Dortmund. Der BVB ist bei Standardsituationen anfällig. Trainer Favre weist Zweifel an der Dortmunder Raumdeckung zurück und sieht die Probleme anderswo.
Lucien Favre gerät mehr und mehr in Fahrt: „Du darfst nicht nur antizipieren, du musst in den Zweikampf, in die Luft gehen“, sagt der Trainer von Borussia Dortmund, trommelt dreimal schnell auf den Tisch und wirft dann die Hände nach oben. „Du musst einen Sprung machen.“
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Dass Favre vor dem Bundesligaspiel beim SC Freiburg am Ostersonntag (15.30 Uhr/Sky) energisch wird wie selten, liegt an einem Thema, über das sie beim BVB eigentlich gar nicht mehr reden wollen, das aber doch immer wieder Gesprächsthema wird: das Abwehrverhalten bei hohen Bällen im Allgemeinen und Standardsituationen im Besonderen. Erst jüngst gegen Mainz 05 hatte Borussia Dortmund nach einer 2:0-Führung erst den Anschlusstreffer nach einem Eckball und später fast auch noch den Ausgleich kassiert. Und das Spiel war kein Einzelfall.
„Wir sind nicht aggressiv genug“, hatte Kapitän Marco Reus schon nach dem 0:5 beim FC Bayern München geschimpft. „Wir gucken vor dem Spiel immer Standardsituationen der Gegner an, die müssen wir besser verteidigen. Wir stehen nur, wir müssen die Männer besser aufnehmen. Wir müssen auf dem Sprung sein.“ Genau das, was Favre eben Zeigen will mit seinen wirbelnden Armen. Aber „wir sind da einfach unaufmerksam und kassieren da zu viele Gegentore“, monierte Reus, nachdem sich der BVB zwei Gegentreffer nach einem ruhenden Ball und einen weiteren durch eine hohe Flanke aus dem Halbfeld hatte einschenken lassen.
15 Gegentore durch Standards bereits
„Wir müssen uns besser verhalten, wir müssen uns cleverer verhalten in diesen Situationen“, hatte schon Sebastian Kehl geschimpft, der Leiter der Lizenzspieler-Abteilung, als beim 3:1-Sieg gegen den VfB Stuttgart der Gegentreffer aus einem Freistoß resultierte. Die Dortmunder Standardschwäche, sie lässt sich auch durch Zahlen belegen: 36 Gegentore musste die Borussia in der laufenden Bundesliga-Saison hinnehmen, 15 davon fielen nach ruhenden Bällen. Nur bei Hannover 96 (21), Freiburg (19) und Bayer Leverkusen (18) sind es mehr.
Aus der Freiburger Anfälligkeit will Trainer Favre aber nicht hergeleitet wissen, dass gegen die Breisgauer aus der Luft keine Gefahr droht. „Sie sind darin auch gut“, sagt er. „Sie haben Spieler, die kopfballstark sind, das ist gefährlich.“ Aber gefährlich sei es ja immer bei hohen Bällen, meint der 61-Jährige und verweist auf die Champions-League-Partien unter der Woche, bei denen Ajax Amsterdam, Juventus Turin und Tottenham Hotspur allesamt nach ruhenden Bällen trafen. „Standards und hohe Bälle sind wichtig“, meint Favre, „es ist athletischer geworden.“
Das ist ja ein Grund, warum er auf der linken Abwehrseite seit Wochen beharrlich den gelernten Innenverteidiger Abdou Diallo statt der Fachkraft Marcel Schmelzer aufbietet: Diallo ist mit 1,86 Metern Körpergröße rund fünf Zentimeter größer und damit theoretisch die bessere Wahl bei Luftduellen. Praktisch allerdings hat sich das noch nicht in erhöhter Stabilität niedergeschlagen – weshalb auch schon die Frage auftaucht, ob die in Dortmund praktizierte Raumdeckung bei Standardsituationen wirklich der Weisheit letzter Schluss ist.
"Fast jede Mannschaft in Europa spielt so"
Doch Favre winkt energisch ab, wenn man ihm so kommt: „Wir verteidigen wie 99 Prozent aller Mannschaften, mit einem Mix aus Zonendeckung und Manndeckung in der Zone“, sagt er. „Fast jede Mannschaft in Europa spielt so.“ Dass ein Spieler einem anderen kreuz und quer durch den Strafraum folgt, hält er für absolut sinnlos, es schüttelt Favre regelrecht beim Gedanken an dieses Stilmittel aus grauer Taktik-Vorzeit. „Niemand macht das, keine Mannschaft auf der Welt“, bekräftigt er nachdrücklich.
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Auch seine Vorgesetzten sehen das Problem weniger im Plan als in der Ausführung: „Natürlich verteidigen wir im Raum“, sagt Sportdirektor Michael Zorc. „Aber wenn der Ball unterwegs ist, muss ich mich schon ein wenig an Ball und Gegner orientieren und kann dann nicht einfach stehen bleiben.“ Fast wortgleich drückt es Kehl aus: „Natürlich spielen wir in gewissen Bereichen Raumdeckung, aber trotzdem ist man dann irgendwann auch mal verpflichtet, den Mann zu übernehmen und mitzugehen.“
Was also tun? „Wir müssen daran arbeiten, genau wie viele andere Mannschaften“, sagt Favre. „An Antizipation, Sprung, Timing – das dauert.“ Allzu viel Zeit aber hat der BVB nicht mehr, noch fünf Spieltage sind es bis zum Saisonende.
Und wer wie der BVB am Ende ganz oben stehen will, sollte bis dahin möglichst wenig Gegentore kassieren – auch und gerade aus der Luft.