Dortmund. Seit Juli ist Peter Bosz Trainer bei Borussia Dortmund. Erstmals gibt er ein Zeitungs-Interview. Er redet über den BVB, Israel, Cruyff und mehr.

So will Peter Bosz das nicht stehen lassen. „Früher in den Niederlanden“, sagt der Trainer von Borussia Dortmund, „hat man über mich gesagt, dass ich immer böse gucke und nie lache. Aber das ist ein falsches Bild.“ Wir trafen den 53-Jährigen, der den BVB zurück an die Tabellenspitze geführt hat und am Samstag (15.30 Uhr) beim FC Augsburg antritt, zu seinem ersten Zeitungs-Interview in Deutschland. Eins vorweg: So böse ist er gar nicht.

Herr Bosz, Sie sitzen hier und schauen raus ins Stadion. Haben Sie sich schon an den Anblick Ihres neuen Wohnzimmers gewöhnt?

Peter Bosz: Kann man sich jemals daran gewöhnen in dem Sinne, dass es Routine wird? Ich denke nicht! Ich bin seit drei Monaten in Dortmund, aber es kommt mir vor, als wäre ich erst drei Wochen hier. Alles ist so schnell gegangen, ich war ja noch Trainer von Ajax Amsterdam im Sommer.

Was ging in Ihnen vor, als das Angebot vom BVB kam?

Bosz: Das war ein sehr gutes Gefühl. Dortmund ist eine der beiden besten Mannschaften in Deutschland. Wenn so ein großer Verein aus einer der größten Ligen in Europa anfragt, dann ist man stolz und aufgeregt.

Aber?

BVB-Trainer Peter Bosz (r.) im Gespräch mit Daniel Berg (l.) und Thomas Gassmann (2. v. l.). Außerdem im Bild: BVB-Mediendirektor Sascha Fligge (2. v. r.).
BVB-Trainer Peter Bosz (r.) im Gespräch mit Daniel Berg (l.) und Thomas Gassmann (2. v. l.). Außerdem im Bild: BVB-Mediendirektor Sascha Fligge (2. v. r.). © Felix Heyder / FUNKE Foto Services

Bosz: Kein aber. Ich hatte ein sehr gutes Jahr in Amsterdam. Am Ende war es so, dass ich wusste, dass es bei Ajax für mich nicht weitergehen würde. Das haben wir dann auch gemeinsam so entschieden.

Klingt als wären Sie sehr konsequent.

Bosz: Das war ich immer schon. Ein Beispiel: Als ich jung war, wollte ich immer Profi-Fußballer werden. Ich habe deshalb viele Jugendsünden - z.B. Alkohol oder Zigaretten - nicht begangen. Meine Freunde gingen in die Disko und ich war zu Hause, um genug zu schlafen. Als ich 16 war, bin ich zu Vitesse Arnheim gegangen, wurde mit 17 Profi und habe dort drei Jahre gespielt. Aber das war vor dem Bosman-Urteil. Nachdem der Vertrag abgelaufen war, kostete man also immer noch eine Ablösesumme. Ich fand das unglaublich. Nach den drei Jahren wollte ich frei sein. Das war für mich logisch. Dann habe ich - denn ich hatte als Spieler nie einen Berater - mit dem Präsidenten verhandelt. Er sagte, ich könne mehr Geld verdienen. Ich sagte, dass mir das nicht wichtig sei, sondern, dass ich lieber am Vertragsende ablösefrei sein wollte. Er erklärte mich für verrückt. Dann bin ich freiwillig zurück gegangen zu den Amateuren, habe zunächst dort gespielt und mich am Vertragsende freigekauft.

Entweder oder, Herr Bosz

Schoko- oder Vanilleeis? Natürlich Vanilleeis. Ich liebe es seit meiner Kindheit.

Fahrrad oder Auto? Motorrad. Ich fahre gerne durch die Landschaft. Dabei kann ich gut entspannen.

