Essen. Thomas Tuchel verlässt im Unfrieden Paris. Sein Erfolg und seine fachlichen Qualitäten machen ihn aber zu einem großen Trainer. Ein Kommentar.
Es dürfte vermutlich nicht wenige BVB-Anhänger geben, die nun, da der Rauswurf von Thomas Tuchel bei Paris St.-Germain offiziell ist, sagen werden: Musste ja so kommen. Wer sich an das Frühjahr und den Sommer im Jahr 2017 zurückerinnert, weiß, dass es kein von Harmonie geprägter Abschied von Borussia Dortmund war. Dass Tuchel jetzt also beim französischen Serienmeister PSG entlassen wurde, dies mit einem kolportierten einstündigen lautstarken Streit mit Sportdirektor Leonardo, bestärkt diejenigen in ihrer kritischen Haltung, die dem fachlich unglaublich versierten, aber im sozialen Umgang oft ungelenken Spitzentrainer keine Träne nachweinen.
Mehr News und Hintergründe zu Borussia Dortmund:
- Der BVB im Auf und Ab: Watzke zieht gemischte Zwischenbilanz
- BVB rechnet mit der Rückkehr Erling Haalands ins Team
- BVB, Schalke, VfL Bochum, RWE und MSV: So geht es für die Revierklubs 2021 weiter
- Rückfall in Berlin: so wird der BVB seine Ziele verfehlen
Dies mag in Dortmund sogar durch die schwarz-gelbe Brille gesehen verständlich sein, wo vom BVB-Fan bis hin zur Vereinsführung noch immer der Klon des vermeintlich volksnahen, extrem kumpeligen Motivationskünstlers Jürgen Klopp herbeigesehnt wird. Eine Haltung, an der auch Lucien Favre nur scheitern konnte. Aber Fußballtradition, Empathie und Verbundenheit zu den Fans sind nun wirklich die letzten Begriffe, mit denen man PSG in Verbindung bringt.
Tuchel war beim BVB wie bei PSG anspruchsvoll, aber auch rücksichtslos
Tuchel mit seiner höchst anspruchsvollen, beruflich professionellen, zuweilen aber auch rücksichtslosen Herangehensweise schien wie geschaffen für den Klub, der mit Millionen und Milliarden aus Katar gesteuert wird. Für Gefühlsduselei ist, was den Fußball betrifft, in der Stadt der Liebe kein Platz, das haben schon andere vor ihm erfahren. Aber Tuchel ist ja auch gar nicht daran interessiert, mit seiner Frau und dem Emir aus Doha Skat zu spielen, wie es das Ehepaar Klopp einst beim BVB mit Watzke genoss.
Meister und Pokalsieger in Frankreich zu werden, sind nicht die Kriterien, nach denen die Trainer bei PSG allein bemessen werden. Deswegen wird auch nicht der eine Punkt Rückstand in der Ligue 1 auf Spitzenreiter Olympique Lyon der Grund für die Demission gewesen sein. Der ständige Zwist mit Leonardo, die vermisste Anerkennung seiner Leistung hat Tuchel schwer zugesetzt. Mit seiner Art hat er sich aber auch mal wieder selbst im Weg gestanden.
Unter Tuchel bestand beim BVB Hoffnung auf die Meisterschaft
In seinen zwei Dortmunder Jahren fand Tuchel weder zu den BVB-Verantwortlichen noch zu den meisten Spielern einen echten Draht, sodass sich auch durch schwierige Phasen mal gemeinsam gehen ließe. Obwohl Borussia Dortmund gerade in der ersten Tuchel-Spielzeit, die mit der Vizemeisterschaft und zehn Punkten Rückstand auf den FC Bayern endete, einen mitreißenden Fußball spielte, sodass damals noch berechtigt die Hoffnung keimte: Die Meisterschale muss ja nicht immer nach München gehen.
In Paris aber schaffte es Tuchel als erster PSG-Trainer, aus einem Starensemble, aus einer Ansammlung von Individualisten, ein Team zu formen, in das sich sogar Egozentriker wie Neymar einordneten. Die Abschiedsworte von Kylian Mbappé lassen erahnen, dass Tuchel von den Spielern respektiert wurde. Das Resultat hätte im zurückliegenden Sommer sogar der Triumph in der Champions League sein können, den man sich in Doha so sehr wünscht. Blöd nur, dass die Bayern ein noch außergewöhnlicheres Jahr hatten als Paris.
BVB, PSG - und dann? Tuchel sucht nun einen neuen Job
Diese beachtenswerte Arbeit – auch ohne den letzten großen Titel – ist es, die Tuchel nicht als Verlierer aus der rund 30-monatigen Liaison gehen lässt. Der Rauswurf hat ihm in keinerlei Hinsicht geschadet, sein Name liegt nun im obersten Trainer-Regal. Nach dem Ende beim BVB und einem Sabbatjahr bei PSG anzufangen, war ein Aufstieg. Jedoch: Viel bessere Aussichten auf den Gewinn der Champions League als in Paris wird er aufgrund der weiter sprudelnden Geldquellen in Katar aber nicht bekommen. FC Barcelona? Real Madrid? FC Chelsea? Vielleicht irgendwann mal der FC Bayern? Das sind Aufgaben, die seinen Qualitäten entsprechen - die Jobs aber sind schwierig zu bekommen. Nur auf einen Klub sollte er besser nie setzen: auf den FC Liverpool. Das wäre wahrlich kein geeigneter Arbeitgeber, wenn der Tag kommt, an dem Jürgen Klopp mal nicht mehr Trainer an der Anfield Road ist.