses Schicksalsschlags ging er als Fußballer seinen Weg - bis zur Heim-EM, in der er die polnische Nationalmannschaft als Kapitän anführt.
Kennt man die unfassbare Leidensgeschichte des Jakub Blaszczykowski, scheinen verschiedene Dinge plötzlich einen tieferen Sinn zu ergeben. Der Dank an Gott und der Blick in den Himmel nach seinen Toren. Oder die Worte von Polens Trainer Franciszek Smuda, der „Kuba“, als er ihn 2010 zum Kapitän der Nationalmannschaft machte, einen „herausragenden Charakter“ bescheinigte.
Jakub Blaszczykowski hat viel erreicht für einen Mann, der 1996 als Elfjähriger gleichzeitig Vater und Mutter verloren hat, auf eine Weise, die grausamer nicht hätte sein können. Der kleine Jakub musste mit ansehen, wie sein Vater Zygmunt seine Mutter Anna erstach. Angeblich wechselte er nie wieder ein Wort mit dem Mörder, der für die Bluttat 15 Jahre lang im Gefängnis saß und vor drei Wochen starb.
Trauer und Wut bei „Kuba“
Vor zwei Jahren hatte Blaszczykowski in der Öffentlichkeit erstmals über den fürchterlichen Wendepunkt seines Lebens berichtet, selbst in seiner Heimat wusste so gut wie niemand davon. In einem bewegenden Interview mit dem Sender TVP1 sprach er von dem Schlag, der ihn jahrelang paralysierte; von Trauer und Wut und den ewigen Fragen nach dem Warum, die ihn beinahe in den Wahnsinn getrieben hätten. „Ich würde alles dafür geben, wäre sie noch am Leben“, sagt er über seine Mutter.
Blaszczykowski wuchs gemeinsam mit seinem Bruder Dawid bei seiner Oma auf, ohne die er, so sagt er, womöglich auf einen falschen Weg geraten wäre. Doch mit der Hilfe seiner Familie, die ihm noch geblieben war, wählte er den richtigen.
53. Länderspiel gegen Russland
Sein Onkel Jerzy Brzeczek, der sieben Jahre lang in der Nationalmannschaft gespielt und das polnische Team 1992 zu Olympia-Bronze in Barcelona geführt hatte, wies ihm im Fußball die Richtung. Dass er mal Onkel Jerzys Nachfolger als Kapitän der „Biale orly“, der weißen Adler, werden würde, hätte er niemals zu glauben gewagt. Am Dienstag wird er im zweiten EM-Gruppenspiel gegen Russland in Warschau (20.45 Uhr/live bei ARD und im DerWesten-Ticker) zum 53. Mal für sein Land auflaufen.
Und es ist gerade dieser Glaube an Gott, der ihm noch heute hilft, die Tragödie seines Lebens zu ertragen. „Gott passt auf mich auf, er beschützt mich“, hat Blaszczykowski mal gesagt. Und tatsächlich meint das Leben es wieder besser mit ihm.
Spitzname „kleiner Figo“
Er ging als Fußballer seinen Weg, und bald hatte er die Unterstützung seines berühmten Onkels nicht mehr nötig. In seiner schlesischen Heimatstadt bei Rakow Tschenstochau und später beim Lokalrivalen KS reifte er zum Profi, bei Wisla Krakau gelang ihm der Durchbruch. Das polnische Fußball-Idol Zbigniew Boniek verlieh dem Flügelflitzer den Spitznamen „kleiner Figo“, in Anlehnung an den portugiesischen Superstar. Blaszczykowskis Kommentar dazu spricht Bände: „Ich mag den Spitznamen nicht. Ich möchte einfach nur Kuba sein.“
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2007 wechselte er für 3,2 Millionen Euro zu Borussia Dortmund, dort tat er sich schwer. Er saß häufig auf der Ersatzbank, weil er Schwierigkeiten hatte, konstant sein großes Leistungsvermögen abzurufen. Dafür fand er privat sein Glück. 2010 heiratete er seine langjährige Freundin Agata, im April 2011 kam Töchterchen Oliwia zur Welt.
Als Götze-Ersatz beim BVB durchgestartet
Vielleicht war dies die Initialzündung, die noch gefehlt hatte. In dieser Saison startete er als Ersatz des monatelang verletzten Mario Götze auf der rechten Außenbahn durch und hatte großen Anteil an der zweiten Meisterschaft der Westfalen in Folge.
„Das ist der beste Kuba aller Zeiten“, sagte BVB-Sportdirektor Michael Zorc nach dem DFB-Pokal-Finale vor ein paar Wochen, das die Dortmunder mit 5:2 gegen Bayern München gewannen: „Er ist extrem gereift.“ Wieder so ein Satz, der im Fall von „Kuba“ Blaszczykowski einen tieferen Sinn ergibt. (sid)