Dortmund. Im Derby feiert der BVB einen hochverdienten 4:0-Sieg gegen Schalke, setzt ein Zeichen im Titelkampf - und vergrößert die Sorgen beim Rivalen.

Michael Zorc konnte tags darauf von einem Gefühl berichten, das er so aus einem Revierderby gar nicht kennt: „Die letzten 20 Minuten waren entspannter als sonst in einem Derby“, sagte der Sportdirektor von Borussia Dortmund am Sonntag im Gespräch mit dieser Zeitung.

Kein Wunder, da führte Borussia Dortmund ja bereits 4:0 gegen den großen Rivalen Schalke 04, zwei Tore hatten die Borussen pro Halbzeit geschossen. Und bei allen Verrücktheiten, die man in der reichen Geschichte dieses Duells schon erlebt hat, deutete nichts darauf hin, dass dieses Spiel auch nur ansatzweise kippen könnte. Zu überlegen waren die Dortmunder, zu überfordert die Gelsenkirchener, denen spielerisch und taktisch eine Lehrstunde erteilt wurde.

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La-Ola-Jubel vor der leeren Südtribüne

Und so gönnten sich die Dortmunder sogar ihr gewohntes Ritual, sie versammelten sich vor der leeren Südtribüne zum gemeinsamen La-Ola-Jubel – in gebührendem Abstand natürlich, denn es galten ja die strengen Hygiene-Vorgaben der Deutschen Fußball-Liga.

Der Bundesliga-Neustart nach zehn Wochen Pause war gelungen – organisatorisch und aus Dortmunder Sicht auch sportlich. „Wir haben das sehr souverän und dominant gestaltet“, lobte Zorc, man müsse „der Mannschaft und dem Trainerteam ein Riesenkompliment machen. Ich habe viele Automatismen gesehen, die wir aus unserem Spiel vor der langen Pause kannten“.

Wagners lange Mängelliste

Zu erwarten war das nicht zwingend gewesen. Erst eine gute Woche zuvor waren die beiden Teams ja ins Mannschaftstraining eingestiegen, doch fehlende Automatismen waren vor allem bei den Gästen aus Gelsenkirchen zu sehen.

Und so legte Gäste-Trainer David Wagner nach Abpfiff eine lange Mängelliste vor: Man habe „Tore kassiert, die relativ einfach wegzuverteidigen waren“, man habe sich „durch individuelle Fehler in Bedrängnis gebracht“, habe Defizite im Verteidigen der richtigen Räume gezeigt und nicht genügend Druck auf den Ball bekommen. Das Offensivspiel erwähnte er erst gar nicht, darauf hatte seine Mannschaft ja auch weitestgehend verzichtet.

Die vielen Verletzten beim BVB fielen nicht auf

In den ersten fünf Minuten präsentierte sie sich noch ebenbürtig, presste sie aggressiv und drängte sie das Spiel so in die Dortmunder Hälfte. Doch bald hatte sich der BVB darauf eingestellt. Vor allem die überragenden Julian Brandt und Raphael Guerreiro fanden immer wieder gigantische Räume im Rücken der vorrückenden Schalker.

Die brillant herausgespielten Tore durch Erling Haaland (29.), Raphael Guerreiro (45./63.) und Thorgan Hazard (48.) fielen fast zwangsläufig. Dass die Leistungsträger Axel Witsel, Emre Can, Marco Reus und Dan-Axel Zagadou fehlten, dass Giovanni Reyna sich nach dem Aufwärmen ebenfalls abmelden musste und Jadon Sancho nur auf der Bank saß? Fiel nicht weiter auf. Und auch mit der ungewohnten Atmosphäre ohne Zuschauer kamen die Dortmunder bestens zurecht.

Das Torwartproblem bleibt Schalke erhalten

„4:0 gegen Schalke, das ist ganz okay“, sagte Lucien Favre – und das war eine weitere gute Nachricht aus Dortmunder Sicht, dass es nämlich durchaus noch Luft nach oben gab. Der souveräne Auftritt nährte die Hoffnung, dass Geisterspiele der eigenen Mannschaft sogar entgegenkommen, weil es den spielerisch meist unterlegenen Gegnern schwerer fällt, mit hoher Emotionalität dagegen zu halten.

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Den Schalkern zumindest gelang dies nicht, und das war nicht die einzige beunruhigende Erkenntnis, die sie auf die kurze Heimreise mitnahmen: Das schon länger schwelende Torwartproblem ist über die Corona-Pause hinaus erhalten geblieben, Markus Schubert trug an zwei Gegentreffern eine gehörige Portion Verantwortung. „Dementsprechend war die Torhüterleistung auch nicht tadellos“, urteilte Wagner. „Aber das gehört zur Entwicklung eines jungen Torhüters.“

So wird Schalke den Europapokal verpassen

Dass auch von den Mitspielern niemand Normalform erreichte, war ein schwacher Trost. David Wagner beteuerte zwar, dass die Qualität im Training sehr viel höher sei als im März, dass man zudem gezielt an den Schwächen in Abwehr und Angriff gearbeitet habe. „Das müssen wir nun viel schneller in die Spiele transportieren“, forderte der Trainer.

Die Corona-Krise hat die Geldsorgen im ohnehin klammen Klub dramatisch verschärft, Schalke bräuchte eigentlich dringend Einnahmen durch den Europapokal. In der Form vom Derby aber wird das nicht mehr als ein frommer Wunsch bleiben.