Nach dem Ausbruch von Corona hieß es häufig, viele Fans würden sich abwenden. Doch die Stadien sind wieder voll - auch auf Schalke und beim BVB.

Björn Hegemann sitzt in seinem Büro, dritte Etage in der Geschäftsstelle des zweitmächtigsten Vereins in Deutschland; nebenan brummen die Autos über den Rheinlanddamm, zum Stadion lässt es sich von hier aus in wenigen Minuten zu Fuß schlendern.

Früher fieberte der 31-Jährige auf der Tribüne mit. Heute versucht er, als Leiter der Abteilung Fanangelegenheiten bei Borussia Dortmund, die Anhängerinnen und Anhänger in die Entscheidungen des Klubs einzubeziehen. Will man etwas über die Stimmung an der Basis erfahren, lohnt es sich also, mit Björn Hegemann zu sprechen.

Beim BVB formt nun Edin Terzic die Mannschaft, hier mit Kapitän Marco Reus, der neue Trainer hat zur Euphorie in Dortmund beigetragen.
Beim BVB formt nun Edin Terzic die Mannschaft, hier mit Kapitän Marco Reus, der neue Trainer hat zur Euphorie in Dortmund beigetragen. © Unbekannt | firo

Die Dauerkarten beim BVB und auf Schalke sind vergriffen

„Zum jetzigen Zeitpunkt gewinnen wir den Eindruck, dass sich die meisten der negativen Tendenzen wieder ins Positive gedreht haben, denn die Mehrheit freut sich auf die neue Saison“, sagt er. Und: „Man darf nicht vergessen: Es ist der erste Saisonstart mit Normalbetrieb seit drei Jahren.“

Im März 2020 lähmte die Corona-Pandemie Deutschland, viele Beschränkungen folgten, im Fußball mussten die Fans lange zu Hause bleiben. Die meistbeachtete deutsche Sportart schlitterte fortan von einer gesellschaftlichen Debatte zur nächsten, meist wurde dabei die These verbreitet, dass sich die Menschen vom bezahlten Fußball immer deutlicher abwenden würden. Aber ist das so?

BVB-Geschäftsführer Watzke: "Es gibt objektiv keine Fußballmüdigkeit"

Auf Schalke sind alle 40.000 Dauerkarten vergriffen, in Dortmund alle 55.000. Die Länderspiele der deutschen Nationalmannschaft in diesem Sommer waren ausverkauft, die Quoten im Fernsehen hoch. „Es gibt objektiv keine Fußballmüdigkeit, unser Stadion ist wieder ausverkauft wie vor Corona“, meint BVB-Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke. „Das ist die einzige Wahrheit, die es gibt. Bei mir bimmelt wieder die ganze Woche das Handy, die Leute fragen mich nach Karten und zu allen anderen Themen rund um den Fußball.“

Watzke muss als Vorsitzender der Deutschen Fußball-Liga sein Produkt natürlich verteidigen, doch auch die Wissenschaft gibt ihm durchaus recht. Harald Lange forscht an der Universität Würzburg über das Verhältnis der Fans zum Fußball. Abwendung, sagt er, sei nicht absolut. „Es kann sich wieder angenähert werden. Nach so einer langen Zeit der Abstinenz ist die Sehnsucht nach einem Stadion-Erlebnis groß.“ Zudem weist Lange auf die Höhepunkte in Sachen Fußballromantik in diesem Jahr hin.

Auf Schalke umarmten sich Spieler und Fans nach dem Aufstieg auf dem Rasen. Ähnliche Bilder konnten in Köln nach dem Einzug in den Europapokal bestaunt werden. Auf dem Weg zum sensationellen Europa-League-Triumph der Eintracht eroberten 30.000 Frankfurter das Camp Nou in Barcelona. An all diesen Orten: Euphorie anstatt Müdigkeit.

Ein Schalke-Profi zum Anfassen: Simon Terodde.
Ein Schalke-Profi zum Anfassen: Simon Terodde. © Unbekannt | firo

Kritikpunkte der Fans bleiben

Allerdings lässt die Begeisterung die Punkte, die viele Menschen am Profifußball stören, nicht einfach verschwinden. In diesem Jahr findet die Weltmeisterschaft im Winter in Katar statt, einem Land, das für seine schlechte Menschenrechtslage kritisiert wird. Weiter erreichen die Gehälter der Stars schwindelerregende Höhen. Weiter nimmt in Deutschlands höchster Spielklasse ein Verein wie RB Leipzig, Marketingprodukt eines Getränkeherstellers, einen bedeutsamen Platz ein und hat sogar den DFB-Pokal gewonnen.

Harald Lange prophezeit daher eine zunehmende Auseinandersetzung zwischen den verschiedenen Modellen. Klubs wie Eintracht Frankfurt oder auch der FC Schalke 04 würden merken, dass ihre Tradition und die Verbindung zu den Fans ihre zentrale Währung seien, erklärt Lange. „Für die Fans ist dies eine Chance, denn die Traditionsklubs haben erkannt, dass sie auf ihre Anhängerinnen und Anhänger zugehen müssen, dass sie sie mitnehmen müssen.“ Oder anders formuliert: Schalke verkauft seine Dauerkarten derzeit nicht, weil in Gelsenkirchen Champagner-Fußball zu sehen sein wird, sondern weil sich die Menschen mit dem Verein identifizieren.

„Ohne die Fans können wir nicht existieren, keiner möchte ohne Zuschauer spielen. Das ist das, was Schalke ausmacht. Es ist einfach schön, zu sehen, dass das nicht vorbei ist“, meint Schalkes Sportdirektor Rouven Schröder. „Es ist unsere Aufgabe, dass das so bleibt, dass wir normal sind, dass wir nicht abgehoben sind.“

Für Björn Hegemann ist es wichtig, dass sein Verein die Kritikpunkte der eigenen Fans ernst nehme, dass die Mannschaft Nähe zulasse. „Wenn Corona in Bezug auf den Fußball überhaupt eine positive Auswirkung hatte, dann die, dass durch die Geisterspiele einmal mehr sichtbar wurde, wie wichtig die Fankultur für den Fußball ist“, sagt er. „Für viele Menschen ist Borussia Dortmund die zweite Heimat. Um diese Verbindung zu trennen, muss schon viel passieren.“