Rap oder klassische Musik? Rap. Das höre ich ja jeden Tag zwangsläufig in der Kabine.

Party oder Kaminabend? Party.

Rembrandt oder Warhol? Warhol.

Strand oder Berge? Strand.

Camping im Wohnwagen oder Hotel? Hotel.

Smoking oder Jeans? Jeans.

Wegschmeißen oder behalten? Behalten. Ich kann mich unglaublich schlecht von Dingen trennen.

Bondscoach oder Vereinstrainer? Jetzt Vereinstrainer. Und später vielleicht mal Bondscoach.

Für wieviel?

Bosz: 25.000 Gulden. Ungefähr 12.000 Euro. Weil ich das Geld selbst nicht hatte, habe ich mir einen Verein gesucht, der es aufbringen konnte.

Sie sagen, Geld sei Ihnen nicht wichtig.

Bosz: Geld spielt für mich eine untergeordnete Rolle. Es ist nicht das Wichtigste im Leben, da gibt es viel Wichtigeres. Und ich glaube daran, dass das Geld von allein kommt, wenn man Qualität hat und hart arbeitet.

Was ist Ihnen denn wichtig?

Bosz: Familie, Freunde, Freundschaft, Ehrlichkeit. Dass ich den Leuten, mit denen ich arbeite, vertrauen kann. Und dass sie sich wiederum auf mich verlassen können. Das Leben zu leben, ist auch wichtig. Klar, wir müssen sehr hart arbeiten, aber jeder muss auch mal loslassen. Das ist schwer, aber das lernt man.

Wie haben Sie es gelernt?

Bosz: Als ich ein junger Trainer war, dachte ich, der Tag müsste mehr als 24 Stunden haben. Ich dachte, ich müsste auch um 23 Uhr noch arbeiten, müsste noch diesen Spieler sprechen und jenes vorbereiten. Heute sage ich: Ok, es ist 23 Uhr, jetzt ist Schluss, wir trinken einen Wein und schalten ab, es ist alles getan! Erfahrung hilft dabei zu wissen, wann und warum man etwas tun muss. Und ich glaube, dass die Qualität der Arbeit dadurch auch besser wird, als wenn man ständig zu wenig schläft und zum Getriebenen wird. Wir haben lange Tage, machen unsere Stunden, erledigen alle wichtigen Punkte akribisch. Aber wenn ich nach Hause komme, ist es mir wichtig, dass meine Frau da ist und dass wir dann zusammen sind und uns entspannen können.

BVB-Trainer Bosz über seine Entscheidung, Trainer in Israel zu werden 

Wie entspannen Sie?

Bosz: Rotwein hilft (lacht). Ich interessiere mich für Wein, mag gerne schwere, spanische oder italienische Rotweine. Ich war als Profi drei Jahre in Frankreich, in Toulon, und dort habe ich von meinen Mitspielern viel über die französische Weinkultur gelernt. Die haben übrigens auch an Abend-Spieltagen mittags einen kleinen Rotwein getrunken. Alle Spieler mit dem Trainer. Das habe ich nicht gemacht! Aber von solchen unterschiedlichen Erfahrungen zehrt man. Ich bin sehr glücklich, dass ich in Frankreich war. Ich bin sehr glücklich, dass ich Japan gesehen und in der Bundesliga gespielt habe, im Osten, in Rostock. Das sind interessante Stationen. Genauso wie meine Entscheidung, als Trainer nach Israel zu gehen. Alle haben mich gefragt: Was machst du jetzt? Du gehst nach Israel? Nachdem man Trainer in Holland war, geht man nach Spanien, Deutschland oder England, sagten sie.

Auch interessant

Warum haben Sie es gemacht?

