La Manga. Sportdirektor Michael Zorc spricht im Trainingslager über Reus-Spekulationen und den Nachwuchs des BVB und erklärt, warum ein Umbruch nicht nötig ist.
Für Sie als Sportdirektor des BVB ist es ja eine völlig neue Situation, dass die Mannschaft auf einem Abstiegsplatz überwintert. Belastet Sie das auch persönlich, konnten sie über den Jahreswechsel überhaupt einmal richtig abschalten?
Michael Zorc: Ich habe die Weihnachtstage schon entspannter erlebt. Natürlich versucht man, ein paar Tage abzuschalten, aber das gelingt nie zu 100 Prozent. Die Gedanken gehen immer wieder in diese Richtung, weil man ständig mit der sportlichen Situation konfrontiert wird. Selbst die Videotextseite des Fernsehers zeigt: es ändert sich ja nichts an der Tabelle. Meine Gefühlslage ist aber nicht wichtig. Es geht nur darum, unsere Situation zu revidieren. Wir haben nach dem letzten Spiel in Bremen noch den Transfer von Kevin Kampl fixiert. Danach gab es ein paar freie Tage.
Sie haben hier in La Manga die Mannschaft intensiv beobachtet, am Rande auch das eine oder andere Gespräch geführt. Wie groß ist Ihre Zuversicht, dass es ab 31. Januar besser läuft?
Zorc: Wir sind schon der Auffassung, dass die Mannschaft, wenn sie diese Vorbereitungszeit richtig nutzt und von weiterem Verletzungspech verschont bleibt, die Abstiegsränge verlassen wird. Leider haben wir mit Sven Bender und Erik Durm zwei neue Verletzte, doch es kommen jetzt auch die Spieler zurück, die uns am Ende der Rückrunde so sehr fehlten. Marco Reus ist voll dabei, Sokratis kehrt zurück, am Wochenende steigt Adrian Ramos ins Mannschaftstraining ein, danach wird Henrikh Mkhitaryan folgen.
Die Mannschaft hat es in den vergangenen Jahren immer wieder geschafft, kleine Rückschläge wegzustecken. Mit Blick auf das letzte Spiel in Bremen wurde aber deutlich, dass schon das erste Gegentor die Truppe so richtig aus der Bahn geworfen hat, die Spieler anschließend nur noch mit hängenden Schultern über den Platz liefen. Wie wollen Sie das abstellen?
Zorc: Die Mannschaft hat auch schon in Berlin keine gute Leistung gezeigt. Wir sind am Ende der Hinrunde in eine Art Negativspirale geraten. Da war es wirklich gut, dass die Winterpause kam und wir einmal durchatmen, die Resettaste drücken konnten. Wir können jetzt wieder sehr intensiv und deutlich höhere Umfänge trainieren, Abläufe einstudieren, damit sich in einer größeren Gruppe auch wieder Automatismen bilden.
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Es hat in der Vereinsgeschichte schon einmal einen ähnlichen sportlichen Rückschlag gegeben. Auch Mitte der 90er Jahre war ein eingespieltes BVB-Team über vier Jahre mit zwei Meisterschaften, Champions-League-Triumph und Weltpokalsieg sehr erfolgreich, fiel aber danach deutlich ab. Damals kam die Vereinsführung in der folgenden Analyse zu dem Ergebnis, dass der Umbruch in der Mannschaft verpasst wurde. Ist das jetzt vielleicht auch passiert?
Zorc: Ich glaube, dass das heute eine grundlegend andere Situation ist. Sowohl, was den Zustand und die wirtschaftliche Situation des Klubs angeht, als auch die Phase, in der sich die Mannschaft befindet. Damals war ich als wahrscheinlich Ältester mittendrin, kaum einer war jünger als 30. Da war von der Altersstruktur des Teams eine Ära beendet. Einen solchen Eindruck haben wir jetzt natürlich nicht.
Zorc sieht erheblichen Rückschlag der Mannschaftsentwicklung
Nach der letzten Meisterschaft haben Sie erklärt, dass die Entwicklung der Mannschaft längst nicht abgeschlossen sei. Ist sie jetzt aber empfindlich gestört?
