Dortmund.. Einst echauffierte sich Lars Ricken über die »Typen in Nadelstreifen«, heute ist er selbst Funktionär. Wir sprachen mit ihm über die Wichtigkeit einer Schulausbildung, die Entwicklung von Mario Götze und warum Spieler schon mit 14 einen Berater haben.
Lars Ricken, Sie waren 15 Jahre Profi bei Borussia Dortmund. Heute arbeiten Sie als Nachwuchskoordinator. Zieht es Sie nicht manchmal zurück auf den Platz?
Ricken: Ich mache immer noch Sport, fahre Fahrrad, gehe ins Fitnessstudio. Aber der Zweikampf mit einem anderen Spieler, in dem es darum geht, schneller, besser oder genauer als der Gegner zu sein, der fehlt mir schon.
Fiel es Ihnen schwer, sich an das Funktionärsleben zu gewöhnen?
Ricken: Das hat mich ja nicht von heute auf morgen überfallen. Ich konnte mich darauf einstimmen. Zuletzt habe ich nur noch in der zweiten Mannschaft des BVB gespielt, und auch während meiner Karriere habe ich stets an die Zeit danach gedacht.
Was ist Ihr Aufgabengebiet als Nachwuchskoordinator?
Ricken: Das ist sehr breit gefächert. Zum einen bin ich so eine Art „Troubleshooter“, ein Mädchen für alles. Manchmal helfe ich bei der Vergabe von VIP-Bändchen, dann wieder bei der Budgetplanung für den Jugendbereich. Eigentlich bin ich aber vor allem Schnittstelle zwischen den Profis und der Nachwuchsabteilung. Zusammen mit den Jugendtrainern schlage ich Spieler vor, die mal bei den Profis mittrainieren dürfen, damit Jürgen Klopp sie besser kennenlernt. Außerdem sind da natürlich die Vertragsgespräche mit den Jugendspielern. Schließlich hat mittlerweile fast jeder Spieler einen Berater
Das hört sich nach einem Vollzeitjob an.
Ricken: Die Arbeitszeiten eines Fußballprofis sind natürlich angenehmer (lacht). Aber die Arbeit als Nachwuchskoordinator ist für mich keine Last.
Eine Ihrer ersten Amtshandlungen war es, 2009 den frühreifen Mario Götze von der U17 in die U19 zu versetzen.
Ricken: Das stimmt. Aber ich werde mir jetzt sicherlich nicht die Entdeckung von Mario Götze auf die Fahnen schreiben. Er war damals schon als Top-Talent bekannt. Also habe ich ihn zusammen mit den Jugendtrainern hochgezogen. Weil er bei der U19 auch sehr gut zu recht kam, haben wir ihn zu den Profis geschickt, wenn er neben der Schule mal Zeit hatte.
Wie wichtig ist es, neben der Fußballkarriere zur Schule zu gehen?
Ricken: Das ist mir persönlich sehr wichtig. Schließlich schafft die überragende Mehrheit aller Spieler nicht den Sprung in den Profibereich. Deshalb wollen wir natürlich dafür sorgen, dass unsere Spieler eine gute schulische oder betriebliche Ausbildung bekommen.
Wie kann ein Verein das gewährleisten?
Ricken: Wir stehen im engen Kontakt mit den Schulen. Und wenn es bei einem nicht gut läuft, gehe ich auch schon mal zum Direktor und spreche mit ihm über den Spieler. Wenn ein Spieler weiß, dass er auch in der Schule gute Leistungen bringen muss, um beim BVB zu spielen, wirkt das manchmal Wunder.
Ist es überhaupt möglich, Schule und Fußball unter einen Hut zu bringen?
Ricken: Wenn die Junioren-Nationalmannschaften hinzukommen, wird es schwierig. Mario Götze hatte deshalb einmal 200 entschuldigte Fehlstunden. Da muss ein Spieler also viel Disziplin mitbringen, um das Abitur zu schaffen.
Schlagen Sie nicht die Hände über dem Kopf zusammen, wenn einem Julian Draxler dazu geraten wird, die Schule abzubrechen?
