Essen. Überall wird gerätselt, wie Borussia Dortmund in diesen Abstiegsstrudel geraten konnte. Der Sportpsychologe Ulrich Kuhl hat einen Ansatz gefunden.
Elfmal hat der BVB in dieser Saison bereits verloren. Zurzeit liegt das Team auf einem Abstiegsplatz zur 2. Fußball-Bundesliga. Wie konnte das Team in diesen Abstiegsstrudel geraten? Fragen an den Sportpsychologen Dr. Ulrich Kuhl:
Was sind die Ursachen für die Krise?
Ulrich Kuhl: Die Dortmunder haben sich zu früh auf eine Diskussion eingelassen. Als es am Anfang nicht so gut lief, wurde gleich von außen hereingetragen: Das wird aber jetzt Abstiegskampf geben. Und Michael Zorc musste sich fragen lassen, ob die Verträge denn auch für die 2. Liga gelten. Da hätte man direkt klar machen sollen, dass dies ein Thema ist, das den Verein noch gar nicht berührt. Das war jedoch relativ am Anfang.
Inzwischen hat sich die Situation aber verschärft. Was fehlt den Dortmundern, um sich aus der Krise zu schießen?
Kuhl: Es ist eine kritische Situation, aber noch nicht fünf vor zwölf. Es wird ja immer gesagt, eine Mannschaft braucht Führungsspieler – eine uralte Diskussion. Bei der Nationalmannschaft hat es jetzt geklappt, ohne dass die Führungsspieler so richtig in Erscheinung getreten wären. Aber wenn der Sturm so richtig weht, brauchen Sie natürlich solche Leute. Mats Hummels hat sicherlich den Anspruch, ein solcher Spieler zu sein, er hat aber zur Zeit nicht die Stabilität. Und wenn Sie hinten instabil stehen, setzt sich das vorne fort. Riskanter können Sie vorne nur spielen, wenn Sie hinten sicherer stehen. Das Thema Kopf ist meines Erachtens eine Konsequenz auf der fehlenden Stabilität.
Die Dortmunder wirken mut- und ratlos.
Kuhl: Sie hatten mal die Einstellung: Egal, wie viele Tore der Gegner macht, wir schießen eines mehr. Jetzt hat man bei jedem Gegentor das Gefühl: Au backe, geht das schon wieder los. Es ist schwierig, defensiv zu denken und offensiv zu spielen.
Inwiefern helfen da Durchhalteparolen, wie sie Jürgen Klopp gerade formuliert?
Kuhl: Ich halte ihn erstmal für einen richtig guten Trainer. Nur ist momentan auch in seiner Authentizität eine gewisse Verunsicherung zu spüren. Das Problem ist natürlich: Wenn er häufig vor einer Mannschaft gestanden und gesagt hat, heute drehen wir den Spieß um, dann fräst sich bei den Spielern in der Kabine der Gedanke ein: Ja, das haben wir beim letzten Mal auch gehört...
Ist es also nicht richtig, ständig den Glauben zu beteuern?
Kuhl: Doch, das ist die einzige Strategie, die hilft. An seinen eigenen Fähigkeiten zu zweifeln, ist hochproblematisch. Klopp tut gut daran zu signalisieren, wir ziehen das durch. Vielleicht hätte er nur, als es anfangs schwierig war, andere Reize setzen sollen. Klopp hat ja den Torwart vor Weihnachten gewechselt. Man hätte auch noch andere Leute hereinbringen können, die nicht diesen Rucksack mit sich herumtragen.
Fehlen also doch wieder die Typen, die die anderen Spieler mitreißen...
Kuhl: Es rächt sich auf jeden Fall die Struktur: Wenn Sie jemanden haben, der gerade seine Wackler hat, ist es schwer, die Sicherheit in die Mannschaft hereinzubekommen. Dann braucht man schon zwei, drei Leute, die dann auch mal laut werden und ein bisschen Dampf nach dem Spiel machen. Ich habe den Eindruck, es ist sehr ruhig beim BVB auf dem Feld.
Ist es richtig, dass die Vereinsspitze ihr Vertrauen in Jürgen Klopp setzt?
Kuhl: Da will ich auch überhaupt nicht dran rütteln. Das wäre das Schlechteste, was man machen könnte, nun an ihm zu zweifeln. Er ist ein guter Trainer, hat nur jetzt aber eine Situation, die ihm aus der 1. Liga nicht ganz so bekannt ist. Ich traue ihm da eine Menge zu und bin der letzte, der sagt: Klopp ist der falsche Mann.
Und wenn Hans-Joachim Watzke am 28. Spieltag überlegen muss, wie der BVB das Tabellenende noch verlassen kann?
Kuhl: Dann würde Klopp eher von sich aus gehen. Er kann selbst gut einschätzen, ob da noch was geht oder nicht. Er ist auch zu stark, um zu sagen: Ich glaube zwar nicht dran, bleibe aber trotzdem. Er würde dann mit anderen Leuten überlegen, was zu machen ist, um dieses Schiff in der 1. Bundesliga zu halten. Er ist niemand, der sich diese Diskussion von draußen aufdrängen lässt.
Die Fans haben nach dem 0:1 gegen Augsburg ihren Unmut klar geäußert. Ist der Kredit allmählich aufgebraucht?
Kuhl: Dortmund hat tolle Fans. Aber irgendwann kann aus einem Heimvorteil auch mal ein Heimnachteil werden. Und das muss noch nicht mal sein, dass einige auf den Zäunen stehen und brüllen – Mitleid kann einen genauso lähmen.