Düsseldorf. Joachim Löw muss den Umbruch der deutschen Fußball-Nationalmannschaft einleiten und will zugleich Titel gewinnen. In Hinblick auf die Europameisterschaft 2016 in Frankreich gibt der Bundestrainer sich ungewohnt offensiv. „Das Finale in Paris“, sagt er „soll und muss unser Ziel sein.“
Joachim Löw trinkt also immer noch Espresso, und selbstverständlich, darauf legt der Trainer der Fußball-Nationalmannschaft Wert, bezahlt er ihn auch immer noch.
Joachim Löw, muss man wissen, wird jetzt öfter eingeladen als früher, er ist jetzt Weltmeister-Trainer, seine Heimatgemeinde Schönau benennt demnächst ihr Stadion nach ihm. Einen Tag vor dem Wiedersehen mit WM-Finalgegner Argentinien, auf den die DFB-Auswahl an diesem Mittwoch ab 20.45 Uhr (live im ZDF und in unserem Ticker) trifft, hat der DFB seinem Bundestrainer ein Tässchen spendiert. Löw war gerade dabei, davon zu erzählen, was sich in Zukunft ändern wird – und was nicht. Es beginnt die Zeit des Umbruchs: Bastian Schweinsteiger folgt als Kapitän auf Philipp Lahm, Thomas Schneider als Co-Trainer auf Hansi Flick. Das Tässchen Espresso aber bleibt.
„Stillstand darf es nicht geben“
Ein wenig wirkte der erste Auftritt von Joachim Löw seit dem Titelgewinn bei der WM so, als schwebe der Geist eines alten Kämpen aus längst vergessenen Tagen über ihm. Weiter, immer weiter, hat Oliver Kahn einst ausgerufen. Joachim Löw hat die Formulierung nicht übernommen, aber auch er spürt, dass der Fußball einen kaum noch Luft holen lässt: „Stillstand darf es nicht geben“, sagte Löw am Dienstag. Das lässt tief blicken.
Der Mittwoch aber gehört noch einmal der WM, der Erinnerung an Momente, die Löw sieben Wochen später magisch nennt. Das Testspiel gegen Argentinien war längst vereinbart, als Deutschland im Finale auf die Südamerikaner traf, man wollte einen abwehrstarken Gegner als Testpartner, um sich auf die EM-Qualifikation einzustimmen, die am Sonntag in Dortmund mit dem Spiel gegen Schottland beginnt, das Fußball traditionell eher kämpft als spielt. Nun ist das Argentinien-Spiel eine schöne Pointe, ein letzter Blick zurück.
EM 2016 „Finale in Paris soll und muss unser Ziel sein“
Denn danach geht es ja weiter, immer weiter. Drei Spieler sind ausgestiegen, neben Per Mertesacker und Miro Klose auch der Kapitän. Auf Philipp Lahm folgt Bastian Schweinsteiger, der 30-Jährige, von dem auch wegen seiner langen Verletzungshistorie niemand weiß, ob er in vier Jahren bei der WM in Russland noch spielen wird. Aber so weit will Löw nicht denken, „der Basti“ ist bis zur EM 2016 in Frankreich gesetzt, und sowohl bei der Entscheidung für Schweinsteiger als auch beim Formulieren der Ziele für die EM wirkt der Triumph von Brasilien nach.
„Schauen sie sich die Bilder aus dem Finale an“, sagt Löw zu seiner Kapitäns-Wahl. Was die Bilder gezeigt haben, muss er nicht sagen, jeder Fan hat sie noch im Kopf: Schweinsteiger blutend, Schweinsteiger schmerzverzerrt, aber Schweinsteiger weiter, immer weiter. „Ich habe“, sagt Löw deutlich weniger martialisch, „mich immer auf ihn verlassen können.“ Das soll also so bleiben bis zur EM, die der Trainer, befreit von der Last, noch etwas beweisen zu müssen, ungewohnt offensiv angeht: „Das Finale in Paris soll und muss unser Ziel sein.“
Vertraute im Aufbruch
Dass Löw beim Aufbruch in die Zukunft an zentralen Positionen auf Vertraute setzt, spiegelt auch die Entscheidung für Thomas Schneider als Co-Trainer wider. Schneider, 41, ist den meisten wohl nur als Cheftrainer-Intermezzo des VfB Stuttgart bekannt, aber Schneider hat dort schon unter dem VfB-Trainer Löw gespielt, er genießt einen hervorragenden Ruf in der Nachwuchsarbeit, er denkt über Fußball wie der Bundestrainer, und er setzt die Übung fort, sportliches Spitzenpersonal aus Löws süddeutschem Umfeld zu rekrutieren.
Zusammen werden sie nun also experimentieren müssen, auf den Außenverteidigerpositionen, im Angriff. Es fallen die Namen Erik Durm, Matthias Ginter, Mario Gomez. Zusammen werden sie aber auch gewinnen müssen. Da fallen die Namen des Spielerrats, des Führungszirkels rund um Schweinsteiger: Manuel Neuer, der den angeschlagenen Schweinsteiger gegen Argentinien als Kapitän vertreten wird, Mats Hummels, Thomas Müller, Sami Khedira. Sie sind Löws Konstanten im Aufbruch. In einem Geschäft, das immer schneller dreht.
Wie sich das aushalten lässt? Ab und zu einen Espresso trinken.