Ascona. . Wer ersetzt Hummels? Soll Deutschland mit Dreier- statt Viererkette spielen? Diese Fragen quälen Bundestrainer Löw zehn Tage vor dem Turnierstart.

Manchmal, wenn Joachim Löw in einem dieser abgedunkelten schwarzen Kleinbusse vorgefahren wird, dann entsteht eine kurze kunstvolle Pause. Die Tür an der Seite schiebt sich Richtung Heck auf, die Kameras der Fotografen und der Fernsehsender sind von vorn auf das Fahrzeug gerichtet. Sie können nicht hineinschauen, nur warten, was passiert. Zwei, drei Sekunden lang geschieht dann nichts. Wie ein geräuschloser Trommelwirbel. Kommt er? Ist er es? Als beabsichtige der Bundestrainer, dass die Antwort möglichst lang im Unklaren bleibt.

Wie bei seiner Mannschaft, um die sich kurz vor dem Ende des Trainingslagers im schweizerischen Ascona und acht Tage vor Beginn der Fußball-Europameisterschaft in Frankreich noch viele Fragen ranken. Zum Beispiel...

Wer ersetzt Marco Reus?

Der Dortmunder schien seinen Platz im linken offensiven Mittelfeld relativ sicher zu haben. Nach seiner verletzungsbedingten Abreise könnten ihn am ehesten Julian Draxler, André Schürrle oder Lukas Podolski ohne größere Umbauarbeiten in der Mannschaft ersetzen. Fraglich nur, ob sie die nötige Qualität und Konstanz mitbringen. Andere Lösung: Der Bundestrainer beordert entweder Mario Götze oder Mesut Özil aus der Mitte des Spiels auf die Seite.

Wer spielt statt Bastian Schwein­steiger im Mittelfeld?

Der Kapitän wird erst während des Turniers zu einer Alternative werden. Seine strategischen Aufgaben werden sich Sami Khedira und Toni Kroos im zentralen Mittelfeld teilen. Gerade in der Vorrunde, wenn der Ball gegen defensive Gegner immer wieder durch die eigenen Reihen zirkulieren soll, wäre auch ein Einsatz des passsicheren Dortmunder Talents Julian Weigl denkbar.

Wer stürmt für Deutschland?

An Mario Gomez entzündet sich die immer gleiche Debatte. Er ist ein Stürmer klassischer Prägung, einer, der in erster Linie Tore schießt, nicht vorbereitet. Mit anderen Worten: Seine Möglichkeiten sind begrenzt, am mitunter feingeistigen deutschen Spiel teilzunehmen. Aber: Bei Besiktas Istanbul hat er die Freude am Fußball in der vergangenen Saison wiedergefunden, er wurde mit 26 Treffern Torschützenkönig der türkischen Süper Lig. „Ich fühle mich so gut wie noch nie zuvor in meiner Karriere“, sagt er nun. Seine körperliche Wucht könnte gegen arg defensive Gegner – wie sie Löw in der Vorrunde erwartet – helfen. „Wir werden von Spieltag zu Spieltag schauen, welche Aufstellung der Bundestrainer wählt. Wenn es ein Spiel für mich wird, dann eins, wenn es drei werden sollten, dann gerne drei. Ich bin da entspannt“, sagt er so ruhig, dass man ihm glaubt. Spielstarke Alternativen im Sturm sind Thomas Müller, Mario Götze und Leroy Sané.

Wie verteidigt der Weltmeister?

Die Defensive scheint derzeit die größte Baustelle zu sein. Denn der Bundestrainer schätzt in der Abwehr eine Dreierkette sehr. Sie verlässlich zu spielen, wäre der nächste gewünschte Evolutionsschritt der Mannschaft.

Immer wieder nach dem Weltmeister-Titel 2014 ließ Löw diese moderne Art der Verteidigung spielen, jedoch meistens in Partien, in denen es um nichts ging. So wie am vergangenen Wochenende beim 1:3 gegen die Slowakei in Augsburg. Doch nicht zum ersten Mal missriet die Interpretation, waren die Räume für den Gegner zu groß.

Wenn es ernst wurde in der Vergangenheit, vertraute Löw zumeist der bewährten Viererkette, in der vermutlich Jonas Hector links und Jerome Boateng als Abwehrchef ihre Plätze sicher haben. Antonio Rüdiger kommt nach bisherigen Eindrücken als erster Vertreter des zu Turnierbeginn wohl noch verletzten Mats Hummels in Betracht. Benedikt Höwedes, der während der WM in Brasilien erfolgreich links verteidigte, hat gute Chancen auf den Posten rechts in der Abwehr. Alternative dort: Joshua Kimmich.

Es ist ein kompliziertes Puzzle. Wie vor jedem Turnier. Aber Joachim Löw wird sehr wahrscheinlich gute Antworten auf die Fragen finden. Darauf deutet zumindest die Vergangenheit hin.