Hamburg..

Borussia Dortmund gewinnt in beeindruckender Manier mit 3:1 beim FC St. Pauli, hat nach sechs Bundesligaspielen 15 Punkte geholt. Und stapelt lustig tief.

In keinem anderen Stadion wird dem Besucher so drastisch vor Augen geführt, dass es sich beim Fußball um einen Klassenkampf handelt. Die verbliebenen alten Tribünen am Hamburger Millerntor wirken nach der Vollendung der neuen Haupt- und der neuen Südtribüne sehr, sehr ärmlich, furchtbar geduckt. Als sich Holger Stanislawski an die Analyse der 1:3-Niederlage des FC St. Pauli gegen Borussia Dortmund begab, schien er von der Schizophrenie dieser Architektur nicht gänzlich unbeeinflusst. Zwei Mannschaften hatte er gesehen. Die eine sehr, sehr ärmlich, furchtbar geduckt. Die andere: bessere Leute, echte Herrschaften der Oberklasse.

Diese Einschätzung machte den Pauli-Trainer allerdings ein bisschen einsam. Lange, verkündete Stanislawski mit sorgengefurchter Stirn, lange müsse er sich zurückerinnern, um „ein schlechteres Spiel meiner Mannschaft zu finden“. „Totalausfälle“ hatte er registriert, nicht einen, nicht zwei, nein, „sechs, sieben“. Wäre das tatsächlich so gewesen, hätten die Dortmunder jedoch eine Menge Reisekosten einsparen können. Dann hätte ein Bahnticket für Lucas Barrios ausgereicht. Auseinandersetzungen mit vier- bis fünfköpfigen Trüppchen muss der vom Goalgetter pur (drin das Ding) zum Goalgetter plus (auch mal klug vorbereiten) gewandelte BVB-Stürmer derzeit nicht scheuen. Hat er noch seine Kollegen um sich herum, wird es eben auch für Gegner schwierig, die sich beim Appell leistungsbereit, frisch und vollzählig melden.

Mehr noch als die statistischen Werte, der Tabellenplatz zwei und diese eine Niederlage und diese fünf Siege, die sich zum besten Saisonstart in der Geschichte der Borussia summieren, beeindruckt ja das, was die Elf von Jürgen Klopp einfach auf den Rasen bringt. Disziplin in der Verteidigung, Mut zum Überfall, tiefes Verständnis für das Spiel der Mitspieler, verblüffendes individuelles Niveau, starke Physis, gestärkte Psyche. Dortmunds Trainer hat es sich erlaubt, im Namen der Fans, auch der Pauli-Fans, die ihre Mannschaft trotz des Punkte-Nullers feierten, anzumerken, dass er „übrigens ein gutes Spiel“ gesehen habe.

Nuri Sahin, sein Mittelfeldstratege, schürfte aus tieferen Regionen. Nach dem 1:1, erklärte er, habe man sich „vom Kampf der Paulianer und von den Fans etwas beeindrucken lassen“. Dann aber sei geschehen, was geschehen musste: „Wir haben die individuell bessere Klasse, und die setzt sich am Ende meist durch.“ Eine solche Aussage offenbart ein üppig ausgeprägtes Selbstbewusstsein. Dass Pauli diesem zwischenzeitlich Kratzer zufügen konnte, hätte die Stimmung bei Stanislawski eigentlich heben müssen. Bis zu Minute 26, als Rouwen Hennings den Führungstreffer von Kevin Großkreutz (17.) zur Überraschung der bunt-schwarzen Spaßgesellschaft am Millerntor ausglich, dominierte der BVB nach Belieben. Danach aber, räumte Klopp ein, „war Pauli extrem wild und schnell und stark“: „Wir waren nicht unglücklich über den Halbzeitpfiff.“

Kagawa und Großkreutz besorgten den Rest

Dass der Trainer in der Pause an den Kopfschrauben gedreht haben muss, lässt sich daraus schließen. Shinji Kagawa (50.) und noch einmal der Ur-Dortmunder Junge Großkreutz (60.) besorgten nach jeweils zauberhafter Vorarbeit den Rest. Ob sie es auch ohne Schraubendrehungen bewerkstelligt bekommen hätten, das ist die Frage. Die Gefahr des Einbrechens unter Druck zu minimieren, wird in naher Zukunft wohl die herausragende Aufgabe für Klopp sein. Gelingt ihm die Stabilisierung seiner Frühreifen, dürften die Zukunftsaussichten rosig sein.

15 Punkte weist das Borussen-Konto nun aus. Addiert man diese Punkte, wie es absolut unzulässig, wie es in der Gefühlsmathematik des Fußballs aber durchaus üblich ist, mit einer abstrakteren Größe wie der bisher abgerufenen Klasse, kommt man über dem Daumen zu folgendem Resultat: Borussia Dortmund wird um den Titel spielen.

Gefühlsmathematik jedoch ist nicht die Sache des Westfalen. „Ich denke, mit 15 Punkten ist man immer noch in akuter Abstiegsgefahr“, hat Hans-Joachim Watzke, der Geschäftsführer des BVB, korrekt vorgerechnet. Geht es allerdings exakt so weiter wie bisher, wird die Borussia nach 34 Spieltagen mit 85 Zählern (wahrscheinlich) Meister sein. Die Gefährdung dadurch, dass circa 45 Punkte weniger eingefahren werden könnten, lässt sich dennoch nicht leugnen. Und am Sonntag empfängt man den FC Bayern. Einen knallharten Kontrahenten im Fight gegen den Abstieg.

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