Herzogenaurach. Der Zusammenbruch des Dänen Christian Eriksen hat auch die deutsche Mannschaft schockiert. Teamarzt Tim Meyer ordnet das Gesehene ein.
Am Sonntagvormittag ist die Stimmung wieder einigermaßen gelöst auf dem Trainingsplatz der deutschen Nationalmannschaft in Herzogenaurach. Es wird gelacht, es wird geflachst, es werden die üblichen Ohrenschnipper verteilt, wenn ein Spieler den Ball beim Aufwärmspiel zu oft auf den Boden fallen lässt.
Am Tag zuvor hatte es noch anders ausgesehen im deutschen Lager. Dass der Däne Christian Eriksen im EM-Spiel gegen Finnland plötzlich zusammensackte, „war für uns alle natürlich ein absoluter Schockmoment“, erzählt Lukas Klostermann. „Das sind Bilder, die man erstmal verarbeiten muss.“ Als dann aber die Nachricht kam, dass Eriksen bei Bewusstsein und in stabilem Zustand sei, wich der Schock der Erleichterung. „Es war extrem wichtig, dass es gute Nachrichten gab“, sagt Klostermann. „Das hat es für uns einfacher gemacht, den Trainingsbetrieb wieder aufzunehmen. Und wenn wir auf dem Platz stehen, können wir vieles ausblenden und uns voll auf Fußball konzentrieren.“
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Zuvor aber hatten die Spieler, Trainer und Betreuer eine Menge Gesprächsbedarf, in erster Linie mit Mannschaftsarzt Tim Meyer. „Ich habe viele Gespräche geführt, was die medizinischen Aspekte angeht“, sagt Meyer. Auch Mannschaftspsychologe Hans-Dieter Hermann war ein gefragter Mann. „Die ganze Mannschaft und der Stab waren sehr schockiert“, berichtet Meyer. „Die Tatsache, dass Christian Eriksen wohlauf war, hat uns dann sehr weitergeholfen aus dieser Situation.“
Was genau geschehen ist, darüber mag der Mannschaftsarzt Meyer nicht spekulieren, er war ja nicht beteiligt. Ein paar Rückschlüsse aber kann er ziehen aus dem, was er gesehen hat: „Es lagen ganz offensichtlich akute Herzrhythmusstörung vor, es sah aus wie Kammerflimmern“, sagt er. „Deswegen wurde mit einem Defibrillator geschockt und das Herz in den normalen Rhythmus zurückversetzt.“ Solche Rhythmusstörungen führen dazu, dass das Hirn nicht ausreichend mit Sauerstoff versorgt wird – deswegen ist schnelle medizinische Hilfe entscheidend, um das Leben zu retten und Folgeschäden zu vermeiden.
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„Man konnte beobachten: Das funktioniert“, sagt Meyer über die medizinische Versorgung in Kopenhagen. Schiedsrichter, Mannschaftsarzt und der bei der EM unmittelbar am Spielfeldrand platzierte Notarzt erfassten die Situation sehr schnell, sodass sofort lebensrettende Maßnahmen eingeleitet werden können. „Und die waren erfolgreich“, sagt Meyer. „Sie haben nicht nur Eriksens Leben bewahrt, sondern nach allem, was mir zugetragen wurde, auch dafür gesorgt, dass alle seine neurologischen Funktionen erhalten wurden.“
Der Professor für Sportmedizin ist nicht nur Mannschaftsarzt beim DFB, sondern auch Vorsitzender der medizinischen Kommission der Uefa – und hat deswegen einen guten Überblick über mögliche Folgen aus dem Drama um Eriksen. Für Konsequenzen aber sieht er „keinen wirklichen Ansatzpunkt“. Denn: „Man hat dieses Leben retten können durch eine schnelle und adäquate Reaktion“, sagt er. „Und man kann kaum mehr tun als einen Notarzt direkt am Spielfeldrand zu haben.“
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Und auch die Voruntersuchungen, um mögliche Herzerkrankungen zu erkennen, seien sehr gründlich und deutlich über den europäischen Mindeststandards. Das Untersuchungssystem Italien, wo Eriksen bei Inter Mailand spielt, gelte sogar als vorbildlich. Ob im konkreten Fall eine Vorschädigung des Herzens vorlag, müssen nun ohnehin erst einmal die Untersuchungen zeigen. Wichtig ist Meyer dabei aber eine Feststellung: „Es gibt keinen Hinweis, dass dieser Fall etwas mit der Corona-Pandemie oder mit einer Impfung zu tun hat.“
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Wenn die deutsche Mannschaft nun am Montag nach München fährt, wo sie am Dienstag (21 Uhr/ARD) auf Frankreich trifft, wird Mannschaftsarzt Meyer wie immer einen Notfallrucksack mit Defibrillator mit sich führen. Ein weiterer wird wie immer am Spielfeldrand bereitstehen. Und Meyer wird ein Zeichen mit dem Notarzt verabredet haben, weil der für solche Fälle im Zweifel qualifizierter ist.
Vor allem aber wird er wie alle Spieler hoffen, dass es gar nicht erst zu einem derart dramatischen Fall kommt – weil er die Mitspieler an die Grenze des Erträglichen und teils auch deutlich darüber hinaus führt. „Ich persönlich hätte nicht weiterspielen können, glaube ich“, sagt Abwehrspieler Antonio Rüdiger dazu, dass die Partie zwischen Dänemark und Finnland noch am Abend fortgesetzt wurde. „Aber jeder ist da anders.“