Mönchengladbach. Der BVB gewinnt das Borussen-Duell auswärts mit 1:0. Der zuvor wochenlang glücklose Lucas Barrios erzielt das Tor des Tages – sein erstes in der Bundesliga.
Als es geschafft war, fiel der Jubel nicht euphorisch und schon gar nicht ekstatisch aus. Borussia Dortmunds Spieler waren reichlich geschafft, sie hatten ein anstrengendes Spiel hinter sich, in dem sie Kraft und Nerven gelassen hatten. Aber: Sie hatten dieses wegweisende Auswärtsspiel bei Borussia Mönchengladbach mit 1:0 gewonnen, und nur das zählte. Der BVB kommt dadurch in den ligafreien nächsten beiden Wochen zur Ruhe, während es in Gladbach brodelt. Der Kontakt zu den Abstiegsrängen ist bedrohlich eng.
Bevor das Spiel begann, stellten sich beide Mannschaften am Mittelkreis auf. Alle Spieler trugen Trauerflor, Borussia Mönchengladbach und Borussia Dortmund nahmen Abschied von Rolf Rüssmann, einem Mann, der für beide Vereine viel geleistet hatte: für Dortmund in den 80er-Jahren als Spieler, für Gladbach in den 90er-Jahren als Manager. Es wird auf beiden Seiten einige junge Spieler gegeben haben, die den in der Nacht zum Samstag Verstorbenen nicht mehr kannten. Auf den Rängen aber wussten doch viele der 53 253 Besucher, dass diese Klubs Rolf Rüssmann viel zu verdanken hatten. Während der Stadionsprecher an ihn erinnerte, demonstrierten die Anhänger aus beiden Lagern höchste Wertschätzung durch absolute Stille.
Barrios wirkte manchmal wie ein Fremdkörper
Danach feuerten sie mit Spielbeginn sofort wieder ihre Teams an – allerdings zunächst ohne erkennbare Wirkung. Borussia Dortmund stellte die etwas aktivere Mannschaft in einer anfangs wenig unterhaltsamen Partie, in der Verunsicherung viele Aktionen prägte. Der BVB spielte zumindest gefällig – aber nicht gefährlich. Die Angriffe wurden meist uninspiriert vorgetragen. Spielmacher Tamas Hajnal läuft weiterhin seiner Form hinterher, Angreifer Mohamed Zidan spielte wie so oft fleißig und doch harmlos, und Lucas Barrios, der zweite Dortmunder Stürmer, wirkte manchmal wie ein Fremdkörper. Viel zu oft lag er auf dem Boden, nicht jedes Mal war ein Foul im Spiel.
Torjäger zeichnen sich allerdings dadurch aus, dass sie auch treffen, wenn keiner damit rechnet. In der 38. Minute gab Barrios, der aus Chile mit der Empfehlung als Welttorjäger des Jahres gekommene Argentinier, sein Debüt als Torschütze in der Bundesliga. Mit dem Rücken zum Gehäuse stehend wurde er angespielt, er drehte sich um den Gegenspieler herum und zog trocken aus 19 Metern ab. Aus seiner Sicht links unten neben dem Pfosten schlug der Ball unhaltbar ein. Die Erleichterung darüber war Barrios beim Jubeln anzusehen. Diesen Ballast, den fiesen Verdacht der eventuellen Untauglichkeit auf höherem Niveau in neuer Umgebung, ist er erst einmal los.
Gladbachs Trainer Michael Frontzeck fasste sich an den Kopf. „Es ist bezeichnend für unsere Situation, dass der erste Schuss aufs Tor gleich drin ist“, sagte er. „Wir stecken wirklich in einer schwierigen Phase.“
Nach der Pause drehten die Gladbacher auf
Das Tor fiel zu einer Zeit, als die Gladbacher gerade vorher zu begreifen begonnen hatten, dass es sich um ein Heimspiel für sie handelte, in dem es ihnen nicht verboten worden war, auch mal die Initiative zu ergreifen. Wie sie das allerdings umsetzten, darf erschreckend genannt werden: Ihre Einfallslosigkeit und Umständlichkeit verärgerte ihre Fans maßlos: Zur Halbzeit gab es für die Heimmannschaft zwangsläufig ein kräftiges Pfeifkonzert.
Die Gladbacher hatten darauf gehofft, dass ihnen Rob Friend weiterhelfen würde. Der lange Kanadier, der zweimal an der Ferse operiert worden war, stand erstmals seit fünf Monaten wieder in der Startelf. Doch in der Angriffsmitte boten sich ihm kaum Gelegenheiten, sich in Szene zu setzen. Das lag zum einen an der schwachen Vorbereitung seiner Mitspieler, zum anderen aber auch an der disziplinierten Dortmunder Abwehrarbeit. Besonders stark spielte in der Innenverteidigung Mats Hummels, dem BVB-Trainer Jürgen Klopp den Vorzug vor Felipe Santana gegeben hatte. Im defensiven Mittelfeld spielte statt Hummels der wiedergenesene Sven Bender, der vor zwei Wochen beim 1:1 in Hannover ein beeindruckendes Bundesliga-Debüt gegeben hatte und danach erkrankt ausfiel.
