Lyon. Der dreimalige Weltfußballer befindet sich bei der EM in Frankreich auf dem Weg zur Vollendung. Eine Serie voller Enttäuschungen soll enden.

Die graue Jacke lässig um die Hüfte gebunden, das weinrote Poloshirt zugeknöpft, der funkelnde Brillant im Ohr und glitzernde Armbänder an der Hand: Es war ein stilechter Abgang, den Cristiano Ronaldo um kurz nach Mitternacht bei einem kräftigen Schluck aus der Wasserflasche wählte. In einer fensterlosen Örtlichkeit des Stade de Lyon, die mit ansteigenden Stuhlreihen und hölzernen Klappsitzen an einen Studenten-Hörsaal erinnerte, hatte der 31-Jährige auch in der Nachbetrachtung des EM-Halbfinals zwischen Portugal und Wales (2:0) einen unvergessenen Auftritt hingelegt.

Gescheitert an Rehhagels Griechen

Ronaldo gelang zuvor in 2,62 Metern Höhe, wie die britische „Daily Mail“ errechnet hat, der 1:0-Kopfball-Torpedo, mit dem er Michel Platini als besten EM-Torjäger aller Zeiten einholte (je neun Treffer) und der anstandslos Aufnahme in jedes Lehrvideo finden würde. Dazu lieferte er die Vorarbeit zum 2:0 durch Nani. So steht er nun wieder dort, wo er einst als 19-Jähriger unvermutet auftauchte: im EM-Finale. In seinen Vereinen hat er alle Titel gewonnen – der große Wurf im Nationalteam blieb bislang aus. Im Finale in Paris (Sonntag, 21 Uhr) bietet sich Portugals Superstar die Chance zur Vollendung, die Möglichkeit, ein Trauma zu bewältigen.

Damals, am 4. Juli 2004 im Estadio da Luz von Lissabon, unterlag Portugal als Gastgeber den Griechen (0:1). Der Überflieger hatte im Eröffnungsspiel (1:2) gegen die zähen Verteidigungskünstler von Otto Rehhagel getroffen (und später im Halbfinale gegen die Niederlande), nicht aber im Endspiel. „Ich hoffe, wir sind dran jetzt“, sagte Ronaldo nun, um eine dieser Anmerkungen folgen zu lassen, die die Reizfigur des globalisierten Unterhaltungsbetriebs so angreifbar machen: „Portugal verdient es, die Spieler verdienen es, ich verdiene es.“

Ronaldo sieht EM als Marathon

Diese Ich-Bezogenheit wird er sich wohl nie abgewöhnen – selbst wenn, wie in diesem Semifinale, in ihm auf dem Spielfeld nicht nur einmal der Teamplayer durchschimmerte. „Das Wichtigste war, das Finale zu erreichen“, betonte Rolando, „ich wünsche mir so, mit Portugal etwas zu gewinnen“ Damit sendete die gerne auf ihren Selbstdarsteller-Status reduzierte Ikone dieses Signal aus: einer für alle, alle für einen Traum. Die EM sei „kein 100-Meter-Sprint, es ist ein Marathon.“

Dass Portugal diesen Coup landen und ihr Kapitän am Sonntag die Trophäe empfangen kann, davon ist Chris Coleman überzeugt. „Natürlich können sie gewinnen! Sie haben einen Plan“, erklärte der walisische Nationaltrainer. „Und sie sind nicht nur Cristiano Ronaldo.“ Aber kaum einer sehnt sich mehr nach dem ersten Titel für die Seleção Portuguesa de Futebol wie der kapriziöse Strahlemann.

Der vierte Platz bei der WM 2006 in Deutschland und das verlorene Finale bei der EM 2004 sind in es in seinem Kosmos nicht wert, erwähnt zu werden. Aber was war danach? Bei der EM 2008 scheiterte Portugal im Viertelfinale an Deutschland, bei der EM 2012 im Halbfinale am Sieger Spanien. Jedesmal starrte CR7 hernach Löcher in die Luft – und hielt als Symbol der Enttäuschung her.

Sonnenkönig ohne Krone

Bekommt der „Sonnenkönig ohne Krone“ („Süddeutsche Zeitung“) nun doch noch seine Krönung? Ronaldo lechzt danach wie ein Durstiger in der Wüste. „Ich hoffe, dass ihr mich am Sonntag Tränen der Freude weinen seht“, sagte er im pathetischen Tonfall im ersten Fernsehinterview. Sein sonst so knorriger Nationaltrainer Fernando Santos kündigte mit markanter Raucherstimme an: „Wir haben nicht immer schön gespielt, aber das schert uns nicht. Ein Endspiel ist nicht dafür da, es zu spielen, sondern es zu gewinnen.“ Ein Santos-Satz, der ebenso aus dem Stade de Lyon in Erinnerung bleiben dürfte wie die Ronaldo-Gala.