Bosz: Jordi Cruyff war damals Sportdirektor bei Tel Aviv und hat mich zwei Jahre lang fast jeden Monat angerufen, ob ich nicht kommen wollen würde. Ich lehnte immer ab, bis ein Freund zu mir sagte: ,Du sagst immer nein zu einer Sache, die du gar nicht kennst. Warum sagst du nicht: Ok, ich gucke mir das an?' Das habe ich gemacht. Und wenn man einmal dort ist, ist es großartig. Tel Aviv ist sehr schön.

Welche Rolle haben sportliche Erwägungen gespielt.

Bosz: Die sportliche Herausforderung ist immer das Wichtigste. Wie hier in Dortmund. Aber das ist das eine. Ich versuche auch hier, alles mitzubekommen und Wurzeln zu schlagen. Ich bin nicht nach Tel Aviv gegangen, weil dort die Strände so schön sind. Das war eine sportliche Entscheidung. Aber ich versuche dann eben auch die Sprache zu lernen und alles aufzusaugen. Das ganze Leben.

Sie mögen es, Neues auszuprobieren?

Bosz: Ja, das muss man als Trainer. Welche Spielsysteme wenden andere Trainer an? Wie lassen Sie trainieren?

In Tel Aviv haben Sie auch Jordis Vater, die niederländische Legende Johan Cruyff getroffen.

Bosz: Das stimmt. Ich bin seit Kindesbeinen an Fan von ihm gewesen. Für mich und meine Philosophie über Fußball war er sehr wichtig. Mit 15 oder 16 Jahren wusste ich bereits, dass ich Trainer werden möchte. Mit 19 hatte ich schon meine Trainerlizenzen. Meine Freunde und ich haben damals alles gesammelt, was Cruyff über Fußball sagte. Damals gab es noch kein Internet, wir haben Zeitungen gekauft und Artikel ausgeschnitten. Ein Freund hat am Ende ein Buch darüber verfasst, wie Johan über Fußball denkt, über Jugendfußball, über Offensive, Defensive, Organisation. Und das alles über einen Zeitraum von 20 Jahren. Sehr, sehr interessant. Bei Ajax habe ich mit jemandem zusammen gearbeitet, der sechs Jahre lang Co-Trainer unter Cruyff in Barcelona war. Vor dem Europapokalfinale damals gegen Sampdoria Genua musste er den Gegner analysieren und erzählte nach seiner Rückkehr von einem Stürmer namens Gianluca Vialli: ,Johan, so einen habe ich noch nie gesehen, den kann man nicht decken.' Cruyff sagte: ,Dann decken wir ihn nicht. Du hast doch gesagt, keiner kann ihn decken. Er ist es gewohnt, dass an ihm alle dran sind, er ist nicht gewohnt, wenn ihn keiner deckt. Wir decken ihn nicht!' Alle haben die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen. Barcelona gewann mit 1:0. So etwas interessiert mich.

Wie oft haben Sie Cruyff getroffen?

Bosz: Ich habe ihn einmal getroffen, als er noch in Barcelona Spieler war. Da habe ich ihm nur kurz die Hand geschüttelt. Später nochmal als Trainer von Vitesse bei einer gemeinsamen Veranstaltung. Damald habe ich eine halbe Stunde mit ihm gesprochen und scheu gefragt, ob er Vitesse mal hat spielen sehen. Als er dann nach Israel kam und ich eine Woche lang mit ihm sprechen konnte, war das das Größte für mich.

Das war kurz vor seinem Tod. Wie ging es ihm damals?

Bosz: Ich bin nie zuvor einem Mann begegnet, der so positiv war. Er hatte Krebs und die Behandlung hatte ihm sichtlich zugesetzt. Aber er hat nie gesagt, dass er müde wäre oder dass es ihm nicht gut gehe.

Setzen Sie seine Idee vom Voetbal total in der Gegenwart fort?

