Essen/Norwich. Daniel Farke peilt mit Norwich City den Wiederaufstieg an. Vor dem Spiel gegen Bristol City spricht der Ex-Dortmunder über Corona und den Brexit.

Vor gut anderthalb Jahren schaffte Daniel Farke das „Wunder von Norwich“. Mit einem Team der vermeintlich Namenlosen stieg der 44-Jährige in die Premier League auf. Das zweite Wunder blieb aus: Die „Kanarienvögel“ mussten den Weg in die Zweitklassigkeit zurückgehen. Doch die Erfolgsgeschichte nimmt damit kein Ende. Aktuell ist der gebürtige Ostwestfale, der auch die U23 von Borussia Dortmund trainierte, auf dem besten Weg, den direkten Wiederaufstieg zu schaffen. Nach 24 Spieltagen führt er die Tabelle der englischen Championship an. Vor dem Duell am Mittwoch mit Bristol City spricht Farke über Corona, den Brexit und Aussagen des aussortierten Ex-Gladbachers Josip Drmic.

Herr Farke, in England sind Spiele im Drei-Tages-Rhythmus normal. Müssen Sie manchmal schmunzeln, wenn sie die Diskussionen der Bundesligisten über enge Terminpläne mitbekommen?

Daniel Farke: Mitunter schon. Als ich noch in Deutschland Trainer war, da hat man Ende November die Winterpause herbeigesehnt. In England geht es dann erst richtig los. Ich möchte mich aber auch nicht beklagen, denn ich bin es ja mittlerweile gewohnt.

Der letzte Aufstieg war eine Sensation. Welche Bedeutung hat für Sie die aktuellen Tabellenführung.

Farke: Die Tabellenführung hat für uns einen sehr hohen Stellenwert. Wir spielen die beste Halbserie der Vereinsgeschichte. Dabei war die Situation nicht einfach. In der jüngeren Vergangenheit konnte bisher noch kein Absteiger aus der Premier League die folgende Saison auf Platz eins oder zwei abschließen.

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Wie schwer ist es Ihnen gefallen, sich nach dem Abstieg neu zu motivieren?

Farke: Natürlich macht man sich Gedanken. Allerdings war ich von Anfang an in einer privilegierten Situation. Oft wird nach einem Abstieg der Trainer angezweifelt und entlassen. Stattdessen hat man mich inständig darum gebeten, dass Projekt nicht zu beenden.

In Norwich genießen Sie absoluten Kultstatus. Schon seit einiger Zeit kursieren diverse Fanartikel mit Ihrem Konterfei. Auf der Seite www.redbubble.com kann man inzwischen sogar Atemschutzmasken mit dem Slogan „In Farke We trust“ erwerben.

Farke: Das Vereinsumfeld und auch die Fangruppen lassen sich halt sehr viel einfallen (schmunzelt). Wenn Leute durch die Masken gesund bleiben, dann ist es doch in Ordnung.

Im Sommer waren Sie bei dem ein oder anderen Bundesligaverein im Gespräch. Dachten Sie wirklich zu keinem Zeitpunkt an einen vorzeitigen Abschied?

Farke: Karrierepläne waren für mich nie relevant. Sonst hätte ich nach dem Aufstieg 2019 gehen müssen. Damals hat mir fast jeder gesagt, dass ich Investitionen einfordern solle. Auch nach dem Abstieg haben mir Leute geraten, ein anderes Angebot anzunehmen. Aber ich mache nur Dinge, von denen ich komplett überzeugt bin. Wichtig ist doch nicht, was die Leute sagen, wenn du zur Tür hereingehst. Entscheidend ist, was sie erzählen, wenn du den Raum wieder verlässt. Wenn ich den Verein irgendwann mal übergebe, dann soll sich der Klub in einem ruhigen Fahrwasser befinden.

Könnten Sie sich auch vorstellen, längerfristig in Norwich zu bleiben?

Farke: Mittlerweile bin ich ja bereits im vierten Jahr hier. Das ist im Fußball eine lange Zeit. Man weiß natürlich nie was die Zukunft bringt. Spekulationen sind auch immer ein Stück Kaffeesatzleserei. Aber ich fühle mich hier sehr wohl. Bisher habe ich auch immer alle meine Verträge erfüllt.

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Wäre nicht im Nachhinein mit größeren Investitionen die Chance auf den Klassenerhalt in der Premier League höher gewesen? Im Kader standen viele Talente, aber kaum Spieler mit Erstliga-Erfahrung.

Farke: Wir stehen hier zu unseren Prinzipen. Der Verein finanziert sich fast ausschließlich über das Tagesgeschäft. Die Eigentümer, ein Ehepaar aus der Region, sind mit Herzblut dabei. Aber sie stopfen keine Finanzlöcher. Das Jahr haben wir daher genutzt, um Verbindlichkeiten abzubauen und in die Infrastruktur zu investieren. Im Nachhinein war das die richtige Entscheidung. Denn viele Klubs, die höhere Summen investiert haben, hatten damit nur kurzfristigen Erfolg. Sie stehen jetzt vor Problemen. Als Diplom-Betriebswirt habe ich früh gelernt, einen Verein ganzheitlich zu betrachten und nicht nur von Spiel zu Spiel oder von Tor zu Tor.

Bereits in Ihrer Zeit beim SV Lippstadt 08 haben sie sich neben der Trainerarbeit auch um Themen wie den Bau des Stadions gekümmert.

