Gelsenkirchen. Dortmunds grandioser Weg zur Titelverteidigung ist nicht einer schwächelnden Konkurrenz zu verdanken, sondern der eigenen Stärke. Jürgen Klopp hat die Gier nach Siegen zur Tugend erhoben und dafür gesorgt, dass sie auch in München mit Respekt nach Dortmund schauen. Ein Kommentar.
Wer das Ausmaß einer Sensation – und eine solche ist die Titelverteidigung von Borussia Dortmund – deutlich machen will, muss Vergleiche ziehen. Im Fall des BVB ist daran zu erinnern, dass der Verein vor gerade mal sieben Jahren am Abgrund stand, präziser gesagt: „einen Millimeter vor der Insolvenz“, wie es Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke einmal formuliert hat.
Was die rein sportliche Leistung wert ist, verrät der Blick darauf, wie andere Teams im Jahr nach ihrem Meister-Coup abgeschnitten haben. Der letzte Verein, der – neben den Bayern, versteht sich – seinen Titel verteidigen konnte, war, jawohl: Borussia Dortmund (1995 und 1996). In der Folge landeten die größten Überraschungsmeister – Kaiserslautern (1998), Stuttgart (2004) und Wolfsburg (2009) – im „Jahr danach“ auf den Rängen 5, 6 und 8.
BVB kann Saison mit Rekord-Punktzahl beenden
Noch ein anderer Vergleich lohnt: Der BVB (aktuell 72 Punkte) ist drauf und dran, die Saison mit einer Rekord-Punktzahl (bisher 78 von Bayern in der Saison 98/99) zu beenden. Wohlgemerkt: Nach 75 Zählern, die als unwiederholbar galten! Soll heißen: Dortmunds zweiter Husarenstreich ist keiner schwächelnden Konkurrenz, sondern eigener Stärke geschuldet.
Im Umkehrschluss bedeutet das: Die Bilanz der Bayern hätte ihnen in den meisten Spielzeiten locker zum Titel gereicht. Mit 64 Punkten haben sie drei Runden vor Schluss sogar schon einen Zähler mehr auf dem Konto als am Ende der Spielzeit 2000/2001, in der sich Schalke als Meister der Herzen feiern ließ. Von einer Gurkensaison zu sprechen, wäre also, nicht nur wegen des Einzugs ins Halbfinale der Champions-League und ins Pokalfinale, aberwitzig. Kein Bayern-Absturz, Dortmunds phänomenaler Höhenflug ist denn auch das Thema.
Im Sinne einer spannenden, nicht von einem Dominator geprägten Liga wird jeder Fan begrüßen, dass das Imperium nichts unversucht lassen wird, mit aller (finanzieller) Macht zurückzuschlagen. Dabei tut der Immer-noch-Branchenprimus gut daran, die Ursachen des BVB-Erfolges zu hinterfragen. Konnte man doch zuletzt den Eindruck gewinnen, die Bayern richteten sich etwas zu bequem in der lange funktionierenden „Mia-san-mia“-Rolle ein.
Rekordmeister FC Bayern kommt eher altbacken rüber
Auch die Münchner können, wenn ihre Stars bei Laune sind, immer noch begeisternde Spiele abliefern. Aber im Vergleich zum von Leidenschaft und Tempohärte geprägten Dortmunder Spaßfußball kommt der Rekordmeister eher altbacken rüber. Was nicht zuletzt an den Trainern festzumachen ist.
Vor dem ersten Duell in München hatte Jürgen Klopp, der im Fußball die Gier (nach Siegen) zur Tugend erhoben hat, seinen Respekt vor dem Gegner ausgedrückt, indem er einen Sieg nur für möglich hielt, wenn es gelänge, die Bayern auf BVB-Niveau „herunterzuziehen“. Inzwischen hat er es geschafft, dass sich die Bayern allzu gerne am Jugendstil der Borussia hochziehen würde. Das ist vielleicht Klopps größter Erfolg.