Essen. Dreimal scheiterte Klaus Augenthaler in der ersten Runde des DFB-Pokals. Tagelang hatte er daran zu knabbern - vor allem im Jahr 2001.
Hans-Peter Makan versuchte, sich zu zügeln. „Heute war’s okay“, sagte er. Vielleicht wäre der Libero lieber ausgeflippt wie die anderen 10 000 Fans, nur macht man so etwas nicht vor den Fernsehkameras. Makan hatte mit dem Oberligisten FV 09 Weinheim gerade das Unmögliche geschafft und den Deutschen Meister FC Bayern München mit 1:0 in der ersten Runde aus dem DFB-Pokal geworfen.
Der frischgebackene Weltmeister Klaus Augenthaler hätte den Fußball an diesem 4. August 1990 gern abgeschafft. „Es war für mich immer eine Schande“, sagt der 59-Jährige im Gespräch mit dieser Zeitung, „egal ob als Spieler oder Trainer.“ Augenthaler kennt beides.
Verbandsligist gegen Vizemeister
Dreimal gewann er den Pokal (1982, 1984, 1986), dreimal erlebte er die Erstrunden-Schmach: als Bayern-Spieler 1990 in Weinheim, als Münchener Co-Trainer von Giovanni Trapattoni 1994 gegen Drittligist TSV Vestenbergsgreuth (0:1) und als Cheftrainer 2001 mit dem 1. FC Nürnberg bei Fünftligist SSV Ulm 46 (1:2).
Pokal-Held Thomas Schwechheimer erinnert sich
Thomas Schwechheimer wurde 1990 bekannt, weil durch sein Tor eine unterklassige Mannschaft den Deutschen Meister FC Bayern aus dem DFB-Pokal warf. Der heute 56-Jährige wurde damals zum gefeierten Helden des Oberligisten FV Weinheim 09.
Herr Schwechheimer, war der Treffer beim 1:0 gegen den FC Bayern das Tor Ihres Lebens?
Thomas Schwechheimer: So ein Tor gelingt einem als Amateurfußballer wohl nur einmal im Leben. Es war aber kein schönes Tor, weil es nur ein Elfmeter war. Gegen München trug es aber eine große Bedeutung. 1981 habe ich in der ersten Runde des DFB-Pokals gegen Ludwigsburg in der 120. Spielminute eine Ecke direkt verwandelt. Das war sehenswerter.
Woran erinnern Sie sich noch in dem Spiel?
Schwechheimer: Es war mit 35 Grad Celsius richtig heiß. Die Bayern wirkten nicht frisch und hatten in der ersten Halbzeit keine große Chance. Auch nach meinem Tor in der 28. Minute zeigten die Gegner kaum Gegenwehr. In der zweiten Halbzeit sind wir noch besser gewesen. Wenn man gegen den Deutschen Meister spielt, nimmt man jeden Zweikampf an und versucht alles mögliche. Wir Amateurfußballer waren wie in Trance, unsere Kräfte wuchsen über die Normalität hinaus. Wir hätten 3:0 oder 4:0 gewinnen können. Wir merkten den Bayern in der Schlussphase an, dass sie dachten, es könnte in die Hose gehen.
Sie wurden nach dem Spiel ins Sportstudio eingeladen. Wie war dieser Moment?
Schwechheimer: Eigentlich wollte ich lieber mit der Mannschaft feiern. Bis Mainz war es ein ganzes Stück zu fahren, und ich war erst um halb eins wieder zurück. Da war bei uns nichts mehr los, das hat mich schon geärgert. Aber wann kommt man schon mal als Amateurspieler ins Sportstudio? Drei Tage später sind wir als Mannschaft beim SWR3 aufgetreten.
Was ist es überhaupt für ein Gefühl, im DFB-Pokal gegen den Deutschen Meister zu gewinnen?
Schwechheimer: Man freut sich zwei, drei Tage darüber und wird viel darauf angesprochen. Aber für einen Amateurfußballer ändert sich nichts, das Leben geht weiter. Man genießt den Moment, und dann geht man wieder arbeiten. Wir haben damals auch keine Prämien bekommen, sondern uns direkt auf unser nächstes Punktspiel vorbereitet. (Hendrik Steimann)
Die Kleinen gegen die Großen, das bannt seit Jahrzehnten die Zuschauer vor den Fernsehgeräten. Auch am Wochenende werden wieder viele zusehen, wenn zum Beispiel der Verbandsligist Sportfreunde Dorfmerkingen seine Chance in der ersten Pokalrunde gegen Vizemeister RB Leipzig (Sonntag/15.30 Uhr) wittert.
In den Stadien sitzen dann ausgeruhte Fans, der unterklassige Verein kann locker ins Spiel gehen. „Es ist kein Meisterschaftsspiel, die Teams wachsen über sich hinaus, das Publikum steht hinter dem Außenseiter. Da verkrampfst du sogar als Bundesligist“, sagt Augenthaler. Und: „Im Zweifel pfeifen die Schiedsrichter für die Kleinen.“
Augenthaler hat es 1990 erlebt. Über das Weinheimer Siegtor von Thomas Schwechheimer sagte 25 Jahre später dessen Kollege Siggi Olscha: „Das war kein richtiger Elfmeter.“
Doch für Augenthaler kam es noch schlimmer: „Die Niederlage gegen Ulm war schon sehr, sehr bitter“, erinnert sich der damalige Trainer. Das war 2001. „Es tut einfach weh. Du kommst als haushoher Favorit an und verlierst. Danach fragst du dich: Wie geht es weiter? Dann kommt die Presse, die auf dich einschlägt. Ich habe mir das immer zu Herzen genommen.“
Blamage als Trainer mit dem 1. FC Nürnberg
5000 Zuschauer sahen damals im Donaustadion, wie der Fünftligist nach 60 Minuten gegen den favorisierten Erstligisten 2:1 führte, das Endergebnis, das Nürnberg blamierte. „Da verstehst du die Welt nicht mehr“, sagt Augenthaler. Bis er sie wieder verstanden habe, habe er „zwei, drei Tage mindestens“ gebraucht.
Nach der Ulm-Pleite hatte Augenthaler keine Begegnung mehr im DFB-Pokal. Als er im März 2010 die Spielvereinigung Unterhaching in der Dritten Liga als Trainer übernahm, war sie bereits in Runde eins ausgeschieden. Vor einem Jahr stieg er beim bayerischen Landesligisten SV Donaustauf ein. Aber nur für eine Spielzeit ohne DFB-Pokal.
Heute arbeitet er als Experte für Bayern-TV. Samstag trifft sein Klub auf Drittligist Chemnitzer FC. Augenthalers Gefühl: „Ich glaube nicht, dass die Bayern das unterschätzen.“ Sollten sie auch nicht.