Essen. Joachim Krug gestaltete den Start von RB Leipzig 2009 mit. Im Interview spricht er über Anfeindungen und eine abrupte Trennung trotz Erfolg.

Joachim Krug ist der Sportliche Leiter des Fußball-Regionalligisten Rot Weiss Ahlen. Der 65-Jährige, einst für den VfL Wolfsburg und Westfalia Herne am Ball, hat vor zwölf Jahren die Anfänge von RB Leipzig miterlebt: Er half als Sportchef mit, das große Red-Bull-Projekt auf die Beine zu stellen. An diesem Donnerstag kann der immer noch umstrittene Klub im DFB-Pokalfinale gegen Borussia Dortmund seinen ersten Titel gewinnen (20.45 Uhr/ARD und Sky).

Wie kam es dazu, dass Sie 2009 zum engen Kreis der Verantwortlichen zählten, als RB Leipzig gegründet wurde?

Joachim Krug: Ich hatte bei der Hammer Spielvereinigung gearbeitet und eigentlich mit dem großen Fußball abgeschlossen. Anfang 2009 kam ein Anruf von einem Spielervermittler, den ich lange kannte, und der erzählte mir etwas von einem Red-Bull-Projekt, und dass dafür jemand gesucht wurde, der das Ganze sportlich aufbaut. Ich war nicht abgeneigt, dachte aber eher an eine beratende Tätigkeit. Dann rief mich Andreas Sadlo an, ein Österreicher, der von Red-Bull-Chef Dietrich Mateschitz den Auftrag bekommen hatte, einen Verein in Deutschland zu suchen, mit dem Mateschitz Großes vorhatte. Das fand ich interessant. Red Bull nahm Kontakt zu Klubs wie Fortuna Düsseldorf, KFC Uerdingen oder 1860 München auf, doch keiner der etablierten Vereine war dazu bereit.

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Und so kam die Idee auf, nach Leipzig zu gehen, wo man ganz neu starten konnte, aber auch tiefer anfangen musste.

Anfangs hieß es noch: vielleicht sogar in der Kreisliga C. Das hätte ich nicht mitgemacht. Dann kam Michael Kölmel ins Spiel, der Filmunternehmer und damalige Betreiber des Zentralstadions, in dem nach der Weltmeisterschaft 2006 der große Fußball fehlte. Der war von der Idee schwer begeistert.

Bei Dietrich Mateschitz in Salzburg mussten Sie sich auch vorstellen. Wie war das?

Er ist ein Menschenfänger. Seine Augen leuchteten, als er von dem Projekt erzählte. Ich wusste noch nicht, was daraus wird, aber er hatte klare Vorstellungen. Er war schon damals seiner Zeit um zehn Jahre voraus. Und so habe ich mich dann endgültig dazu entschieden, in Leipzig mitzuarbeiten. Ganz wichtig war natürlich, dass der Oberligist Markranstädt dazu bereit war, uns das Startrecht zu übergeben.

Dietmar Beiersdorfer (li.) und Joachim Krug.
Dietmar Beiersdorfer (li.) und Joachim Krug. © imago sportfotodienst | imago sport

Damit war aber noch lange nicht alles geregelt.

Genau. Wir mussten beim sächsischen Verband klären, ob so etwas überhaupt möglich ist, aber dort gab es Leute, die uns geholfen haben, weil sie nach großem Fußball lechzten. Als nächstes mussten wir klären: Wie stellen wir eine Mannschaft zusammen? Wir haben uns dann für eine Mischung aus zwölf Markranstädtern und zwölf Neuen entschieden, darunter einige ehemalige Profis. Man kann sich gar nicht vorstellen, was alles zu tun ist, wenn man von null auf hundert durchstartet. Das war Pionierarbeit, wir haben sogar Waschmaschinen gekauft. Am Anfang sind wir durch Leipzig gereist und haben Trainingsplätze gesucht. Da fiel auch mal ein Training aus, weil da RB-Hasser mit Baseballschlägern warteten.

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Die Aufregung war groß, der neue Verein mit den hohen Ambitionen und dem großen Geld wurde auswärts oft angefeindet. In Jena gab es Handgreiflichkeiten und Spuckattacken, die Spieler flüchteten zum Bus. Hatten Sie manchmal Angst?

