Donezk. Sebastian Kehl wird am Mittwoch 33 Jahre alt - und feiert in Donezk. Der BVB-Kapitän will in dieser Champions-League-Saison “richtig was reißen“ und sagt: „Natürlich weiß man, dass mit steigendem Alter die Chancen geringer werden, noch mal etwas zu holen.“
Draußen hat die Dunkelheit die Stadt längst eingenommen. Mitten in der Schwärze des ukrainischen Abends, jenseits der Hauptstraße, auf der Dreck verkrustete Autos Richtung Stadt dröhnen, leuchtet es Blau. Wie ein verirrtes Raumschiff von einem fernen Planeten liegt sie da, die Donbass-Arena in Donezk. Ein sündhaft teures Luxus-Stadion in dem drinnen im Kellergeschoss Sebastian Kehl sitzt. Mit satter orangener Farbe sind die Wände gestrichen, die Erkennungsfarbe von Schachtjar Donezk. Die Wände leuchten, leuchten wie die Augen von Sebastian Kehl.
Momente der Versöhnung mit der eigenen Karriere
Etwas mehr als 24 Stunden sind es zu diesem Zeitpunkt noch bis zum Achtelfinal-Hinspiel der Champions League (20.45 Uhr/ZDF live und in unserem Ticker) zwischen Schachtjor Donezk und Borussia Dortmund, dem deutschen Meister und Pokalsieger.
Sebastian Kehl ist der Kapitän dieser Mannschaft. Beide nationalen Trophäen hat er im Mai vergangenen Jahres in Empfang genommen, hat sie als Erster in die Höhe gestreckt, wie es sich für einen Mannschaftskapitän gehört. Es waren Momente, die wie eine Versöhnung mit der eigenen Karriere schienen. Eine Karriere, die so exorbitant begann, die aber irgendwann irgendwie den Anstrich des Beliebigen bekam.
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Die Meisterschaft von 2002 fuhren die Stars wie Marcio Amoroso und Tomas Rosicky ein. Die waren schnell weg, als der BVB immer schwerer in finanzielle Not geriet und dem Untergang geweiht war. Sebastian Kehl war auch dann noch Borusse. Als der Kollaps abgewendet war, begannen die Verletzungen. Über Jahre kam Kehl nicht richtig auf die Beine, seine Krankenakte ist lang und vielfältig. Immer wieder kämpfte er sich heran bis ihn der nächste Rückschlag ausbremste. Es kostete ihn Kraft, dem Gedanken ans Karriere-Ende nicht nachzugeben. Seine Beharrlichkeit ist belohnt worden. Mit Titeln, nationalen Titeln.
Sebastian Kehl wird im Kellergeschoss gefragt, ob er schon einmal im Achtelfinale der Champions League gestanden habe. Er schüttelt den Kopf. Die Zwischenrunde war das höchste der Gefühle – zehn Jahre ist das her. Deshalb ist Kehl in Donezk auf einer Mission, seiner Mission. Am Mittwoch wird er 33 Jahre alt, das ist kein Alter. Es sei denn, man ist Fußball-Profi.
„Wir haben uns unheimlich darauf gefreut, Champions League zu spielen, uns international zu präsentieren“, sagt er. Diese Vorrundengruppe mit Manchester City, Real Madrid und Ajax Amsterdam zu überstehen, war schon erstaunlich. Aber Kehl will mehr. „Natürlich weiß man, dass mit steigendem Alter die Chancen geringer werden, noch mal etwas zu holen“, äußert er. Und macht eine kleine Pause. „Aber wir wollen in diesem Jahr richtig was reißen. Und damit fangen wir morgen an.“
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Das Wort Titel vermeidet er. Zum Geheimfavoriten machen den BVB die europäischen Experten. Aber Kehl weiß, dass die Gelegenheit günstig erscheint. Er hat in seinen elf Jahren beim BVB viele Spieler Kommen und Gehen sehen. Stars, Möchtegern-Stars, Mittelklasse - und weniger als das. Nie aber hat er eine so talentierte und Kollektiv denkende Mannschaft um sich gehabt, mit Ausnahmefußballern wie Marco Reus und Mario Götze und Robert Lewandowski. Sie schwirren um den Kapitän herum wie Satelliten, bekommen die Bälle, die er im Mittelfeld gewinnt, und nehmen gegnerische Mannschaften im Nu auseinander. Mit einem ordentlichen Ergebnis am Mittwoch kann der Grundstein für das Viertelfinale gelegt werden. Spätestens dann ist alles möglich. Trainer Jürgen Klopp sagt nur: „Wir haben ganz, ganz Großes vor.“ Sebastian Kehl nickt dazu.
Kehls Vertrag läuft im Sommer 2013 aus
Der Vertrag von Sebastian Kehl läuft im Sommer 2013 aus. Eine Fortführung der Liaison ist längst beschlossen, weil Kehl scheinbar immer besser und konstanter wird. Im vergangenen Jahr leitete sein Fehlpass gegen Arsenal London eine Unglück bringende Champions-League-Saison ein. In diesem Jahr bereitete er einen Treffer zum Heimsieg gegen Real Madrid geistesgegenwärtig vor. Und das soll noch längst nicht das Ende der unendlich schwarz-gelben Geschichte gewesen sein. Das nächste Kapitel soll im Raumschiff von Donezk geschrieben werden.