Zorc: Das ist natürlich ein deutlicher Rückschlag für uns. Den haben wir, das geben wir ganz ehrlich zu, weder erwartet noch einkalkuliert. Damit hat wohl niemand gerechnet. Kein Experte, und auch in den Medien habe ich vor der Saison nichts darüber gelesen, dass wir in den Abstiegskampf verwickelt werden könnten. Es geht nun einzig und allein darum, aus der Abstiegszone herauszukommen.
Können Sie jetzt überhaupt noch richtig für die kommende Saison planen? Schließlich geht es darum, die Verträge, die im kommenden Jahr mit wichtigen Spielern auslaufen, zu verlängern, eventuell möglichen Neuzugängen eine Perspektive zu bieten. Wie gehen Sie damit um?
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Zorc: Unser Fokus liegt derzeit darauf, den Abstieg zu vermeiden, darum geht es in erster Linie. Was dann im Sommer oder ein Jahr später passiert, ist aktuell zweitrangig. Das alles können wir besprechen, wenn wieder mehr Klarheit herrscht.
Nervt es eigentlich, dass es immer wieder neue Spekulationen um die Zukunft von Marco Reus gibt. Jetzt haben zwei spanische Zeitungen berichtet, dass er sich angeblich mit Real Madrid geeinigt hat.
Zorc: Nein. Weder uns noch die in Gerüchten gehandelten Spieler. Wir haben schon darüber geschmunzelt, dass wir wohl der einzige Tabellen-17. sind, dessen Spieler angeblich ständig zu Real Madrid oder Manchester United wechseln. Mit wöchentlichen Transfergerüchten leben wir schon seit vier Jahren, seitdem wir erstmals richtig durchgestartet sind. Das belastet niemanden. Wir sind mit Marco ständig im Gespräch. Das ist ein toller Junge mit hoher BVB-Identifikation, mit dem wir gerne weiter arbeiten möchten. Eine Entscheidung darüber, ob er bleibt, wird sich nicht bis zum Sommer hinziehen.
Wie sieht es im Fall Ilkay Gündogan aus? Der hat im vergangenen Sommer ja nur um ein Jahr verlängert.
Zorc: Aufgrund der komplizierten Verletzung war das bei Ilkay eine Sondersituation. Im Vergleich zu vor Weihnachten macht er jetzt körperlich schon einen viel besseren Eindruck. Das sieht richtig gut aus. Ilkay Gündogan ist für uns ein extrem wichtiger Spieler. Er kennt unsere Wertschätzung. Wir haben verstanden, dass er erst einmal sehen wollte, wann er überhaupt wieder richtig gesund wird.
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Sebastian Kehl hat hier in La Manga erneut bekräftigt, dass er am Saisonende aufhören wird. Werden Sie trotzdem noch einmal das Gespräch mit ihm suchen?
Zorc: Sebastian ist ein verdienter BVB-Spieler, der dreimal richtig nachdenkt, bevor er etwas verkündet. Deswegen akzeptieren wir seine Entscheidung natürlich.
Werder Sie versuchen, ihn dann anders in die Vereinsarbeit mit einzubinden?
Zorc: Er ist in vielen Bereichen in unserem Verein ein großes Vorbild, ob als Fußballer oder als Mensch. Es gibt kaum einen anderen, der sich so sehr mit Borussia Dortmund identifiziert wie er. Wir werden uns, wenn er endgültig aufgehört hat, natürlich gern mit Sebastian treffen und darüber reden.
"Kampl schleppt keinen Rucksack mit sich herum"
Borussia Dortmund verfügt ja noch über stille Reserven, über Profis, die ausgeliehen wurden oder mit einer Rückkaufoption transferiert wurden. Wird es Rückholaktionen geben?
