Dortmund. Der Ball rollt wieder. Unser Reporter war beim Geisterderby zwischen dem BVB und Schalke im Stadion – und erlebte eine sterile Veranstaltung.

Vielleicht ist es die Macht der Gewohnheit, vielleicht ist Norbert Dickel auch nur um ein Stück Normalität bemüht. „79. Minute, Wechsel bei unserem BVB“, ruft der Stadionsprecher von Borussia Dortmund in sein Mikrofon. „Mit Applaus verabschieden wir unsere Nummer 23, Thorgan Hazard!“ Aber woher soll der Applaus denn kommen?

213 Menschen, mehr sind es nicht am Tag des Bundesliga-Neustarts im Dortmunder Stadion, das sonst 81.365 Menschen fasst. Diese Zahl hat die Deutsche Fußball-Liga vorgegeben als Obergrenze in ihrem 51 Seiten starken Hygienekonzept „Sonderspielbetrieb im Profifußball“, mit dem der Spielbetrieb in Corona-Zeiten gesichert werden soll.

Geisterderby zwischen BVB und Schalke: Bei Journalisiten wird Körpertemperatur gemessen

Dazu gehören Spieler, Trainer, Stadionbetreiber, Sanitäter, eine acht Personen starke Delegation für die Heimmannschaft, vier Personen sind es für das Gästeteam. Einige Mitarbeiter fürs Fernsehen und zehn schreibende Journalisten. Die wenigsten von ihnen sind zum Klatschen gekommen. Sie alle aber erleben das ungewöhnlichste Derby der Bundesligageschichte, was nur am Rande damit zu tun hat, dass der BVB den Revierrivalen Schalke 04 mit einem 4:0-Sieg demütigt.

Dass an diesem Tag nichts so sein würde, war ja vorher klar. Am Tag vor dem Spiel geht eine Mail an die Journalisten mit einem Fragebogen für die Einlasskontrolle. Der Berichterstatter muss bestätigen, dass er keine Covid-19-Infektionen hat, auch keine Symptome, dass er keinen Kontakt zu Infizierten hatte und dass er sich im Klaren ist über das Restrisiko, sich im Stadion zu infizieren.

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Den Weg vom Parkplatz – auch ein anderer als sonst – zum Stadion markiert ein rot-weißes Flatterband, das zu einem Pavillon führt. Hier werden nicht nur, wie sonst auch, die Taschen kontrolliert, sondern auch die Körpertemperatur wird gemessen. Bei 38 Grad wäre der Arbeitstag beendet, bevor er richtig begonnen hat.

Auch bei BVB gegen Schalke: Der sonst dreckige Fußball ist nun steril

Mit Maske im Dortmunder Stadion im Einsatz: Unser Reporter Sebastian Weßling.
Mit Maske im Dortmunder Stadion im Einsatz: Unser Reporter Sebastian Weßling. © Sebastian Weßling

„36,9 Grad, sie dürfen weiter“, sagt die Dame mit dem Thermometer. Glück gehabt. Der nächste Gang führt zum Desinfektionsmittelspender, und wenn man so will, ist das schon einmal ein Vorgeschmack auf das, was einen erwartet: Fußball hat sonst etwas Dreckiges, das gehört zu seiner Faszination, heute aber wird alles sehr viel steriler sein als sonst.

Auch auf der Pressetribüne sind die Plätze neu vergeben, der Mindestabstand muss ja eingehalten werden. Journalisten, die sonst vor dem Spiel gerne und reichlich die Köpfe zusammenstecken und die sich seit Wochen nicht gesehen haben, begrüßen sich aus sicherer Distanz. Vermutlich lächeln sie dabei, zu sehen ist es nicht – Gesichtsmasken sind auch hier vorgeschrieben.

Ab 14 Uhr durften sie ins Stadion und ab 14 Uhr sind die meisten da. Dabei gibt es nichts zu sehen, nichts zu hören – aber um dieses Nichts geht es ja heute: Wie sieht er aus, wie fühlt er sich an, der Fußball zu Corona-Zeiten, ohne Zuschauer und mit strengen Auflagen? In Dortmund: grau. Ohne Zuschauer, die hüpfen, schreien, pöbeln ist auch dieses sonst so stimmungsvolle Stadion nicht viel mehr als eine große Menge Beton und Stahl.