Ricken: Ich würde es zumindest keinem empfehlen. Denn unabhängig vom sportlichen Potenzial kann dir immer jemand in die Knochen springen. Dann ist es wichtig, das Abitur oder eine Ausbildung in der Tasche zu haben. Letztlich ist es aber natürlich die Entscheidung des Spielers.
Sie haben sich damals für das Abitur entschieden.
Ricken: Ganz bewusst. Aber man braucht natürlich auch einen Trainer, der den Schulbesuch ermöglicht. Ich habe zweieinhalb Jahre lang, während meiner Zeit in der Profimannschaft, am Abitur gearbeitet. Das ging aber nur, weil Ottmar Hitzfeld das möglich gemacht hat. Er hat das Vormittagstraining für mich auf den Nachmittag gelegt, damit ich morgens zur Schule gehen konnte.
Scholl und Ricken waren die Ersten „Teenie-Fußballpopstars“
Sie haben mal gesagt, dass heute in der Jugendarbeit vieles anders läuft. Was meinten Sie damit?
Ricken: Die Infrastruktur ist viel besser. Ich musste mich früher immer erst erkundigen, wo das nächste Training stattfinden würde. Und die Umkleidekabinen waren dort teilweise so schlecht, dass der Pilz von der Decke kam. Heutzutage haben wir ein modernes Trainingsgelände mitsamt beheizbarem Kunstrasenplatz. Es gibt einen Kraft- und Fitnessraum. Außerdem ist das Training besser, individueller geworden. Es gibt neben dem Trainer und dem Co-Trainer jetzt auch Athletiktrainer für die Jugendspieler.
Auch Berater sind heute wesentlich präsenter als früher. Wie sehr stört Sie das bei Ihrer Arbeit?
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Ricken: Ich habe vor kurzem mit den Eltern der U14-Mannschaft gesprochen und ihnen gesagt: „Wenn euer Sohn auffällig spielt, bekommt ihr bald Anrufe von Beratern. Und zwar nicht nur einen, sondern ganz viele.“ Das Beste ist es, wenn die Eltern sich selber um die Karriere ihres Sohnes kümmern
Warum nehmen sich dann trotzdem viele junge Spieler einen Berater?
Ricken: Weil es sexy ist zu sagen: „Ich habe einen Berater.“ Sowohl für Spieler, als auch für Eltern. Sie können natürlich gerne ihren Berater haben. Aber dann sollen sie sich zu Hause mit ihm besprechen. Bei uns sitzt kein 14-Jähriger mit seinem Berater am Tisch. So etwas machen wir erst ab dem U17- oder U19-Bereich.
Die aktuellen Jugendspieler sind angeblich erwachsener als ihre Vorgänger. Können Sie auch besser mit den Medien umgehen als Sie seinerzeit?
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Ricken: Definitiv. Sie wachsen in diese Medienwelt hinein und können sich an Spielern orientieren, die ähnliches erlebt haben. Mehmet Scholl und ich waren ja in den Neunzigern die Ersten „Teenie-Fußballpopstars“. Es wusste in den Vereinen niemand, wie man damit umgehen sollte. Ich habe mich damals mit einer Band von Bekannten ablichten lassen und gesungen. So etwas würde heute kein Jungprofi mehr machen. Nach drei schlechten Spielen wird dir so etwas direkt um die Ohren gehauen. Ein Mario Götze kann heute von Jürgen Klopp und Michael Zorc ganz anders abgeschirmt und geschützt werden als vor 15 Jahren.
Was passiert, wenn der BVB jetzt wieder so erfolgreich wird, dass er die Jugendarbeit nicht mehr braucht?
Ricken: Es wird keinen Philosophiewechsel wie auf Schalke geben, wo man sich mit einer jungen Mannschaft für die Champions League qualifiziert hat und dann der große Umbruch kam. Bei uns werden nicht auf einmal fünf 30-Jährige gestandene Profis verpflichtet. Wir werden weiterhin auf junge Talente und unsere eigenen Jugendspieler setzen. (11Freunde)