Zorc: Als wir Jonas Hofmann an Mainz abgegeben haben, war von vornherein klar, dass er am Ende der Saison zurückkommen wird. Die Rückkaufoptionen haben wir uns einräumen lassen, damit wir einen Spieler, der leistungsmäßig durch die Decke schießt, auch zu vernünftigen Konditionen wieder nach Dortmund holen können. Moritz Leitner ist jetzt eineinhalb Jahre an Stuttgart ausgeliehen und hat noch einen Anschlussvertrag bei uns. Es gibt momentan keinen Grund dazu, über etwas anderes zu spekulieren.
Sie haben einmal gesagt, dass der, der im Sommer seine Hausaufgaben nicht macht, im Winter teuer einkauft. Trifft das auch auf den Transfer von Kevin Kampl zu?
Zorc: Wir befanden und befinden uns schon aufgrund der vielen verletzten bzw. angeschlagenen Spieler in einer außergewöhnlichen Situation. Dazu kommt: Für uns hat sich jetzt erstmals die Chance ergeben, Kevin Kampl zu verpflichten, weil es die Vertragskonstellation im Winter eben hergab. Es kommt uns entgegen, dass er uns, ob nun als Typ oder als frischer, frecher Fußballer, der Pressing und Gegenpressing längst verinnerlicht hat, sofort helfen kann. Gerade in dieser Situation. Er schleppt keinen Rucksack mit sich herum, kann frei aufspielen. Wir haben schon im Training erkannt, dass er das, was wir von ihm erwarten, auch umsetzen kann.
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Der BVB hat zuletzt netto fast 60 Millionen Euro in die Neuzugänge investiert. Wie zufrieden sind Sie mit deren Entwicklung?
Zorc: Ich möchte derzeit keine Differenzierung bei der Bewertung der Leistungen der Spieler machen. Alles geht besser als das, was wir in der Hinrunde gezeigt haben. Es wäre nicht fair, den Schwarzen Peter an die Neuzugänge zu vergeben. Dann müssten wir vor allem auch über die reden, die schon lange da sind. Wir haben einfach aus den verschiedensten Gründen insgesamt unsere Leistung nicht bringen können. Daran waren alle beteiligt.
Sie sind zuletzt auch durch einige Transfers im zweistelligen Millionenbereich vom ursprünglichen Weg abgewichen, in erster Linie auf junge Talente zu setzen. Kann man das als Kurswechsel bezeichnen.
Zorc (lacht): Ein Kevin Kampl steht mit seinen jungen Jahren nicht im Spätherbst seiner Karriere. Ich glaube, der will noch ein bisschen spielen. Adrian Ramos ist ein bisschen älter, die meisten anderen Spieler, die wir verpflichtet haben, sind alle Anfang 20. Wenn wir in dieser Saison das Schlimmste verhindern, wovon ich ausgehe, wird das Arbeiten mit jungen, entwicklungsfähigen Spielern nach wie vor unsere Orientierung bleiben.
Nach Mario Götze hat aus den eigenen Reihen kein Talent mehr den Sprung in die Bundesliga geschafft. Sie haben deshalb zuletzt im Nachwuchsbereich einige Strukturen verändert. Jetzt waren bei den beiden DFB-Lehrgängen der U16- und U17-Auswahlteams, die ebenfalls hier in La Manga stattfanden, zahlreiche Jugendliche aus Dortmund vertreten. Vier trainieren jetzt sogar in Spanien mit den BVB-Profis. Geht es im eigenen Nachwuchsbereich wieder aufwärts?
Kampl-Debüt im BVB-Dress
Zorc: In der Tat herrschte nach Mario Götze der Nachwuchsbereich ein gewisser Mangel an absoluten Top-Talenten. Wir haben in den vergangenen Jahren auch sehr viel darüber gesprochen und einiges verändert. Wir haben jetzt wieder sehr gute Jahrgänge. Felix Passlack und Dzenis Burnic sind aber noch sehr jung, gerade 16 Jahre alt. Sie haben im Sommer mit den B-Junioren in Leipzig den deutschen Meistertitel errungen. Ich freue mich auch sehr, dass Jeremy Dudziak hier Anschluss gefunden. Er hat sich auf der Position des linken Verteidigers in La Manga richtig gut präsentiert.