Dortmund. . Das Champions-League-Duell des BVB mit Benfica Lissabon weckt Erinnerungen. Im Jahrhundertspiel triumphierte Borussia 1963 auch dank Reinhold Wosab mit 5:0.
Bedächtig macht er die Schritte. Als wolle er nachempfinden, was einst geschah. Ewigkeiten ist er nicht an diesem Ort gewesen. Reinhold Wosab geht in Richtung des Spielfeldes im Stadion Rote Erde in Dortmund. Dorthin, wo es nach Rasen riecht. Gegenwart und Vergangenheit vermischen sich für einen kurzen Augenblick. Dann sagt er ungefragt: „Wenn ich jetz’ hier stehe, dann krich ich ‘ne Gänsehaut.“ Wosab lächelt unter seiner schwarzen „Pöhler“-Kappe ein Lächeln, dass sich sein grauer Schnauzbart etwas nach oben biegt. Ein echter Pöhler. Eine echte BVB-Legende.
Direkt nebenan thront der Beweis dafür, wie groß der Fußball geworden ist: Das Stadion von Borussia Dortmund mit seinen riesigen gelben Stahlträgern. Dort wird am Mittwoch der BVB im Achtelfinal-Rückspiel der Champions League auf Benfica Lissabon treffen. Das Hinspiel ging mit 0:1 verloren. Einer wie Wosab steht in diesen Tagen für Zuversicht. Denn die Paarung ruft Erinnerungen wach: 4. Dezember 1963, Kampfbahn Rote Erde, Achtelfinal-Rückspiel im Europapokal der Landesmeister, Dortmund gegen Benfica. Es ist bis heute eines der bedeutsamsten Ereignisse in der BVB-Vereinsgeschichte. Das „Jahrhundertspiel“ nennen sie den 5:0-Sieg nach knapper Hinspielniederlage (1:2). Torschütze in beiden Spielen: Reinhold Wosab. Sein goldenes Satin-Hemd, Flutlichttrikot getauft, hängt im vereinseigenen Museum.
Eigentlich war der Triumph zu groß
„Wir haben eine Mannschaft geschlagen, die unschlagbar schien“, sagt der heute 79-Jährige noch immer beglückt. Zu groß war der Triumph, eigentlich zu groß, als dass er an diesen Ort gepasst hätte. Etwa 45 000 Menschen gingen damals offiziell in das Stadion, aber noch mehr Menschen sind wohl dabei, als der Serien-Europapokalsieger mit seinem größten Star Eusebio, der auf eigenen Wunsch nicht spielt, nach Dortmund kommt. „Die haben überall gesessen, auf Bäumen sogar“, erinnert sich Wosab. Die Zuschauer glauben kaum, was sie sehen: Der bewunderte Gast wird auf halb gefrorenem Boden beinahe vorgeführt. Torschützen: Franz Brungs (3), Timo Konietzka und Wosab.
Im nahe gelegenen Kinderkrankenhaus hat Wosabs Frau Doris an diesem Abend Spätschicht. Sonst ist sie immer bei den Spielen dabei, dieses Mal ging es nicht. Der Jubel der Dortmunder Fans, so erzählt es ihr Mann, dringt herüber. Jedes Mal wieder. Sie weint. Tränen des Glücks, weil das Geschrei ihr sagt, dass das Wunder, bei dem ihr Mann hilft, in vollem Gange ist. Aber auch: Tränen der Trauer, nicht dabei sein zu können.
Als der Schlusspfiff ertönt, rennen die Menschen auf den Platz. Sie wollen den güldenen Helden nahe sein. „Die haben uns umarmt und nicht mehr losgelassen. Sie hätten uns am liebsten rund um die Uhr getragen“, sagt der Rechtsaußen. In der Kabine gibt’s Sekt – und feuchte Augen. Nach und nach erst begreifen alle, was passiert ist. In Bademänteln begeben sich die Borussen Stunden nach dem Schlusspfiff noch einmal in die Kälte. Die Fans? Noch da. Die Bademäntel? Schnell weg. „Ich bin stolz, damals dabei gewesen zu sein“, sagt Wosab und haucht: „Das war so schön.“ Für kommenden Mittwoch, wenn es zur Neuauflage kommt, ist er zuversichtlich. Natürlich ist er das. Wie könnte er nicht? „Borussia gewinnt 3:1“, sagt er: „Oder 5:0.“ Das wär’ was.
Der Abend der Menschen
Reinhold Wosab hat den BVB 1963 zur Meisterschaft geschossen und 1965 den DFB-Pokal gewonnen. Aber war nicht vielleicht doch der 4. Dezember 1963 der Abend seines Lebens? Er überlegt. Dann sagt er: „Es war nicht mein Abend, es war der Abend der Menschen in Dortmund.“