Marseille. Antonie Griezmann, Dimtiri Payet und Olivier Giroud sorgen bei Frankreich für Torgefahr. Doch der Exzentriker Paul Pogba überagt sie alle.
Bei aller Euphorie, die Frankreich seit dem 5:2 über Island erfasst hat: So ganz scheinen die Gastgeber nicht sicher zu sein, dass sie Deutschland heute im EM-Halbfinale nach Hause schicken werden. „Wir wissen noch nicht so recht, auf welchem Level sich die Mannschaft befindet“, sagte der frühere Bayern-Profi und französische Welt- und Europameister Bixente Lizarazu in der „tz“. „Ganz einfach, weil sie sich bislang noch nicht mit einer großen Mannschaft messen musste.“
Darum klingt es etwas verwegen, wenn der Top-Torjäger Antoine Griezmann nach seinen vier Treffern zu Protokoll gibt: „Ich bin nicht zur EM gekommen, um Zweiter zu werden oder um im Halbfinale zu scheitern.“ Mit jedem Satz scheint die 661-Kilometer-Entfernung von Marseille, wo das Halbfinale heute um 21 Uhr beginnt, zum Endspielort Paris Saint-Denis zu schwinden. Griezmann sagt: „Als Gastgeber und mit unserem Potenzial haben wir gute Chancen, am 10. Juli den Pokal zu holen. Erst einmal wird es mal an der Zeit, die DFB-Elf zu schlagen.“ Tatsächlich stehen die Chancen gut. Auf vier Spieler muss Bundestrainer Löw aufpassen.
Zehn Tore von drei Spielern
Mit elf Treffern haben die Franzosen die meisten Tore von allen Teams im Turnier erzielt. Zehn kamen von drei Spielern: die vier von Griezmann sowie jeweils drei von Dimitri Payet und Olivier Giroud. Gefüttert wird das Trio von Paul Pogba, dem exzentrischen Star von Juventus Turin.
Über ihn sagt der deutsche Mittelfeldspieler und Klubkollege Sami Khedira voller Hochachtung: „Ich habe selten einen Spieler gesehen, der besitzt, was Pogba hat – mit Ausnahme von Cristiano Ronaldo.“
Khedira etwas präziser: „Er hat den Körper, die Technik, die Power, die Geschwindigkeit und die Explosivität. Dazu kann er laufen wie ein Pferd. Und er kann auch noch unglaublich gut kicken.“ Mehr Lob von einem anderen Fußballer kann ein Profi nicht erwarten.
Was diese vier so gefährlich macht: Anders als die Italiener verfallen sie keinem berechenbaren Schema, sondern wechseln die Positionen, wie man es hierzulande nur von Thomas Müller kennt. Darum ist offen, ob Frankreich mit einem Stürmer oder doch mit drei Angreifern aufläuft. „Wir haben viele Formationen einstudiert“, sagt Kapitän Hugo Lloris. „Ich weiß nicht, ob Deutschland wirklich besser ist.“
Frankreich will Revanche
Der Verweis, dass Deutschland seit 34 Jahren alle drei Duelle bei Turnieren gewonnen hat, beeindruckt Trainer Didier Deschamps wenig. Er und nicht der berühmtere Zinedine Zidane war Kapitän der Weltmeister-Elf von 1998, die überraschend im WM-Finale den Favoriten und Titelverteidiger Brasilien mit 3:0 besiegt hat. Er kennt die Unwägbarkeiten des Fußballs, wenn man gegen den Weltmeister spielt.
„Wir können die Geschichte nicht verändern“, sagt Deschamps zu den Pleiten gegen Deutschland 1982, 1986 und 2014. „Aber wir können ein neues Kapitel Geschichte schreiben.“ Auch für Alain Giresse, eines der geschlagenen Fußballidole von einst, wird es Zeit für eine Revanche: „Das ist eine Narbe, die für immer bleiben wird.“
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Dieser nationale Auftrag wiegt mehr als die ständigen Gerüchte, die Pogba umgeben. Angeblich 95 Millionen Euro sollen Manchester United die Dienste des 23 Jahre alten Franzosen wert sein. Er hat denselben Berater wie der Ex-Dortmunder Angreifer Mkhitaryan. Deshalb weiß man in Turin, was man von den Gerüchten, die der umstrittene Agent Mino Raiola streuen lässt, zu halten hat. Da denkt schon jemand an den Geldbeutel nach der EM.
Druck macht sich Pogba selbst genug, er sagt: „Ich will der Beste aller Zeiten werden. Einer, der von der Balleroberung über das Dribbling bis zum Torabschluss alles kann.“
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