Es war zu erwarten, dass die Mönchengladbacher nach der Pause aufdrehen und ihre Bemühungen um Offensive deutlich verstärken würden. Stattdessen aber potenzierte sich lediglich ihre Unsicherheit. Dortmund kontrollierte das Spiel, gab die Richtung vor: Der BVB wollte das zweite Tor und damit eine Vorentscheidung erzielen. Die Schwarz-Gelben spielten allerdings ihre Angriffe nicht konsequent aus, so dass sie mit der latenten Gefahr leben mussten, doch noch irgendwann bei einer einzigen Unaufmerksamkeit den Ausgleich kassieren zu können.
Dortmund machte plötzlich alles falsch
Und in der 67. Minute wäre es beinahe passiert, als Raul Bobadilla erstmals energisch anzog und sein Solo mit einem Schuss abschloss, der nur knapp am BVB-Tor vorbeistrich. Gladbach wurde nun wach. Spät, aber grundsätzlich noch nicht zu spät. Schon drei Minuten später war es erneut Bobadilla, der mit einem Drehschuss Roman Weidenfeller zu einer Parade zwang.
In dieser Phase machte Dortmund plötzlich alles falsch. Die Ruhe im Spiel war verflogen, die Mannschaft zog sich aus Angst vor einem Gegentreffer zurück, vergaß die Entlastung nach vorne. Gladbach hatte eine Stunde lang das Spiel total verschlafen, jetzt witterte die Elf vom Niederrhein doch noch ihre Chance. Berechtigt, denn die Dortmunder verschenkten die Bälle jetzt schon im Mittelfeld, und selbst einem Top-Techniker wie Nuri Sahin unterliefen ungewöhnliche Abspielfehler. „Wir hätten cleverer spielen müssen“, gab der junge Türke hinterher zu.
Dennoch ergaben sich für die Gäste noch Chancen, um alles klar machen zu können. In der 81. Minute hätten die beiden neuen Stürmer den Gladbachern den K.o. versetzen können. Der für Mohamed Zidan eingewechselte Jakub Blaszczykowski spielte klug auf den für Lucas Barrios eingewechselten Nelson Valdez, doch der verhaspelte sich – ein Manko, das ihm nicht zum ersten Mal vorgehalten werden muss.
Gladbachs Trainer Michael Frontzeck wechselte fünf Minuten vor Schluss die letzte Hoffnung ein: Es kam Oliver Neuville, der Routinier. Doch die größte aller Chancen hatten wieder die Dortmunder. In der 88. Minute erlaubte sich der von dem kurz zuvor für Tamas Hajnal gebrachten Kevin Großkreutz prächtig bediente Jakub Blaszczykowski den Luxus, frei vor dem Tor den Gladbacher Keeper Logan Bailly anzuschießen.
BVB bangte bis zum Abpfiff
So musste der BVB bis zum Abpfiff um den Sieg bangen – den ersten seit dem ersten Spieltag. Am Schluss konnte es den Dortmundern allerdings egal sein, unter welchen beschwerlichen Umständen er zustande gekommen war. Eine durchschnittliche Leistung reichte zum Sieg. Aber an diesem Tag zählten nur die drei Punkte, um das Wort Krise auszuradieren und den Glauben an sich selbst wieder zu stärken.
„Ich bin sehr erleichtert“, gab auch BVB-Trainer Jürgen Klopp zu. „Wir haben zwar heute nicht die Sterne vom Himmel gespielt, aber das war auch nicht zu erwarten. Es war heute superwichtig, den Sieg einzufahren und unseren Fans zu zeigen, dass wir auch mit schwierigen Situationen umgehen können.“
Selbstkritisch analysierte auch BVB-Sportdirektor Michael Zorc die vergangenen Wochen. „Das war heute kein Fußball aus der Feinkostabteilung“, meinte er. „Man hat gemerkt, dass wir lange Zeit kein Erfolgserlebnis hatten. Die Sicherheit hat gefehlt. Wir hinken im Moment unseren eigenen Ansprüchen hinterher. Das war heute ein wichtiger erster Schritt für einen Neustart.“
Sein Gladbacher Kollege Max Eberl hingegen erinnerte daran, dass es Zeit benötige, vier Neuzugänge aus dem Winter und sechs weitere aus dem Sommer zu integrieren. „Die Zeit zum Reifen hat man aber heute nicht“, sagte er und zog ein unmissverständliches, ehrliches Fazit: „Jetzt sind wir im Abstiegskampf angekommen, das muss man ganz klar sagen.“ Kein Widerspruch.