Berlin.
Seit acht Tagen ist Peer Steinbrück Mitglied im Aufsichtsrat bei Borussia Dortmund. Im Interview spricht der Ex-Finanzminister über den feinen Unterschied zwischen Fan und Sympathisant.
Den eigens für ein Beweisfoto nach Berlin eingeführten Fanschal von Borussia Dortmund möchte der ehemalige NRW-Ministerpräsident und ehemalige deutsche Finanzminister nicht um seine Schultern legen. Dabei ist Peer Steinbrück seit acht Tagen Aufsichtsratsmitglied des BVB. Aber darf er sich auch Fan nennen? Im Interview spricht der 63-Jährige über den feinen Unterschied zwischen Fan und Sympathisant. Und über seine Fußball-Sozialisation, den Kompromiss, der gegen die Leidenschaft steht, und den Moment, in dem er „geheult“ hat.
Herr Steinbrück, eine pikante Frage: Es gibt Fotos, auf denen Sie mit Schalke-Schal zu sehen sind. Können Sie das erklären?
Peer Steinbrück: Das war ein Spiel Schalke gegen Bayern München, und ich war Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen. Glauben Sie, da trage ich einen Bayern-Schal?
Sie sind gebürtiger Hamburger, sozialisiert zum HSV-Fan…
Steinbrück: …damals noch in alten Oberliga- und frühen Bundesliga-Zeiten, ja, heute nicht mehr…
…und Sie haben auch von dem Fußball geschwärmt, den Borussia Mönchengladbach in den Siebzigern gespielt hat. Und jetzt sind Sie Aufsichtsratsmitglied von Borussia Dortmund. Ist es korrekt, wenn man festhält: Sie sind nicht wirklich verortet in einem Verein?
Steinbrück: Das liegt daran, dass ich häufig meine Lebenswelt verändert habe. Ich bin nach dem Abitur aus Hamburg weggezogen. Und als ich ab 1974 in Nordrhein-Westfalen wohnte und später Kabinettsmitglied wurde, da war ziemlich klar: Wenn ich für einen Ruhrgebietsverein bin, dann sind mindestens zwei oder drei andere sauer. Weil ich aber um eine Parteinnahme nicht herum kam, habe ich mich gefragt, wer hat denn deiner Meinung nach den schönsten Angriffsfußball in der Bundesliga gespielt? Und die Antwort war: Gladbach. Das war der Grund, dort auch Flagge zu zeigen, bis hin zu der Möglichkeit, beim Stadionneubau zu helfen.
Wie fanden Sie zum BVB?
Steinbrück: Präsident Reinhard Rauball und Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke, mit denen ich schon in Verbindung stand, als der Verein in äußerste Schwierigkeiten geraten war, sind mit der ehrenvollen Frage auf mich zugekommen, für den Aufsichtsrat zu kandidieren. Die Schwierigkeiten damals waren derart, dass man Angst haben musste um die Lizenz des Traditionsvereins. Und Rauball und Watzke haben das große Verdienst, den Verein wirtschaftlich beispielhaft stabilisiert zu haben, und ich konnte dabei ein kleines Stück mithelfen.
Es gibt Fans des Fußballs generell. Aber die meisten Fans sagen: Es kann nur einen Verein geben…
Steinbrück: Als ich jünger war, war ich auch leidenschaftlicher. Da gab es nur einen oder keinen. Aber je älter ich wurde, desto intensiver habe ich festgestellt, dass andere auch ganz guten Fußball spielen.
Zum politischen Leben gehört die Fähigkeit zum Kompromiss. Der Fußball macht aber gewöhnlich keine Kompromisse.
Steinbrück: Ja. Ein richtiger Fan ist kompromisslos. Der leidet oder er jubelt. Und in der Tat: Politik besteht daraus, dass sie Kompromisse finden muss, weil wir uns ansonsten die Köppe einhauen würden. Ein Kompromiss ist etwas Positives in einer Demokratie. Aber er widerspricht den Leidenschaften eines Fans. Das ist auch klar.