Bosz: Ich glaube, dass wir vielleicht in manchen Details andere Meinungen haben. Aber unsere Philosophien ähneln sich insofern, als dass wir offensiven Fußball für die Fans spielen lassen möchten. Klar, wir wollen gewinnen. Aber wir wollen auch die Fans unterhalten. Sie wollen Messis und Ronaldos sehen, keine Spielzerstörer, wie ich einer war. Wir versuchen die Fans zu begeistern. An welche Mannschaften oder Spieler von früher erinnern wir uns denn alle? An die, die uns unterhalten haben. Und diese beiden Welten - die attraktive und die erfolgreiche - können zusammenkommen. Daran glaube ich wirklich.

Aber es ist schwieriger.

Bosz: Das ist es. Wenn man wie wir versucht, offensiv zu spielen und einen Fehler macht, dann ist die Defensive offen und es wird gefährlich. Also müssen wir gut gemeinsam verteidigen.

Sind Sie überrascht, wie unglaublich gut das bisher in der Liga funktioniert hat?

Bosz: Ja, ein bisschen. Weil es war für mich als Trainer, der in den vergangenen Jahren nicht in der Bundesliga war, nicht leicht einzuschätzen, ob das auch hier in der Bundesliga funktioniert. Ich glaube, dass Pep Guardiola das gleiche Problem hatte, als er bei Bayern anfing. Er hatte seinen Spielstil bei Barcelona. Aber geht das auch in der Bundesliga? Ich wusste es nicht, er glaube ich ebenfalls nicht. Wir sind aber auch noch lange nicht dort, wo wir sein wollen.

Kann der Moment noch kommen, dass die Gegner sich auf das einstellen, was der BVB spielt?

Bosz: Der Moment ist immer da. Wir spielen am Samstag in Augsburg und der Trainer dort hat uns analysiert und wird versuchen, uns unsere Stärken zu nehmen. Also müssen wir wieder reagieren. Das ist ein kontinuierlicher Prozess. Wir haben auch gegen Madrid während des Spiels umgestellt. Aber das Prinzip bleibt das gleiche: Wir möchten offensiven, mutigen, attraktiven Fußball spielen.

Braucht man dafür zum Teil andere, schnellere Spieler, um das auf höherem Niveau wie in der Champions League zum Erfolg zu bringen?

Bosz: Wir analysieren jedes Spiel einzeln für sich. Das Real-Spiel (1:3) war ganz anders als das Tottenham-Spiel (1:3). Gegen Tottenham haben wir es sehr, sehr gut gemacht, nur das Resultat war schrecklich. Ich denke nicht, dass wir es verdient hatten, zumal ein reguläres BVB-Tor nicht anerkannt wurde. Tottenham war in der ersten Hälfte lediglich zwei Mal bei uns vor dem Tor, beide Male waren es Tore. Aber gegen Real war der Gegner die bessere Mannschaft. Madrid war in diesem Moment zu gut für uns. Jetzt müssen wir wieder analysieren: Was können wir tun, um trotzdem zu gewinnen? Es liegt nicht an den Verteidigern. Wir müssen als Mannschaft verteidigen. Wenn - um ein fiktives Beispiel zu nennen - Aubameyang vorne sein Pressing nicht gut macht, kann der Gegner leicht sein Spiel aufbauen. Und wenn das Mittelfeld nicht kompakt ist, dann kriegen unsere Verteidiger Probleme. Aber wenn wir Druck auf den Gegenspieler mit Ball ausüben, ist es schon schwieriger. Alles hat mit allem zu tun.

BVB-Trainer Peter Bosz über seine Spielphilosophie 

Herr Bosz, wie lautet ihre Spielphilosophie?

Bosz: Es gibt natürlich immet auch Kritiker und Gegner einer offensiven Spielweise. Aber das zählt für mich nicht. Es ist nicht entscheidend, ob du offensiv oder defensiv spielst. Die entscheidende Frage ist: Wie hoch ist die Offensivqualität und wie hoch ist die Qualität der Defensive?

