Dortmund. Thomas Meunier hat Post ausgetragen und Kunst studiert - jetzt spielt er beim BVB. Hier spricht er über seine ungewöhnliche Laufbahn.

Thomas Meunier (30) hält eine Kaffeetasse in seiner Hand. Gleich beginnt das Vormittagstraining, schon um 9 Uhr morgens möchte der Rechtsverteidiger von Borussia Dortmund über seine ungewöhnliche Karriere sprechen. Der Belgier wurde in der Jugendakademie von Standard Lüttich aussortiert, hat Autofenster in einer Fabrik angefertigt, Briefe ausgetragen. Über den FC Brügge und Paris Saint-Germain führte ihn sein Weg 2020 schließlich zum BVB, wo er in der Vergangenheit auch immer wieder kritisch beäugt wurde. An diesem Freitag soll er gegen den SC Freiburg (20.30 Uhr/DAZN) dabei helfen, Platz zwei in der Bundesliga zu festigen.

Herr Meunier, wir können uns nicht erinnern, jemals so früh einen Termin mit einem Profifußballer gehabt zu haben. Sind Sie ein Frühaufsteher?

Thomas Meunier: Ja, bin ich. Ich habe drei Kinder. Wenn wir morgens trainieren, bringe ich sie zur Schule. Dann stehe ich um 6.30 Uhr auf, kümmere mich um alles und fahre dann direkt zum Trainingsgelände.

Es gab Zeiten in Ihrem Leben, da mussten Sie noch viel früher aufstehen.

Thomas Meunier: Stimmt. Mit 18 spielte ich in der 3. Liga und habe nur 600 Euro plus Prämien verdient, also habe ich nebenbei als Postbote gearbeitet. Da musste ich um 4.50 Uhr aufstehen. Aber der riesengroße Vorteil war, dass mein Arbeitstag um 11 Uhr beendet war. Ich hatte also den ganzen Tag für mich, ich konnte abends zum Training gehen und viele andere Dinge tun. Danach habe ich bei Autovers gearbeitet, in einer Fabrik, die Autofenster herstellte. Das ging von 6 bis 14 Uhr oder von 8 bis 16 Uhr, also ganz klassische Arbeitszeiten.

Teil Ihrer ungewöhnlichen Karriere ist auch, dass Sie mit 14 bei Standard Lüttich aussortiert wurden. Helfen Ihnen diese Erfahrungen?

Thomas Meunier: Auf jeden Fall. Ich war und bin nicht gemacht für die heutigen Nachwuchsleistungszentren. Man geht nur zur Schule, zum Training, wieder zur Schule und wieder zum Training. Ich habe die Erfahrung in der Jugendabteilung von Lüttich genossen, aber zwei Jahre waren genug. Ehrlicherweise war ich froh, weil ich wieder ein normales Leben führen konnte. Ich konnte ins Kino oder mit meinen Freunden einen Kaffee trinken gehen. Das war Freiheit. Und wenn ich frei bin, fühle ich mich gut, dann habe ich auch auf dem Platz Spaß und dann sind meine Leistungen auch besser.

Thomas Meunier (Mitte) und die BVB-Kollegen Emre Can (links) und Donyell Malen.
Thomas Meunier (Mitte) und die BVB-Kollegen Emre Can (links) und Donyell Malen. © firo

BVB-Rechtsverteidiger Thomas Meunier spricht über sein Kunststudium

Diese Erfahrungen fehlen der aktuellen Internatsgeneration meist. Ist das ein Manko?

Thomas Meunier: Das weiß ich nicht. Sie kennen es ja nicht anders. Wenn man sich rund um die Uhr nur mit Fußball beschäftigt, und alle Freunde das Gleiche tun, dann hat das natürlich auch seine Vorteile. Aber für mich war es eben nicht das Richtige.

Sie dagegen haben auch einmal Kunst studiert. Brauchen Sie diesen ständigen Blick über den Tellerrand?

Thomas Meunier: Absolut. Das letzte Jahr war echt schwierig für mich, weil wegen der Pandemie so vieles zu war. Ich war in einer neuen Stadt und konnte sie nicht erkunden, sondern saß mit meiner Frau und meinen Kindern zu Hause. Seit ich 14 oder 15 bin, liebe ich es, neue Städte zu erkunden. Ich mag Kultur, ich treffe gerne Menschen. Zwar gibt es aktuell wieder Einschränkungen, doch seit langsam wieder Normalität einkehrt, also zumindest Museen und andere Einrichtungen wieder geöffnet sind, geht es mir viel besser – und das sehen Sie auch an meinen sportlichen Leistungen, denke ich.

Thomas Meunier: Das BVB-Spiel gegen Frankfurt werde ich nicht vergessen

Kommen wir zum Sport. Der Rückrundenstart in Frankfurt war ein wilder Ritt. Was lief gut und was muss besser werden?

Thomas Meunier: Bei mir oder der Mannschaft?

Beides.

Thomas Meunier: Ganz ehrlich: Dieses Spiel werde ich vermutlich mein ganzes Leben in Erinnerung haben, weil es für mich das beste Dortmunder Spiel war, seit ich hier bin. Ich rede über Aggressivität und Beharrlichkeit, den Willen, die drohende Niederlage nicht einfach so zu akzeptieren.