Bei BVB gegen Schalke: Die Grenzen zwischen Schutzmaßnahmen und Symbolik sind fließend

Über den Rasen geht nun, eine Stunde vor Anpfiff, ein BVB-Betreuer und erspäht weit oben auf der Tribüne einen Schalke-Mitarbeiter, der mal für Dortmund gearbeitet hat. Ein Winken und ein Ruf, den sein Gegenüber sogar hört und versteht – undenkbar unter gewöhnlichen Umständen. Aber es ist ja niemand da, der Krach machen kann, und selbst das musikalische Achtziger-Neunziger-und-das-Beste-von-heute-Gedudel, auf das in kaum einem Bundesliga-Stadion mehr verzichtet wird, ist deutlich leiser als sonst.

Um 14.42 Uhr betritt Markus Schubert den Rasen und ist damit der erste Schalke-Torhüter seit Menschengedenken, der dabei keinen einzigen Pfiff zu hören bekommt. In einer Ecke des Stadions gibt derweil Schalke-Trainer David Wagner das obligatorische Interview vor dem Spiel. Das Mikrofon hält ihm ein TV-Mitarbeiter an einer zwei Meter langen Stange hin. Mindestabstände, wohin man schaut.

Auch auf der Ersatzbank, die auf die Osttribüne verlegt wurde. In 1,50 Meter Abstand sind die Sitze montiert und die Spieler, die die ganze Woche im Hotel aufeinander hockten, tragen Mundschutz. Die Grenzen zwischen Schutzmaßnahmen und Symbolik sind fließend.

Als hätte der BVB eine engagierte Gelsenkirchener Bezirksauswahl eingeladen

Ein Pfiff von Schiedsrichter Deniz Aytekin eröffnet die Partie und spätestens jetzt wird klar, wie weit entfernt die Bundesliga trotz des Neustarts noch entfernt ist von Normalität. Normalerweise wird es jetzt laut, dieses Mal – nun ja. Jonas Friedrich ist gut zu verstehen, der das Spiel für Sky mit Maske kommentiert. Man hört wie Schubert auf dem Platz brüllt: „Alle rauuuuus!“ Mahmoud Dahoud schreit: „Geh drauf, geh drauf!“

Es klingt nach Bezirkssportanlage, nach Testspiel, als habe der BVB sich zur Vorbereitung eine engagierte Gelsenkirchener Bezirksauswahl eingeladen – ein Eindruck, den das sportliche Geschehen auf dem Rasen auch nicht wirklich widerlegt.

Dabei ist es nicht das erste Mal, dass es ungewohnt leise ist in diesem Stadion. Im März 2016 kollabierte ein Mann auf der Tribüne, die Fans beider Mannschaften stellten den Support ein. Aber wenn 81.000 Menschen schweigen, ist das trotzdem laut. Es grummelt, es wispert, es brummt, es klingt nach Bienenstock. Dieses Mal aber ist da: nichts.

Dieser Fußball ist ganz anders, er ist ein Mittel zum Zweck.

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Selbst auf den Presseplätzen fehlt die übliche Spannung. Auf dem Platz spulen die Spieler ihr Programm sachlich herunter, bis zur ersten kleinen Rudelbildung dauert es 23 Minuten. Schiedsrichter Aytekin kommt bis zum Abpfiff des Spiels mit nur vier gelben Karten aus. Überkochende Emotionen? Fehlanzeige. Selbst bei den Toren wird ja nun mit Abstand gejubelt, da ist kein Ausbruch großer Gefühle.

So soll der Fußball also aussehen in den nächsten Wochen? Bis Saisonende, möglicherweise bis Jahresende? Eine freudlose Vorstellung. Es muss sein, um den Fußball zu retten, wie wir ihn kennen, das haben die Verantwortlichen in den vergangenen Monaten immer wieder betont. Aber dieser Fußball ist ganz anders, er ist ein Mittel zum Zweck. Wie eine Gehhilfe, die ein Verletzter benutzt in der Hoffnung, dass er damit lernt, wieder richtig zu laufen.

Mit einem Mal schrillen drei Pfiffe durch das Stadion und es ist vorbei. Normalerweise packen die Reporter nun hektisch zusammen, beobachten noch mit einem Auge, wie Fans und Spieler feiern oder trauern, und hasten dann in die Katakomben, um die Spieler nach ihren Eindrücken zu fragen. All das entfällt. Per WhatsApp werden Fragen formuliert für die virtuelle Pressekonferenz der Trainer. Die verabschieden sich auf dem Rasen gerade in gebotener Distanz, BVB-Trainer Lucien Favre bedankt sich per Fuß-Kontakt bei Aytekin. „Sauber, Männer“, brüllt der Dortmunder Verteidiger Lukasz Piszczek über den Platz.

Sauber? Es war mehr als sauber. Es war klinisch rein. Steril eben.