Warum gelang das ähnlich wie München in Paris auch Ihrer Mannschaft gegen Madrid nicht? War Real an diesem Tag zu gut, oder waren Ihre Spieler zu schlecht?

Bosz: Ganz ehrlich: Es war ein Mix aus beidem. Ich bin mir sicher, dass wir es besser können. Wenn wir sechs Monate weiter sind, machen wir es auch besser. Ich muss auch ganz ehrlich sagen: Wir haben gegen eine fantastische Mannschaft gespielt, die in den vergangenen vier Jahren dreimal die Champions League gewonnen hat. Dazu kam, dass Real im eigenen Land zuletzt stark kritisiert wurde. Sie wollten gegen uns unbedingt zeigen, dass die Kritik unberechtigt ist.

Sind Sie ein Bewahrer der alten holländischen Fußballschule, des spektakulären Offensivfußballs?

Bosz: Holland ist eine Nation mit 17 Millionen Einwohnern, die in der Geschichte des Fußballs etwas Besonderes produziert hat. Wir haben Spieler wie Johan Cruyff, Marco van Basten oder Ruud Gullit hervorgebracht. Das ist etwas besonderes für so ein kleines Land. Nun haben wir gerade eine schwere Zeit. Aber es werden auch wieder bessere Zeiten für Holland kommen. Die Kinder sind verrückt nach Fußball, es werden wieder neue Robbens und van Bastens kommen.

Wollen Sie die holländische Identität behalten?

Bosz: Absolut.

Und diese Philosophie wollen Sie auch in die Welt hinaustragen?

Bosz: (lacht) Nein, nein. Ich bin kein Weltverbesserer.

Holländische Trainer wie Rinus Michels galten als stur und stoisch…

Bosz: Das kann ich mir vorstellen. Zu Michels kann ich nur sagen: Er war eine absolute Autorität. Als er Bondscoach war und ich Spieler in der Nationalmanschaft hatte man großen Respekt vor ihm. Sein Co-Trainer war Dick Advokaat…

Er hatte den Spitznamen „Der kleine General“…

Bosz: (lacht) Wenn wir als Spieler im Training lachten, schaute Advokaat uns böse an. Advokaat war sehr strukturiert. Michels war der Mann, der die Besprechungen führte. Einmal sagte er vor einem Spiel: Wir müssen verteidigen! Dann hat er gesagt: Wo spielen die besten Verteidiger der Welt? In Italien! Warum sind die Italiener die besten Verteidiger? Dann hat Michels bin ins kleinste Detail erklärt, warum das so ist. Beeindruckend!

Und Sie haben seine Worte aufgesaugt wie ein Schwamm?

Bosz: Ja. Ich bin danach auf mein Zimmer gegangen, habe mir meinen Notizblock geholt und habe alles aufgeschrieben.

Haben Sie die Notizen noch?

Bosz: Na klar.

Schreiben Sie sich jetzt als Trainer ihre Eindrücke auch noch in ein Buch?

Bosz: Ja. Nach unserem Sieg in Wolfsburg habe ich meine Eindrücke in dieses Buch geschrieben. Was mir gut gefiel, was schlechter war. Wenn wir wieder gegen Wolfsburg spielen, hole ich mein Buch heraus und schaue hinein. Wie war das damals? Wie war die Aufstellung? Dann kommen die Bilder plötzlich alle wieder zurück.

Ist es so eine Art von Trainertagebuch?

Bosz: Ja, wenn Sie es so beschreiben wollen. Ich gebe meinen Spielern auch Noten.

Wie in der Schule?

Bosz: Fast. Ich bewerte meine Spieler mit Noten von eins bis zehn. Eins ist schlecht, 10 ist perfekt. Aber ich darf Ihnen verraten: Eine Zehn hat bei mir noch niemand bekommen.

Warum nicht?

Bosz: Da müsste einfach alles gestimmt haben, jeder Pass, jeder Laufweg, jeder Zweikampf, jeder Schuss. Das gibt es im Fußball nicht. Meist pendeln die Bewertungen zwischen fünf und sieben.