Glauben Sie, dass die Größe, die der Fußball in Deutschland inzwischen erreicht hat, zum Teil eine Kompensationsgröße ist? Überall sieht man nur Kompromisse, und man sehnt sich doch nach einer klaren Position…
Steinbrück: Das galt nur für die Nachkriegszeit. Bezogen auf die enorme Schwierigkeit nach der Zeit von „Adolf Nazi“ wieder eine Identität zu finden, spielen nach meiner Einschätzung drei Faktoren eine enorme Rolle: Das ist das glänzende Grundgesetz. Das ist der D-Mark-Patriotismus. Und das ist die WM 1954. Die war identitätsstiftend. Man hatte wieder eine Position. Übrigens mit anschließend ziemlich mageren Spielen der Nationalmannschaft. 1958 in Schweden war sie erstaunlicherweise wieder da – und hat in diesem unglücklichen WM-Halbfinale gegen Schweden 1:3 verloren. Ich habe geheult. Und wir gingen auch noch in Führung. Durch Hans Schäfer.
Erlebten Sie das am Radio?
Steinbrück: Ja. Hochdramatisch. Das erste Spiel am Fernseher habe ich aber schon 1957 gesehen. BVB gegen den Hamburger SV im Finale der Deutschen Meisterschaft.
Das passt…
Steinbrück: …hm, ich war damals nicht so begeistert. Der HSV ging mit 1:4 unter.
Aber im Nachhinein können Sie die lebensgeschichtlichen Fäden verbinden und mit auf der Gewinnerseite stehen…
Steinbrück: Genau. Ich will endlich einmal auf der Seite der Gewinner sein!
Haben Sie damals abseits von Siegen den HSV als Ihre Vereinsfamilie empfunden?
Steinbrück: Ich kann mich daran erinnern, dass ich sehr häufig zu den Spielen gegangen bin, insbesondere, weil ich damals eine wahnsinnige Karriere als Parkplatzwächter gemacht habe, am Hamburger Volksparkstadion. Das war meine richtige Karriere. Ich habe mich hochgearbeitet von den Fahrrädern über die Motorräder zu den Autos. Dagegen war alles, was später kam, ziemlich harmlos. Und gut daran war auch: Man konnte umsonst die Spiele verfolgen. Zu dieser Zeit war ich vielleicht schon irgendwie ein Fan. Aber nie offiziell in einer Fangemeinde.
Sind Sie denn jetzt Aufsichtsrat UND BVB-Fan?
Steinbrück: Fan, nein, da würden doch alle gestandenen Fans an die Decke gehen, wenn ich das behaupten würde. Nach dem Motto: der blöde Schauspieler. Nein, ich bin Sympathisant der Dortmunder Borussia, seit jeher, nicht erst seit gestern. Und ich habe einen Heidenrespekt davor, wie dieser Verein in den letzten vier, fünf Jahren wirtschaftlich und sportlich geführt wurde. Das ist eine Leistung, die einen sehr für Borussia Dortmund einnimmt.
Wie sehen Sie Ihre zukünftige Rolle beim BVB?
Steinbrück:Mit für vernünftige wirtschaftliche Zahlen zu sorgen. Da kann ich meine Erfahrungen einbringen. Meine Kontakte. In den Ohren eines Fußballfans mag es etwas merkwürdig klingen, aber natürlich ist die Borussia nicht nur ein Sportverein, sondern auch ein Unternehmen.
Bedauern Sie diese Entwicklung nicht? Sie selbst sind doch von einer anderen Zeit des Fußballs geprägt.
Steinbrück: Nein. Diese Entwicklung ist einfach irreversibel. Es ist so, als wolle man die Globalisierung zurückdrehen und die Schotten dicht machen. Wenn sie im europäischen Fußball mitmischen wollen, gibt es keine andere Möglichkeit, als sich so zu professionalisieren. Und die Tendenz des BVB muss natürlich sein, sich auf der europäischen Ebene fest zu etablieren.