München. Der FC Bayern München würde die Diskussion um Philipp Lahms Kritik am liebsten sofort beenden. Dabei ist sie dringend notwendig. Lahm hat in der Sache Recht. Die Bayern sind seit vier Jahrzehnten Deutschlands erfolgreichster Verein, weshalb von ihnen mehr erwartet wird, als zu gewinnen.
Philipp Lahm trug Jeans, darüber ein Jackett, und er hat gelächelt. Dafür gibt es Zeugen, denn natürlich haben sie gestern in den Büschen gelegen, als Bayern Münchens kleiner Verteidiger, der seit dem Wochenende als großer Angreifer gilt, vom Vorstand einbestellt wurde und in der Bayern-Zentrale an der Säbener Straße vorfuhr. In einem schwarzen Audi, falls es jemanden interessiert.
Für das Gespräch zwischen Lahm und Bayerns Führungsquartett gibt es keine Zeugen. Deshalb muss man sich mit dem begnügen, was der Verein später mitteilte, natürlich über seine Pressestelle und damit also offiziell, abgesegnet und autorisiert: „In einem sehr offenen, ausführlichen und konstruktiven Gespräch”, heißt es da, „hat sich Philipp Lahm für die Art und Weise seiner Aussagen und den eingeschlagenen Weg entschuldigt.”
Und: „Philipp hat eingesehen, dass es besser gewesen wäre, mit seiner Meinung direkt den Weg zum Vorstand zu suchen. Von Karl-Heinz Rummenigge, Uli Hoeneß, Karl Hopfner und Christian Nerlinger wurde er ermutigt und auch aufgefordert, künftig seine Meinung im direkten Dialog mit den Verantwortlichen zu besprechen.”
Und weil Philipp Lahm auch die Geldstrafe, die ihm die Bayern aufgebrummt haben, akzeptiert hat, schließt der Verein: „Für beide Seiten ist die Angelegenheit vom Wochenende damit erledigt.”
Wenn sich die eine Seite da mal nicht täuscht.
Dazu hat Philipp Lahm mit seinem Interview in der Süddeutschen Zeitung zu viel aufgewirbelt. Dazu haben die Bayern mit ihrer Reaktion auf Lahms Kritik den Wirbel zu sehr angefacht. Auch wenn der Verein gestern versucht hat, die Angelegenheit schnell vom Tisch zu bringen: Es wird nicht funktionieren.
Zunächst einmal: Philipp Lahm hat in der Sache Recht. Die Bayern sind seit vier Jahrzehnten Deutschlands erfolgreichster Verein, weshalb von ihnen mehr erwartet wird, als zu gewinnen. Der FC Bayern sollte Trends setzen, sie aber zumindest nicht verschlafen. Doch während andere Spitzenklubs in Europa geduldig eigene Spielideen entwickelt haben und ihr Personal danach auswählen, ob es zu dieser Idee passt, hetzt man in München immer hektischer dem nächsten Ergebnis hinterher.
Bayerns Einkaufsstrategie hat sich jahrelang darin erschöpft, der Konkurrenz ihre aufstrebenden Leute wegzukaufen, unabhängig davon, ob man sie selber gebrauchen konnte. Spieler wie Mario Gomez oder Arjen Robben, die zusammen über 50 Millionen Euro gekostet haben, stehen einerseits für eine neue Investitionsbereitschaft. Andererseits belegen sie, dass sich am alten Prinzip nichts geändert hat: Es fehlt die Idee, nach wie vor muss der gerade aktuelle Trainer sehen, was er aus der Ansammlung von Stars macht.
Das hat Lahm im Kern gesagt, und entgegen allen Vorwürfen aus der Chefetage hat er damit weder Mitspieler noch Trainer beleidigt. Er hat, schlimmer offenbar, die Vereinsspitze kritisiert. Und nebenbei offengelegt, wie sehr es der Bundesliga an interner Diskussionskultur mangelt. „Mündige Spieler” zu fordern, ist die eine Sache, mit denen, die ihre Meinung sagen, souverän umzugehen, eine andere.
Es gibt gute Gründe, Spieler wie Oliver Kahn oder Stefan Effenberg nicht zu vermissen. Aber offene Worte sind selten geworden. Vielleicht ist das auch kein Wunder: Michael Ballack hat es vor gut einem Jahr versucht. Seine Kritik am Führungsstil von Joachim Löw war nicht so punktgenau wie Lahms Beschreibung der Münchener Krise, aber die Reaktion erinnerte an eine mittlere Staatskrise, am Ende musste Ballack zur Entschuldigung einfliegen.
Dass es anders gehen könnte, besser, hat in München scheinbar keiner begriffen. Es fehlt immer noch jede inhaltliche Auseinandersetzung, bei Uli Hoeneß regierte zunächst der reine Beißreflex. Auch das lässt sich ja verstehen: Hoeneß' Leben ist der FC Bayern. Der Verein ist seine persönliche Erfolgsgeschichte. Das Tragische ist, dass die vielen Erfolge sich so selten in Souveränität ausdrücken. Lahms Kritik gilt als Majestätsbeleidigung, auch wenn, welch' Wunder, Franz Beckenbauer sich gestern als erster vorsichtig vom Vorstand absetzte.
Ja, Philipp Lahm hat gegen die Spielregeln seines Arbeitgebers verstoßen. Es gehört sich auch, sich zuerst an seine Chefetage zu wenden – was Lahm versucht haben soll. Alles in allem: Dem FC Bayern hätte Schlimmeres passieren können als dieses Interview. Aber wenig Besseres.