Leverkusen. . Der BVB dreht ein verloren geglaubtes Spiel in Leverkusen. Doch der neue Spitzenreiter will von Spannung im Titelkampf (fast) nichts wissen.

Der Abend glitt ins Persönliche ab. Und es fehlte nicht viel, da wäre denkbar gewesen, dass Lucien Favre im Laufe des Sonntags aufgeregt nach der Nummer des zuständigen Mieterschutzbundes blättert, was im übrigen eine sehr heitere Vorstellung ist. Seit dem Sommer arbeitet Favre als Trainer für Borussia Dortmund. Das Haus, das er in Dortmund zur Miete bezog, gehört einem Mann, den er am Samstagabend in Leverkusen traf: Heiko Herrlich, früherer BVB-Spieler, jetzt Bayer-Trainer und in dieser Funktion nach dem schmerzhaften 2:4 (2:0) nicht gerade allerbester Laune. Immerhin ließ er sich zu keinerlei Niederträchtigkeit hinreißen. „Die Miete wird nicht erhöht“, sagte er und rang sich sogar ein Lächeln ab.

Favre saß daneben, breit grinsend wie selten. Was sollte er auch sonst tun nach einem Abend wie jenem, an dem sich jede Art von potenziellem Schaden mal wieder verflüchtigt hatte? Mit einer gigantischen Schlussphase und vier Toren in den letzten 25 Minuten hievte sich dieser weiter ungeschlagene BVB an die Tabellenspitze.

Endlich wieder aufregend

Damit verbunden zwei Botschaften. Eine, die intern Genugtuung hervorruft: Schwarz-Gelb ist nach Monaten des Darbens wieder aufregend. Und eine, die in die verzweifelte Republik wirkt: Die Liga könnte nach Jahren der Langeweile durch bajuwarische Dominanz wieder einen Titelkampf erleben.

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Wobei dieses Thema stets die Verteidigungsstrategie heraufbeschwört. „Wenn du es schon vorher beschreist, haben die Bayern alle Warnsysteme hochgefahren“, hatte BVB-Boss Hans-Joachim Watzke jüngst in einem Interview mit dieser Redaktion verraten: „Du musst sie erwischen, wenn sie sie gerade alle runtergefahren haben.“ Daher hält man sich bedeckt. Es sei „verfrüht, irgendwelche Titelhoffnungen zu schüren“, meint Sebastian Kehl, Leiter der Lizenzspielerabteilung. Schließlich hatte der BVB auch in der vergangenen Saison nach acht Spieltagen die Tabelle angeführt, dann aber einen verheerenden Absturz erlebt. „Ich denke“, sagt Kehl, „dass uns das nicht wieder passieren wird, weil wir stabiler sind“.

Auf Glück folgt Spektakel

Als Beleg dafür ließe sich die Partie in Leverkusen heranziehen. Mitchell Weiser (9.) und Jonathan Tah (39.) brachten Bayer in Führung. Ein drittes Tor verhinderten der Innenpfosten und Torwart Roman Bürki. „Wir haben die richtigen Maßnahmen und Worte gefunden und auch das nötige Glück gehabt. Aber die Moral und das Tempo – das war schon ein richtiger Punch“, sagt Sportdirektor Michael Zorc. „Das war mitreißend und spätestens ab der 60. Minute brutal gut. Es hat uns nicht mehr auf der Bank gehalten.“

Dortmund ist die Mannschaft der Stunde. Das 7:0 gegen Nürnberg war der zweithöchste Sieg der eigenen Historie, einen 0:2-Rückstand auswärts hatte der BVB noch nie aufgeholt. „Solche Ergebnisse geben richtig Schub“, sagt Kehl. Sieht Zorc ähnlich. Aber: „Wir müssen lernen, richtig mit solchen Erlebnissen umzugehen. Das 7:0 gegen Nürnberg hat dazu geführt, dass wir die Partie in Leverkusen nicht gut begonnen haben.“

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Dass es gut endete, dafür sorgten in einem wahren Spektakel Jacob Bruun Larsen (65.), Marco Reus (69.) und Paco Alcácer (85./90.+4). Tor zwei und drei gerieten so schön, dass man sie für Fußball-Ästheten hätte rahmen wollen. Alcácer, der neue Stürmer, hat nun für drei Bundesliga-Tore 51 Minuten gebraucht. Der Einwechselkönig Jadon Sancho benötigt für eine Vorlage im Schnitt 21 Minuten. Hinter Marco Reus (4 Tore, 4 Vorlagen) ist er der Top-Scorer der Liga (1/5). Mit einem doppelten Doppelpass hob das Duo Leverkusen beim zweiten Tor aus den Angeln. „Wir haben auf und neben dem Platz eine besondere Verbindung“, sagt Sancho, der englische Impulsgeber, gerade 18 Jahre alt. „Jadon ist noch ein A-Jugendspieler. Das ist brutal gut. Er hat Sachen drauf, die ich selten gesehen habe“, schwärmt Zorc und vergleicht das Talent mit einem, der ein ähnliches Phänomen war, den der BVB aber 2017 für mehr als 100 Millionen Euro verließ: „Auch wenn Jadon ein anderer Spielertyp ist: Das Ausmaß, in dem seine Aktionen nicht zu verteidigen sind, erinnert mich an Ousmane Dembélé.“

Dortmund hat die Leichtfüßigkeit vergangener Tage wiedergefunden. Und auch das Selbstvertrauen. Es soll durch die letzten beiden Partien vor der Länderspielpause tragen. „Wir haben die große Chance, mit drei Punkten einen wichtigen Schritt zu machen“, sagt Sebastian Kehl vor dem Duell mit der AS Monaco in der Champions League am Mittwoch. Danach wartet am Samstag der FC Augsburg. Und die Republik auf weitere Antworten, ob es einen spannenden Titelkampf geben könnte. „Etwas Hoffnung“, sagt Kehl dann doch, „können die Fans sicher haben“.