Kann man das trainieren?

Thomas Meunier: Das steckt tief in dir drin. Als ich zehn Jahre alt war, habe ich zwei Tage geweint, wenn wir ein Spiel verloren haben. Das mache ich jetzt nicht mehr – aber meine Frau wird Ihnen bestätigen, dass es zu Hause nicht so lustig ist, wenn ich ein Spiel verloren habe. Dieser Hunger muss von uns Spielern kommen, die Trainer können uns nur unterstützen.

Sie hatten eine schwierige erste Saison. wurden teils sehr harsch kritisiert. Wie gehen Sie damit um?

Thomas Meunier: Auf Französisch gibt es ein gutes Wort dafür: aseptisé. Das bedeutet, dass man mit der Zeit einen guten Schutz entwickelt. Es klappt leider nicht immer zu 100 Prozent. Aber meistens schon. Auch in Brügge und Paris gab es leidenschaftliche Fans und viel Druck. Inzwischen weiß ich, wann ich Zeitungen oder Soziale Medien nutzen kann und wann besser nicht. Ich lese nicht alles über mich, nur die positiven Dinge (lacht).

Wer ist stärker? Thomas Meunier spielt 2020 in der Champions League mit Paris Saint-Germain gegen den BVB, hier kämpft er gegen Erling Haaland um den Ball.
Wer ist stärker? Thomas Meunier spielt 2020 in der Champions League mit Paris Saint-Germain gegen den BVB, hier kämpft er gegen Erling Haaland um den Ball. © firo

Thomas Meunier über die Arbeit von BVB-Trainer Marco Rose

Mit dem neuen Trainer kam auch eine neue Spielweise, die Ihnen besser zu liegen scheint.

Thomas Meunier: Absolut. Ich bin ein Spieler, der viel Wert auf klare Pläne, Vorgaben und Abläufe legt. Und die bekommen wir vom Trainer. Er hat eine klare Idee, arbeitet mit uns viel an taktischen Dingen. Bei Lucien Favre war es ein bisschen wie in Paris, wo wir Mbappé, Neymar und Di Maria hatten. Der Plan war also: sicher stehen, Ball erobern und ihn den Genies, also Instinktfußballern wie Sancho oder Reyna geben. Aber das ist nicht meine Vorstellung von Fußball. Jetzt haben wir einen klaren Plan und jeder weiß, was er wann zu tun hat.

Warum gibt es dann immer noch diese Defensivprobleme?

Thomas Meunier: Die Bundeliga ist ein harter Wettbewerb mit guten Gegnern. Wir sind eine offensiv spielende Mannschaft, wir kommen immer an den gegnerischen Strafraum heran, was sehr gut ist. Aber wenn man dann seine Aktionen nicht sauber abschließt, kann es gefährlich werden, weil nicht mehr viele Spieler hinterm Ball sind. Die Alternative wäre, dass man sich mit fünf Mann hinten reinstellt und alles dafür tut, kein Tor zu kassieren. Dann wird man aber auch keins mehr schießen. Das wollen wir nicht. Wir wollen den Ball, wir wollen spielen, wir wollen das Spiel entscheiden.

Nur gibt es leider derzeit kaum Menschen im Stadion.

Thomas Meunier: Auch das war und ist hart für mich. Ich bin auch wegen des Stadions und der Fans nach Dortmund gekommen. Die Gesänge, die Rufe, die Unterstützung der Fans – das gibt mir unheimlich viel. Ich bin jetzt anderthalb Jahre hier und habe noch in keinem vollen Stadion gespielt. Das fühlt sich an wie verschenkte Zeit. Wenn ich kein Spieler wäre, würde ich jedes Wochenende in ein Stadion gehen und mir ein Spiel anschauen.

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BVB-Profi Thomas Meunier: "Ich bin geimpft"

Macht Corona Ihnen als Familienvater auch persönlich Sorgen?

Thomas Meunier: Weniger als noch zu Anfang. Ich bin geimpft, meine Frau auch, und nach allem, was man liest, ist Corona für Kinder nicht so gefährlich. Wir tun unser Bestes, um uns zu schützen.

Dieses Jahr wird wieder ein besonderes, auch wegen der WM im Winter. Gastgeber Katar steht stark in der Kritik. Wie sehen Sie das?

Thomas Meunier: Ich habe für Paris Saint-Germain gespielt, die einem katarischen Investor gehören, kenne also ein wenig Land und Umstände, kann aber dennoch wenig darüber urteilen. Ich finde das Thema schwierig.

Sie sind 30, das Karriere-Ende rückt näher. Sie haben Ihren Kollegen in der Fabrik damals gesagt, dass sie zurückkehren werden.

Thomas Meunier: Das war wirklich mein Plan. Aber inzwischen haben sie fast alle das Unternehmen verlassen. Ein deutscher Investor hat die Fabrik übernommen und vieles verändert, und nur einer von zehn Kollegen ist noch da. Es wäre also nicht mehr das gleiche. Wir waren eine tolle Truppe mit jungen Menschen, die immer nur über Fußball geredet haben während der Arbeit. Jetzt gibt es dieses Team nicht mehr – also muss ich mir etwas anderes überlegen.

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