Stuttgart. Im Dortmunder Mittelfeld lässt Ilkay Gündogan wieder die Klasse erkennen, die er vor seiner Verletzung hatte. Den BVB bringt das in einen Zwiespalt.
Hin und wieder muss auch der größte Filigran einfach mal brachial sein. Muss die Kunst Kunst sein lassen und den groben Keil ansetzen. So wie Ilkay Gündogan, anerkannter Feinfuß in Diensten von Borussia Dortmund, im Spiel beim VfB Stuttgart. Per Hacke hatte ihm Shinji Kagawa den Ball in den Lauf gelegt, Gündogan sprintete in den Strafraum und hämmerte den Ball mit der Picke vorbei an VfB-Torhüter Sven Ulreich zum zwischenzeitlichen 2:1 (39.) - die Partie endete 3:2 für den BVB.
"In der Situation blieb mir nicht mehr viel übrig, ich konnte nur mit der Pike schießen", rechtfertigte der Nationalspieler seinen wenig zärtlichen Umgang mit dem Spielgerät. "Zum Glück ging er dann auch rein." Während der übrigen 90 Minuten in Stuttgart zeigte der 24-Jährige zur Genüge, dass er es auch anders kann. Im zentralen Mittelfeld war er ständig in Bewegung, forderte die Bälle und verteilte sie geschickt weiter, initiierte viele BVB-Angriffe - und gewann auch in der Defensive viele Zweikämpfe. 106 Ballkontakte hatte Gündogan am Ende gesammelt - es waren die meisten aller Akteure auf dem Platz.
Gündogan und Sahin ergänzen sich im BVB-Zentrum
"Das war der dritte Sieg in drei Spielen und das ist natürlich sehr schön für uns", freute sich der beste Dortmunder auf dem Platz. "Nichtsdestotrotz war die Art und Weise nicht stabil genug. Wir haben es vermissen lassen, in den entscheidenden Situationen souverän zu sein und vorne die nötige Konsequenz zu zeigen." Und so wurde das Spiel am Ende noch einmal unnötig spannend, weil es der BVB vorne bei vielen schlecht ausgespielten Kontersituationen versäumte, rechtzeitig für die Entscheidung zu sorgen und sich hinten bei zwei Eckbällen unkonzentriert zeigte.
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An Gündogan lag das eher nicht. Seit Sebastian Kehl im Winter-Testspiel gegen Steaua Bukarest (1:0) eine Schultereckgelenksprengung erlitt und damit der zweite Mittelfeld-Abräumer neben Sven Bender für längere Zeit ausfällt, vertraut BVB-Trainer Jürgen Klopp das zentrale Mittelfeld Gündogan und Nuri Sahin an - zwei Spielern, die einst als Spielmacher begannen und bis dato in der Dortmunder Mittelfeldzentrale eher für den Spielaufbau als für das Zerstören der gegnerischen Angriffe zuständig waren. Ein großes Risiko sei das, wurde zu Saisonbeginn geunkt, doch bislang geht das Experiment auf - auch wenn die wirklichen Prüfungen noch kommen werden.
Denn Gündogan und Sahin ergänzen sich im Zentrum gut, weil sie sich in ihrer Spielweise deutlich unterscheiden. Sahin vertraut offensiv wie defensiv vor allem auf seine Spielübersicht: Im Spielaufbau streut er viele lange Bälle ein, im Spiel gegen den Ball läuft er Lücken zu und lauert auf Fehlpässe. Gündogan, der meist näher am gegnerischen Tor agiert, lebt von seiner Dynamik, sucht die kurzen Doppelpässe und geht auch mal ins Dribbling. Auch im Defensivspiel sucht er eher den Zweikampf, geht deutlich aggressiver auf den Mann als Sahin.
Schar der Interessenten an Gündogan wird nach Leistungssteigerung größer
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Und mehr und mehr nähert er sich wieder der Form, die er vor seiner langwierigen Rückenverletzung hatte, die ihn mehr als ein Jahr lang lahmlegte. Den BVB bringt das in eine Zwickmühle: Einerseits profitiert man natürlich von der ansteigenden Formkurve des Mittelfeld-Technikers. Andererseits läuft dessen Vertrag nur noch bis Sommer 2016 und mit jedem guten Auftritt wird eine Verlängerung teurer und die Schar der Interessenten größer. Vor seiner Verletzung war Gündogan einer der begehrtesten Spieler Europas, längst dürften alle großen Klubs wieder sehr genau beobachten, wie er sich in Dortmund schlägt.
BVB-Boss Hans-Joachim Watzke hat schon vor längerer Zeit angekündigt, einen zweiten "Fall Lewandowski" unbedingt vermeiden zu wollen. Nie wieder soll ein hochkarätiger Spieler Dortmund ablösefrei verlassen. Das hieße: Bis zum Sommer müsste Gündogan entweder den Vertrag verlängern, oder der BVB würde ihn abgeben. Doch trotz der markigen Worte hat der Verein in diesem Fall kaum eine Handhabe, seine Interessen durchzusetzen, der Spieler hat das deutlich bessere Blatt.
Sollte der sich gegen eine Vertragsverlängerung und für einen Verbleib bis 2016 entscheiden, bliebe dem BVB nichts Anderes übrig, als dies zähneknirschend hinzunehmen. Auf die Tribüne würde man einen Ausnahmefußballer wie Gündogan wohl kaum verbannen.