Reykjavik. . Der isländische Nationaltorhüter Hannes Thor Halldorsson arbeitet im Hauptberuf als Filmregisseur. Mit dem Fußball-Winzling will er sich in den Playoffs für die WM qualifizieren. Nachdem Island in der Qualifikationsgruppe verblüffenderweise Zweiter wurde, fehlt nur noch ein Schritt nach Brasilien 2014.
Hannes Thor Halldorsson will sich in der Berufswahl nicht zwischen Filmregisseur oder Fußballspieler entscheiden. Er ist einfach beides. Nur einmal hatte er damit ein Problem: Er sollte für die Fluggesellschaft Icelandair einen Werbespot mit der isländischen Fußballnationalelf produzieren. Wie sollte er bei einem Dreh Regie führen, bei dem er selbst mitspielen musste? Halldorsson, mit 29 bereits einer der etablierten Werbefilmer seines Landes, ist auch Islands Nationaltorwart.
„Das war ein bisschen verrückt“, sagt Halldorsson über den Dreh für Icelandair: „Ich gab Regieanweisungen und schlüpfte dann schnell ins Torwartjersey, um selbst mitzuspielen.“ Ansonsten hat er sich eingerichtet: Jeden Morgen fängt er um acht seine Arbeit bei Sega-Film an, damit er rechtzeitig um 17 Uhr beim Training seines Vereins KR Reykjavik im Tor stehen kann.
Es gibt nur 320.000 Einwohner
Wenn Hannes Halldorsson von seinem Leben erzählt, wird greifbar, welch eine Überraschung Islands WM-Qualifikation wäre; mit einem Filmregisseur im Tor. Nachdem sie ihre Qualifikationsgruppe verblüffenderweise als Zweite abschlossen, fehlt nur noch ein Schritt nach Brasilien 2014, in den Ausscheidungsspielen gegen Kroatien an diesem Freitag und dem folgenden Dienstag.
Island, 320.000 Menschen und angeblich ein paar Trolle, wäre das kleinste Land, das je zu einer Weltmeisterschaft gelangte.
Wer nach einer Erklärung für diesen Erfolg sucht, landet bei den isländischen Dächern. Vor gut zehn Jahren bekam der Fußball auf der Insel endlich ein Dach über dem Kopf zum Schutz vor dem wilden Wetter: In den wenigen Städten entstanden Fußballhallen. „Zum ersten Mal“, sagt Halldorsson, „konnten wir das ganze Jahr hindurch Fußball spielen.“
Geboren 1984, hat er die Zeit ohne Fußballhallen noch erlebt. „Fußball in Island hieß: vier Monate Ligaspiele und acht Monate Saisonvorbereitungsläufe im Schnee.“ Einige Winter lang kam eine neue Mode auf, um Wind und Dunkelheit zu entgehen: Die Fußballer trainierten in Reithallen. Es roch nach Pferd, der gepresste Sandboden war steinhart. Halldorsson sagt: „Ich hasste es. Aber wir hatten ein Dach über dem Kopf.“
Er nennt die 22-, 23-Jährigen im Nationalteam „die Generation der Fußballhallen“, die ersten, die von Kind an das ganze Jahr trainieren konnten. Im Jahr 2010 schlug Islands Juniorennationalelf die deutschen Altersgenossen mit Mats Hummels, Benedikt Höwedes und Lars Bender 4:1. Sechs Spieler dieser Elf bilden heute das Gerüst von Islands Nationalelf.
Der Zufall erlaubte sich den Spaß, dass die Talentiertesten allesamt Offensivspieler sind, Gylfi Sigurdsson, der über die TSG Hoffenheim bei Tottenham Hotspur landete, Kolbeinn Sigthorsson von Ajax Amsterdam und Alfred Finnbogason vom SC Heerenveen. Kleine Nationen suchen den Erfolg gewöhnlich mit der Einheitstaktik der Außenseiter, kompakt verteidigen und auf die eine Eckballchance hoffen. Doch Island will stürmen. „Wir wären dumm, wenn wir nicht offensiv spielen würden“, sagt Halldorsson, „denn wir haben unsere Qualität im Angriff.“
Der Torwart ist der letzte Spieler der Nationalelf, an dem der wunderschöne Irrsinn noch richtig deutlich wird: das winzige Island auf dem Weg zur WM. Die anderen, die Fußballhallen-Kinder, sind normale Zöglinge des Profisports, etliche in Holland oder Dänemark ausgebildet, seit sie 17 sind.
Drehbuch für einen Horrorfilm
Halldorsson kugelte sich die Schulter aus, als er 14 war. Jedes Jahr sprang die Schulter wieder heraus. Mit 19 hörte er mit dem Sport auf und gründete eine Filmproduktionsfirma. Er hatte Filme gedreht, seit er zwölf war, „ich stand hinter der Kamera und zwang meine Freunde, Superman darzustellen.“ Mit 21 versuchte er es noch einmal mit Fußball. Die Schulter hielt, mit 23 war er in der ersten Liga.
Gerade trainierte er bei Kalmar FF in Schweden mit; er hofft, mit 29, noch im Ausland Profi zu werden. Aber müsste er dann nicht seine Arbeit beim Film aufgeben? Im Gegenteil, sagt er. Als Fußballprofi, der nur einmal am Tag trainiert und genug zum Leben verdient, könnte er sich endlich seinen Traum erfüllen: in der Freizeit das Drehbuch zu einem Horrorfilm schreiben.