Dortmund. . Shinji Kagawa geht in seine zweite Saison bei Borussia Dortmund. Wir haben mit ihm über seine Situation beim BVB nach seiner langen Pause und über die Lage in seiner Heimat Japan gesprochen.

Eigentlich wollte Shinji Kagawa (22) am Freitag rüber nach Leverkusen. Frauen-WM gucken, Japan gegen Mexiko. Doch daraus wurde nichts. An den Anfang hat sein Trainer Training gesetzt; an den Anfang der Saisonvorbereitung von Borussia Dortmund und an den Anfang von Kagawas persönlichem Neubeginn nach einem Mittelfußbruch. Der Himmelsstürmer der letztjährigen Hinrunde ist noch immer geerdet. Er sagt: „Ich will immer auf den Boden gucken.“

Herr Kagawa, wann immer Sie beim Training an den Kindern vorbeigelaufen sind, gab es Gekreische, als sei Justin Bieber leibhaftig am Übungsplatz. Das muss extrem gut getan haben.

Shinji Kagawa: Das war unglaublich. Gerade bei so einem etwas langweiligen und doch anstrengenden Lauftraining ist es eine schöne Erfrischung.

Vor einem Jahr kannte Sie in Deutschland kein Mensch. Am Freitagmorgen hat eine Internet-Suchmaschine Ihren Namen einemillionzweihundertsiebzigtausendmal ausgespuckt. Kurz drauf haben die Kinder gekreischt. Erstaunlich oder?

Kagawa: In der Tat. Aber für mich ist entscheidend, dass ich letztlich nur eine Halbserie gespielt habe. In der Nachbetrachtung wiegt das am schwersten. Es macht mich fertig, dass ich die Rückrunde komplett verpasst habe. Ich glaube zwar schon, dass ich zur Meisterschaft beitragen konnte, aber mein großes Ziel muss es sein, eine ganze Saison durchzuspielen. Für mich gilt weiterhin: Ich will immer auf den Boden gucken – das sagt man so in Japan.

Stichwort Japan: Sie waren in der Spielpause in der Heimat. Was haben Sie erlebt?

Kagawa: Ich bin viel rumgereist, habe Freunde, Familie und meine alte Grundschule besucht. Das war eine gute Zeit, weil ich Kontakt zu vielen Menschen hatte. Ich habe aber im Norden auch die Schäden und das Elend nach dem Erdbeben gesehen. Da wurde mir erst richtig bewusst, dass der Wiederaufbau dort noch sehr, sehr lange dauern wird. Ich habe es mit eigenen Augen gesehen.

Japaner müssen es gewohnt sein, dass die Erde bebt. Inwieweit hat dieses Beben mit anschließendem Tsunami und nuklearer Katastrophe das Land und vor allem die Menschen dennoch stärker verändert als andere?

Kagawa: Das sind Naturgewalten. Wir werden sie auch in Zukunft nicht verhindern können. Aber diese Katastrophe hat im Bewusstsein der Menschen etwas verändert. Risiko-Management ist ein Stichwort.

In Tokio, so heißt es, soll das Leben mittlerweile weitergehen. Inwieweit spielt das Beben noch eine Rolle in der öffentlichen Wahrnehmung?

Kagawa: Die Berichterstattung über das Beben wird immer weniger. Aber die Atomkatastrophe ist noch sehr präsent. Es ist allen klar, dass ganz Japan dieser Region helfen muss.

In Deutschland wurde am Donnerstag endgültig der Atom-Ausstieg besiegelt. Nimmt der Japaner das wahr?

Kagawa: Auch in Japan gibt es eine riesige Debatte in der Politik – aber noch keine einheitliche Richtung.

Zurück nach Dortmund: Sie waren lange verletzt. Was hat Sie diese Zeit gelehrt?

Kagawa: Ich habe gelernt, dass ich mehr auf meinen Körper hören, dass ich schon erste Anzeichen ernst nehmen muss.

Der neue Kader hat eine enorme Dichte im Mittelfeld. Und Trainer Jürgen Klopp hat angekündigt, dass hier niemand spielt, bloß weil er sich in der letzten Saison Meriten verdient hat. Haben Sie Angst um Ihren Platz?

Kagawa: Es ist mir klar, dass ich keine Einsatzgarantie habe. Deshalb werde ich mich ranhalten.

Herr Kagawa, die ersten Fans werden unruhig.Sie be­fürchten, nach Sahin könnte Kagawa der nächste sein, der den BVB verlässt. Beruhigen Sie doch mal die Leute.

Kagawa: Ich kann nur sagen: Ich habe beim BVB einen wunderbaren Platz gefunden, an dem ich Fußball spielen kann. Ich fühle mich einfach wohl hier.

Nuri Sahin hat sich in Dortmund auch sehr wohl gefühlt – ist aber trotzdem nach Madrid gegangen.

Kagawa: Ich kann Nuris Entscheidung nachvollziehen, weil jeder Profi-Sportler immer eine neue Herausforderung sucht. Ich für meinen Teil muss jetzt aber erstmal daran arbeiten, dass ich überhaupt wieder in die Mannschaft von Borussia Dortmund komme. Da hab ich keine Zeit, Gedanken an andere Dinge zu verschwenden.

Aber Manchester United soll bereit sein, für Sie richtig tief in die Tasche zu greifen.

Kagawa: Ich hab davon auch nur aus der Zeitung erfahren.

Thomas Kroth, Ihr Berater, sagt, bei jungen Spielern sei für ihn generell nie das Geld ausschlaggebend für einen Wechsel, sondern die Perspektive. Welcher Verein bietet denn eine bessere Perspektive als der BVB?

Kagawa: Wenn man Champions League im Fernsehen guckt, sieht man großartige Klubs. Man macht sich natürlich viele Gedanken. Da eröffnen sich eine Menge Möglichkeiten, allerdings nur, wenn man gut und konstant spielt.

Champions League spielt der BVB in dieser Saison ja auch. Wird ein Traum wahr?

Kagawa: Traumerfüllung würde ich nicht sagen. Es ist ein Glück.

Sie wollten eigentlich zum WM-Spiel Japan - Mexiko. Was können Fußballer denn von Fußballerinnen lernen?

Kagawa: Mmmh, schwierig…