Welchen Nutzen hat das für Sie?

Bosz: Wenn beispielsweise ein Spieler zu mir kommt und sagt: Trainer, ich war doch nur im letzten Spiel nicht gut, kann ich ihm ganz genau sagen und erklären, dass das so nicht richtig ist.

Wie führen Sie eine Mannschaft? Als Alleinherrscher? Oder Teamarbeiter und Spielerversteher?

Bosz: Man kann beides sein. Autoritär und trotzdem auch jemand, der die Spieler versteht. Ich spreche mit meinen Spielern, mit der Geschäftsführung, mit dem Sportdirektor, den anderen Direktoren. Aber am Ende entscheide ich über die Aufstellung selbst!

Haben Sie einen Strafenkatalog eingeführt, als Sie nach Dortmund kamen? Oder regeln Sie es?

Bosz: Wenn etwas eine längere Zeit nicht funktioniert, muss man natürlich mit Strafen arbeiten. Aber ich war positiv überrascht darüber, dass die Spieler das beim BVB unter sich regeln. Da habe ich sofort gemerkt, dass die Mannschaft sehr professionell arbeitet.

Schauen Sie sich erst einmal in Ruhe alles an, bevor Sie etwas ändern?

Bosz: Ja. Ich komme nicht irgendwo hin und sage: Jetzt mache ich alles anders. Wenn etwas gut ist, kann es ruhig so bleiben. Dortmund ist schließlich ein großer Verein. Sie müssen dort also in den letzten Jahren etwas richtig gut gemacht haben. Sonst wäre der BVB doch nicht so weit oben. Da kann ich doch nicht einfach daherkommen, alles über den Haufen werfen und sagen: Jetzt machen wir es, wie ich es will! So bin ich nicht.

Sie wirken stets so ruhig. Was macht Sie wütend?

Bosz: (schmunzelt) Ich mag es wirklich überhaupt nicht zu verlieren. Wenn ich weiß, dass ich nicht gewinnen kann, weil ich nicht so gut bin in einer Sache, lasse ich es lieber bleiben.

An der Seitenlinie spürt man davon wenig. Wie können Sie so ruhig bleiben?

Bosz: Seit fast 16 Jahren ist das so. Ich interessiere mich für Psychologie, für analytische Studien. Und auf diesem Gebiet habe ich einen Vertrauten, mit dem ich mich etwa einmal im Monat austausche. Für mich ist das sehr gut, weil ich mich früher wirklich über alles aufgeregt habe. Kleines ausgedachtes Beispiel: Wenn ich eine Mannschaft gehabt hätte, die nur bei Sonnenschein gut spielen würde, hätte ich mich jeden Tag maßlos über eine schlechte Wettervorhersage geärgert. Sie hätte mich richtig wütend gemacht! Heute versuche ich mich auf die Dinge zu konzentrieren, die ich auch beeinflussen kann. Alles andere ist die negativen Gedanken nicht wert!

Eine Trainerentlassung kann man auch nicht beeinflussen. Waren Sie überrascht, dass Bayerns Coach Carlo Ancelotti bereits nach sechs Spielen gehen musste?

Bosz: Carlo Ancelotti ist ein Kollege von mir. Und immer, wenn ein Kollege entlassen wird, empfinde ich Mitgefühl. So etwas geht nie spurlos an einem vorüber. Wir, die wir diesen Beruf haben, wissen alle, dass es passieren kann und das wir privilegiert sind. Aber jedes Mal, wenn es dann tatsächlich geschieht, nimmt es mich mit.

Die Bayern scheinen angreifbar zu sein. Kann der BVB Meister werden?

Bosz: (lacht) Habe ich Einfluss darauf, was bei den Bayern passiert? Nein! Ich habe nur Einfluss auf meine Mannschaft. Ich konzentriere mich ausschließlich auf den BVB.