Évian-les-Bains. Einst war Stürmer Mario Gomez die Witzfigur im DFB-Team. Vor dem EM-Viertelfinale gegen Italien ruhen die Hoffnungen auf dem Torjäger.

Mario Gomez war in Sorge geraten, er griff am Dienstagabend zum Telefon und schrieb Nachrichten an Freunde und Bekannte. An jene, die in Istanbul leben. Es ist die Stadt, die in jenen Stunden erneut Schauplatz eines terroristischen Anschlags wurde. Mindestens 41 Tote beim Angriff am Flughafen in der türkischen Metropole, der Stadt, in der Mario Gomez sein Geld als professioneller Fußballspieler verdient. Der Stadt, die ihm aus der Krise seiner Karriere verholfen hat. Es macht ihn traurig, was dort vorgeht.

Auch interessant

Er ist gerade weit weg, in Frankreich. Der Fußball, sagt er, hilft, die Sorgen zu verdrängen. Das Spiel, an das er denkt, ist ein wichtiges: EM-Viertelfinale am Samstag (21 Uhr/ live bei uns im Ticker) in Bordeaux, Deutschland trifft mit dem Stürmer Mario Gomez auf Italien. Das Land, in dem die Karriere des heute 30-Jährigen so an Höhe verlor, dass er vieles infrage stellte.

Heute liegt all das hinter ihm. Gomez wirkt wie einer, den das fortschreitende Alter und die Dinge, die ihm widerfahren sind, gelassen gemacht haben. Als junger Kerl schoss er den VfB Stuttgart 2007 zu einer überraschenden Meisterschaft; ein Jahr später wurde bei der EM aus ihm eine Witzfigur, weil er aus zwei Metern über das Tor schoss.

Guardiola wollte ihn nicht

Da fing das alles so richtig an, das Gerede von diesem Fußballer, der die Haare immer so schön und die Bauchmuskeln hart hat. Für die damalige Rekordsumme von 30 Millionen Euro wechselte er 2009 zu den Bayern, traf zuverlässig, aber es begleitete ihn stets der Vorwurf, dass er sich außer mit Toren kaum am Spiel beteiligte.

Löw: "Wir haben keine Angst vor den Italienern"

weitere Videos

    Kein Fußballer, wie ihn der damals neue Münchner Trainer und Ballspiel-Ästhet Pep Guardiola schätzt. Gomez wurde 2013 weggeschickt. Eine Kränkung war das. Der AC Florenz wollte ihn, der in Italien nicht zuverlässig gehobenes Maß darstellt. Ein sportlicher Abstieg. Dann ging’s los: Verletzungen, Formkrisen, Fehlschüsse. Den WM-Triumph der Nationalmannschafts-Kollegen 2014 verpasste er.

    Im Sommer 2015 wechselte Gomez zu Besiktas Istanbul, in die türkische Liga, die nicht gerade zu den stärksten in Europa zählt. Ein weiterer sportlicher Abstieg, so schien es.

    Torschützenkönig bei Besiktas

    Aber am Bosporus blühte der Schwabe wieder auf, wurde in der vergangenen Saison Meister und Torschützenkönig, empfahl sich für die Europameisterschaft mit der Nationalelf. Sein Plan war aufgegangen. „Mein Antrieb war, noch einmal Teil dieser tollen Mannschaft zu sein. Ich bin stolz auf das, was passiert ist und fühle mich so gut wie noch nie in meiner Karriere“, sagt der Angreifer. Gomez musste erst durch die Tiefen Italiens, um sich in neue Höhen zu schwingen.

    Löw setzt auf Italien-Informant Khedira

    weitere Videos

      Zuletzt schickte ihn Bundestrainer Joachim Löw zweimal von Beginn an auf den Platz, beide Male war das deutsche Offensivspiel deutlich gefährlicher, beide Male traf er auf die typische Gomez-Art, die die Fans lieben, wenn er trifft, die die Fans hassen, wenn er nicht trifft. Richtig stehen, richtig lauern, ein Ballkontakt – und dann Glück oder Tragödie. Gomez hat auch damit gelernt zu leben, mit diesem Auf und Ab, das bei ihm noch sehr viel intensiver ausfällt als bei anderen.

      Mit fünf Toren bei Europameisterschaften ist er schon jetzt Deutschlands Rekordschütze – zusammen mit Jürgen Klinsmann. Mit einem weiteren Treffer hätte er den alleinigen Bestwert. „Ich genieße Fußball gerade sehr“, sagt Gomez.

      Gomez mag Italien noch sehr

      Im Viertelfinale gegen Italien dürfte Gomez seinen Platz in der ersten Elf sicher haben. Das Duell des Stürmers mit dem Land, in dem ihm dunkle Mächte scheinbar übel mitspielten, erhöht die ohnehin schon vorhandene Brisanz.

      Berichterstatter aus Italien rücken in diesen Tagen am deutschen Mannschaftsquartier an, um zu fragen, ob sich Mario Gomez jetzt rächen wolle für diese Zeit in Italien. Er lächelt milde und verneint: „Obwohl es sportlich nicht so lief, mag ich Italien noch sehr. Deswegen hege ich da keinen Groll.“