Farke: Richtig, da war es ähnlich. In Lippstadt habe ich ja als Sportdirektor angefangen und bin erst später Trainer geworden. Klar: Wenn man verliert, herrscht Druck und die Leute sind schnell unzufrieden. Trotzdem sollte man sich davon in seinen Entscheidungen nicht zu sehr abhängig machen. Hier in Norwich habe ich glücklicherweise ein sehr enges Vertrauensverhältnis zu den Eigentümern und zu Manager Stuart Webber, der hervorragende Arbeit leistet. Die Entscheidungswege sind sehr kurz.

In welchen Bereichen hat sich der Klub am stärksten entwickelt?

Farke: Es gibt es viele Punkte, die man nennen kann: Unser Trainingsgelände ist mittlerweile in einem Top-Zustand. Wir konnten unsere Akademie ausbauen und Teile des Stadions zurückkaufen. Da wir Altverbindlichkeiten bedient haben, ist der Verein mittlerweile komplett schuldenfrei. Wichtig war auch, dass wir die Verträge mit den jungen Spielern verlängern konnten. Wenn wir mit einer besseren Ausgangssituation in die Premier League zurückkehren sollten, dann können wir auch größere Transfers stemmen.

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Ihr Kader ist gespickt mit früheren Bundesliga-Spielern. Aufgrund des Brexits bekommen deutsche Spieler in Zukunft nur dann eine Arbeitserlaubnis, wenn sie bestimmte Kriterien erfüllen. Müssen Sie mit Blick auf die Personalpolitik umdenken?

Farke: Für Bundesligaspieler und Nationalspieler wird sich, was die Arbeitserlaubnis angeht, nicht wirklich etwas ändern. Sie werden weiterhin problemlos auf die Insel wechseln können. Eine erhebliche Erleichterung erfahren nun aber die Spieler aus den Nicht-EU-Ländern. Das wird sich zukünftig in der Kaderzusammenstellung auch bemerkbar machen. Das sehe ich schon als Vorteil an. An meiner Grundhaltung wird sich aber nichts ändern: Den Brexit halte ich weiterhin für falsch.

Momentan hält das mutierte Coronavirus den englischen Profifußball in Atem: Viele Experten fordern einen Stopp. Wie erleben Sie die Situation?

Farke: Hier in der Region ist die Situation entspannter als in den großen Städten wie Sheffield oder Manchester. Dort breiten sich die mutierten Viren besonders stark aus. Ich vertraue den Experten, aber zurzeit gibt es so viele negative Themen. Da ist Fußball gerade in einem fußballbegeisterten Land wie England eine willkommene Abwechslung.

Inwieweit verändert sich die Arbeit, wenn ein Thema wie Corona plötzlich den Alltag überlagert?

Farke: Ein Hauptteil der Arbeit ist die Menschenführung. Die Spieler sind keine Maschinen, sondern Menschen mit Kindern und einem privaten Umfeld. Der eine oder andere hat Angehörige, die der Risikogruppe zuzuordnen sind. Das muss man alles berücksichtigen und in manchen Situationen sensibler reagieren. Die früheren Zeiten, in denen man als Trainer mit Angst und Druck gearbeitet hat, sind vorbei. Ich mag keine Eitelkeit im Umkleideraum.

Worauf legen Sie im Umgang mit Spielern besonderen Wert?

Farke: Mir sind eine hohe Transparenz und ein ehrlicher Umgang wichtig: Die Spieler schätzen klare Ansagen. Sie spüren sofort, ob du wahrhaftig bist und zu dem stehst, was du sagst. In der Öffentlichkeit werde ich meine Spieler immer schützen, solange sie alles für die Gruppe tun. Und intern muss man offen und transparent sein. Da mache ich keinen Unterschied zwischen einem Talent und einem erfahrenen Spieler.

Erfolg weckt bekanntlich Begehrlichkeiten. Der 21-jährige Rechtsverteidiger Max Aarons stammt aus der Norwich-Akademie und ist beim FC Bayern München im Gespräch. Offensivmann Emiliano Buendia wird vom FC Arsenal beobachtet. Können Sie einen Abgang dieser Spieler in der Winterpause ausschließen?

Farke: Beide Jungs haben das absolute Potenzial, eine Schlüsselrolle bei Top-Vereinen zu spielen. Aber sie müssen sich noch entwickeln. Ich sehe unter keinem Gesichtspunkt irgendwelche Vorteile in einem Transfer zum jetzigen Zeitpunkt. Weder für uns noch für die Spieler. Wenn Vereine wie Bayern München diese Spieler als Schlüsselspieler verpflichten wollen, dann kann es für beide Seiten Sinn machen. Doch den Markt für Top-Transfers sehe ich erst im Sommer. Im Januar geben Vereine nur dann Geld aus, wenn sie in der Krise sind oder Backups für verletzte Spieler benötigen. Aktuell stehen wir überhaupt nicht unter Druck.

Den früheren Mönchengladbacher Stürmer Josip Drmic möchten Sie gerne freiwillig abgeben. In der Sport Bild beschwerte er sich mit den Worten: „Die Verantwortlichen haben mir alles weggenommen.“ Sind Sie sauer über seine Kritik?

Farke: Josip und ich haben ein sehr gutes Verhältnis und wir haben keinerlei Probleme miteinander. Ich halte ihn für einen ausgezeichneten Stürmer. Einiges lief unglücklich für ihn. Verletzungen, rote Karten und dann hatte er auch unseren Topstürmer Temmu Pukki vor sich, an dem er nicht vorbeikam. Es hat nicht sein sollen. Das kommt vor, aber ändert nichts an unserem Verhältnis und dem gegenseitigen Respekt.