Dortmund. Für Borussia Dortmunds Trainer Jürgen Klopp sind Langeweile und Durchschnitt Fremdwörter. Nach dem Pokalfinale 2014 hat sich der Erfolg verabschiedet.
Berlin, das ist auch so ein Ort. Fing da nicht eigentlich alles an. Die Misere? Das Pech? Als Borussia Dortmund zuletzt in der Hauptstadt spielte, da handelte es sich um das DFB-Pokalfinale der vergangenen Saison. Es endete 0:2 nach Verlängerung, dabei hatte der BVB ein Tor geschossen, das nur nicht gezählt hatte, weil es der Schiedsrichter nicht gesehen hatte. Was, wenn es gezählt hätte, wenn die Borussia gewonnen hätte? Der Beweis wäre erbracht worden, dass der BVB den übermächtig scheinenden Bayern aus München tatsächlich Pokale entreißen kann. Marco Reus hätte einen ersten Titel gewonnen. Vielleicht würde das Einfluss haben auf seine Zukunft. Eine Zukunft beim BVB?
Dortmund hatte in Berlin also nicht einfach nur verloren, sondern mal wieder ein breites Spektrum intensiver Emotionen bedient. Das ist ein Motiv, das sich durch die zurückliegenden Jahre, das sich vor allem durch die Karriere des Trainers zieht: Jürgen Klopp. Auch und gerade jetzt vor dem Bundesligaspiel bei Hertha BSC (Samstag, 15.30 Uhr, live in unserem Ticker).
Klopp prägte beim BVB das Wort "Vollgasveranstaltung"
Es ist ja vielfach so, dass die Charakterzüge eines Trainers sich im Spiel der Mannschaft abbilden. Mit Ottmar Hitzfeld, dem stoischen Mathe-Lehrer, kalkulierte sich der BVB einst zu Siegen. Klopp ist anders. Emotionaler. Einer seiner Leitsätze für sein Leben lautet, Dinge niemals nur halb zu machen. Das konnte er sich als Kind gar nicht erlauben. Wenn er mit seinem Vater zum Sport ging, ließ der ihn mitnichten freiwillig gewinnen. Nicht im Tennis, nicht im Fußball, niemals. Der Junior musste sich Lob hart erarbeiten.
Das hat Jürgen Klopp geprägt, dafür ist er dankbar. In seiner ersten Pressekonferenz in Dortmund prägte er das Wort „Vollgasveranstaltung“. Vollgas. Roter Bereich. Immer. Das Resultat dieses Wirkens war in seinen nun fast 14 Jahren Trainerdasein selten Durchschnitt oder Langeweile. Sondern immer großes Kino, größtmögliches Gefühlstheater. Voll geil. Oder eben: voll traurig.
Mit Mainz 05 träumte er vom Aufstieg in die Bundesliga. 2002 scheiterte Klopp am letzten Spieltag. Ein Punkt fehlte. 2003 scheiterte Klopp wieder am letzten Spieltag. Dieses Mal fehlte nur ein Tor. 2004 war es dann endlich geschafft – und vermutlich trug der in den Jahren davor zum Zerbersten überspannte Spannungsbogen dazu bei, dass es noch heute einer der größten Tage in der Mainzer Vereinsgeschichte ist. Klopp kitzelt mit der Symbiose aus Scheitern und Erfolg die schönste und emotionalste Seite des Fußballs hervor. Klopp ist der König der Dramaturgie. Seit er in Dortmund ist, vor den Augen der ganzen Welt.
In seinem ersten Jahr bei Schwarz und Gelb verpasste er am letzten Spieltag den Einzug in den Europapokal. Mit der höchsten Punktzahl, die je ein Verein hatte, der es nicht schaffte. Es folgten Meisterschaften, der Pokaltriumph und die Tränen des Champions-League-Finales 2013 in London. Auf dem Weg dorthin hatten sich unglaubliche Momente abgespielt, die dem Klub den Ruf einbrachten, der aufregendste Europas zu sein: Die Tore gegen den FC Malaga, die sich wegen ihres wundersamen und späten Eintretens ins kollektive Dortmunder Gedächtnis eingebrannt haben. Das Spiel gegen Real Madrid mit den vier Lewandowski-Treffern.
In der vergangenen Saison überstand der BVB zunächst die ausgeglichenste Gruppe aller Königsklassenzeiten durch einen Treffer in Marseille Sekunden vor dem Ende. Dann ging es wieder gegen Real, und Klopps Team gelang das Meisterstück des schönen Scheiterns, als eine Not-Besetzung um ein Haar das 0:3 aus dem Hinspiel aufgeholt hätte. Dann kam Berlin, Pokalfinale, Pech. Was in München die Pokale sind, ist in Dortmund die Gänsehaut.
In jener Nacht in Berlin scheint sich der Erfolg vorerst verabschiedet zu haben. Denn seither ging es abwärts. Eben nicht halb abwärts, irgendwie lau, mittelmäßig. Sondern richtig. Vollgas bis ans Tabellenende. Auch das ist Klopp. Erst dort, am ultimativen Tiefpunkt, wenn der Weg am steinigsten ist, entfaltet Klopp nun wieder die Kraft, die er zuletzt ein wenig eingebüßt zu haben schien. Nun kämpft er. Und seine Mannschaft mit ihm. Das war gegen Hoffenheim unverkennbar. Das heißt nicht, dass ab jetzt alles glatt geht. Aber es ist auch nicht auszuschließen.
BVB-Trainer Klopp packt seine Profis mit Worten
Klopp hat seine Mannschaft nun neu eingestellt. Sie spielt härter, einfacher. Sie wird nun Schlachten schlagen. Der Trainer packt seine Profis mit Worten. Seine Überzeugungskraft ist erstaunlich, seine Rhetorik in der Liga einzigartig, seine Interviews sind legendär. Die Menschen können ihm danach zu Füßen liegen. Oder sich abwenden wegen seines manchmal ungebremsten Jähzorns. Aber nie ist irgendwas davon beliebig.
Irgendwann nach vielen vergeblichen Versuchen hatte der Sohn den Vater im Tennis geschlagen. Papa Klopp nahm es ohne größere Worte der Anerkennung hin. Heute würde er seinen Jürgen sicher einmal loben. Der Vater verstarb im Jahre 2000 an Krebs. „Ein Gewinner ist nur ein Verlierer, der es ein weiteres Mal probiert hat“, schrieb neulich ein Fußballer unter das Bild, das ihn beim Torjubel zeigt. Das Foto ist in Rio aufgenommen worden, als Deutschland der Siegtreffer im WM-Finale gelungen war. Diesen Satz könnte Mario Götze aus Dortmund mitgenommen haben in sein Leben.
Denn er könnte von Jürgen Klopp stammen.