Dortmund. . Die Bundesliga ruht, das BVB-Stadion bleibt leer. Wo sonst Fans jubeln, fühlen sich nun Tiere wohl. Wie fühlt sich die Leere auf Europas größter Stehplatztribüne an? Ein Besuch, natürlich samstags um 15.30 Uhr

Um 15.30 Uhr prasselt plötzlich der Regen, der gar nicht angekündigt war, noch heftiger auf das Dach über der Südtribüne. Die grauen Steine neben dem Platz färben sich durch das Wasser dunkler und dunkler. Ein paar Pollen schweben durch die Luft. Die Belüftungsanlage röhrt. Von irgendwo draußen knarzt der Lärm eines Motorrads herüber. Gelegentlich rattert ein Zug über die benachbarten Gleise, den man hier, oben in Block 80 auf Europas größter Stehplatztribüne, normalerweise an diesem Samstag nicht hören würde.

BVB-Fans sind laut wie ein Presslufthammer

Denn eigentlich hätte sich Borussia Dortmund hier mit Hertha BSC um drei Bundesliga-Punkte gebalgt. Eigentlich wären wieder mehr als 80.000 Fans in das Dortmunder Stadion geströmt, fast 25.000 davon auf die Südtribüne, die dafür gesorgt hätten, dass der Schall die Grundmauern vibrieren lässt. Laut Experten grölen Fußball-Anhänger so laut wie ein Presslufthammer. Deswegen können Anwohner rund um das Stadion Push-Mitteilungen auf dem Smartphone deaktivieren, der Jubelschrei bei einem Tor dringt schon so in ihre Wohnzimmer.

Nächster digitaler Spieltag des BVB

Ganz alleine war unser Reporter nicht im Stadion. Denn der BVB hat am Samstag erneut seinen digitalen Spieltag durchgeführt. Dabei können Fans über eine virtuelle Stadionweg-Karte für alle teilnehmenden Betriebe spenden, bei denen sie normalerweise für ihr Bier oder den Kaffee gezahlt hätten. Die Aktion wird eingebettet in eine Live-Sendung aus dem Dortmunder Stadion.

Nun aber verschreckt die Coronavirus-Pandemie die Welt, Großveranstaltungen sind in Deutschland mindestens bis zum 31. August verboten. Der Bundesliga-Spielbetrieb ruht bis zum 30. April, Anfang Mai soll die Saison wieder angepfiffen werden. Zuschauer werden jedoch noch lange fehlen. Wie fühlt sich die Leere auf der Südtribüne also an?

Es sind vor allem die an den Geländern prangenden Aufkleber, die von den fehlenden Anhängern zeugen. Fanklubs werben für sich. Der Deutsche Fußball-Bund wird beleidigt, Schalke sowieso. Spaß-Bildchen wechseln sich mit politischen Botschaften ab. Nazis sollen verschwinden. Die „Fußballfans gegen Homophobie“ demonstrieren für Gleichberechtigung. Eine schwarz-gelbe Liebeserklärung sorgt mit ihrer Erinnerung an ehemalige BVB-Flops für Schmunzeln. „Thomas Häßler und René Schneider, Victor Ikpeba, Matthew Amoah, Ahmed Madouni und Philipp Degen. Borussia Dortmund – trotzdem und grad deswegen“, steht auf dem großen Sticker geschrieben.

Zudem scheinen sich die Tiere wohlzufühlen. Einige Bienen summen. Eine Spinne hat sich ihr Netz quer über die Stufen gespannt. Oben am Dach streckt eine Taube ihr Hinterteil raus und stolziert über ein Geländer.

Verzückend wirkt die leere Südtribüne dabei nicht, eher zweckmäßig betoniert wie eine Plattenbau-Siedlung. Die Anhänger verleihen diesem Ort nun mal seinen Glanz, seine Einzigartigkeit, seine Farbtupfer. Seit dem Ausbau 1998 drängen und schmiegen sich hier 25.000 Fans aneinander, das Coronavirus würde wohl Purzelbäume vor Freude über die Verbreitungsmöglichkeiten schlagen. Daher bleibt das laut der renommierten britischen Tageszeitung The Times beste Stadion der Welt verwaist. Gewöhnen möchte sich daran niemand.

Es fehle die Gemeinschaft, „die Auszeit vom Alltag, die Mischung aus Spannung und Adrenalin“, erklären Sascha Dohn und Nico Gärtner vom BVB-Fanklub Bergisch Bees, die normalerweise auf Block 14 der Südtribüne stehen. Die Mitglieder würden die gemeinsamen Fahrten zu den Spielen vermissen, berichtet Kay Strucks, der 1. Vorsitzende der Ratinger Borussen, die Karten über das Fanklub-Kontingent beziehen, daher auch im Süden anfeuern. Derzeit versuche man, sich über die sozialen Medien aufzumuntern.

BVB-Boss Watzke vermisst die Spiele mit Fans

„Ich kenne die leere Südtribüne gut, weil ich zurzeit manchmal, um Kraft zu tanken, alleine durch das Stadion gehe und vor ihr stehen bleibe“, sagt Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke. „Natürlich fehlen mir die Spiele mit unseren Fans sehr, aber die Pandemie-Situation ist leider so, wie sie ist. Wir müssen das Beste daraus machen.“

Immerhin könne der Klub im Stadion an den Dingen schrauben, die im Alltag ansonsten liegen bleiben würden, berichtet Organisationsleiter Christian Hockenjos. „Als unter anderem für das Stadion Verantwortlicher wünsche ich mir natürlich eine andere Auslastung.“ Durch die Geisterspiele droht dem BVB, dass sich bis zu 15 Millionen Euro an eingeplanten Ticketeinnahmen in Luft auflösen.

Ganz unten im Innern der Tribüne huldigen die Ultras mit Graffitis den Champions-League-Siegern von 1997 und dem BVB-Vereinsgründer Franz Jacobi. Durch den Durchgang zu Block 13 schimmert das Licht, das Grün des Rasens strahlt. Auf einem Aufkleber steht: „Borussia, geh nie vorbei.“ Derzeit müsste es heißen: „Geh wieder los.“