Der gesamte Osten war gegen uns, in Dresden wurde sogar ein abgeschnittener Bullenkopf aufs Spielfeld geworfen. Aber ich bin kein Typ, der sich in die Hosen macht. An­dreas Sadlo und ich haben das umgedreht und aus den Anfeindungen Energie gezogen. Wir haben uns gesagt: Jetzt erst recht.

Schon der Name wurde als Provokation empfunden. Bis heute ist vom Retortenklub die Rede.

Ja, offiziell heißt der Verein Rasenballsport, aber es war ja klar, wofür RB steht. Zum Vorwurf der fehlenden Tradition kann ich aber nur sagen: RB Leipzig wurde 2009 gegründet und wird 100 Jahre später auch Tradition haben.

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Sie haben gleich im ersten Jahr Ihren Auftrag erfüllt, das Team stieg in die Regionalliga auf. Direkt danach wurde Ihnen zum Dank der Stuhl vor die Tür gesetzt. Warum?

Schon im Januar 2010 rumorte es. Das Problem war die Installation von Dietmar Beiersdorfer als „Head of Global Soccer“ für alle Red-Bull-Klubs. Der war dann plötzlich auch für Leipzig zuständig, und man trennte sich von Andreas Sadlo. Mir hatte Beiersdorfer damals noch gesagt, ich könne bleiben. Am Abend der Meisterfeier bat er mich, den Gästen die Mannschaft vorzustellen. Ich habe also die Feier moderiert, und am nächsten Morgen sagt er mir: Auf Wiedersehen, wir haben andere Vorstellungen. Auch Trainer Tino Vogel wurde abgesägt, das war menschlich einfach nicht in Ordnung.

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Mit Beiersdorfer als Vorstandsvorsitzendem gelang in der Regionalliga nicht der angepeilte Durchmarsch.

Das war schon ein Kunststück, da wurde viel Geld in den Sand gesetzt. Hätten die uns damals in Ruhe weiterarbeiten lassen, wäre das nicht passiert. Von Beiersdorfer trennte man sich dann ja auch.

Damals hieß es aus dem Unternehmen, in acht Jahren sollte der Bundesliga-Aufstieg geschafft werden. 2016 war es dann soweit, ein Jahr früher als geplant. War Ralf Rangnick als Sportdirektor der entscheidende Mann?

Ganz klar: ja. Er hat das Hoffenheimer Konzept komplett auf Leipzig übertragen, er ist der Baumeister des modernen RB Leipzig.

Und Sie? Sehen Sie sich als einer der Gründungsväter?

Andreas Sadlo ist deutlich vor mir zu nennen. Ich sehe mich immer als Teamarbeiter, und das, was ich eingebracht habe, war offensichtlich nicht so schlecht. Heute hat der Verein eines der modernsten Trainingszentren Europas. Wir haben damals bei der Stadt dafür gekämpft, das Gelände zu bekommen.

Freuen Sie sich heute über die Erfolge von RB Leipzig?

Sehr, ich fiebere mit. Und ich gönne es RB Leipzig von Herzen, wenn am Donnerstag der erste Titel geholt werden sollte.

Noch immer heißt es: RB Leipzig dient allein dem Marketing.

Die meiste Kritik basiert auf Neid.

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BVB-Chef Hans-Joachim Watzke sagte einmal: „Da wird Fußball gespielt, um eine Getränkedose zu performen“.

Aki Watzke ist ein schlauer Mann. Ich glaube, er hat als Erster erkannt, welche Welle da auf die Bundesliga zukommt. In Leipzig wird sehr gute Arbeit gemacht.

RB Leipzig wird komplett von Red Bull kontrolliert. Auch das widerspricht im deutschen Fußball erheblich den traditionellen Vorstellungen.

Ach, überall, wo ein Sponsor mehrere Millionen gibt, redet der doch auch mit. Ich prophezeie: Auch die großen deutschen Vereine werden eines Tages Besitzer haben wie jetzt schon die englischen. Lauter steinreiche Leute.

Ihr aktueller Verein Rot Weiss Ahlen steht am Tabellenende der Regionalliga. Eine andere Welt.

Ja, das ist das Gegenteil von RB Leipzig. Wir haben uns zwar vorgenommen, noch den Klassenerhalt zu schaffen, müssen aber mit dem geringsten Etat aller Regionalligisten auskommen. Mit dem Geld, was ich da als Sportdirektor zur Verfügung habe, kann ich leider nicht im Feinkostladen einkaufen.