Essen. Christoph Daum stellt die Auswahl türkischer Fußball-Legenden zusammen, die am Sonntag in Gelsenkirchen auf Deutschland trifft. Vor dem “Jahrhundertspiel“ haben wir uns mit dem 60-jährigen Trainer über seinen aktuellen Klub Bursaspor, die Bundesliga und seinen früheren Intimfeind unterhalten.
Zur verabredeten Zeit ist Christoph Daum nicht zu erreichen. Sein Verein, der türkische Fußball-Erstligist Bursaspor, hat das zweite Spiel in Folge verloren und Daum muss zu einer Krisensitzung. „Problemlösungssitzung“, korrigiert Daum dann freundlich, als er etwas später über den türkischen Fußball, die Bundesliga, seine Kokain- und die Steueraffäre von Bayern Münchens Präsident Uli Hoeneß redet.
Herr Daum, Bursaspor steht auf Platz elf. Grund zur Unruhe?
Christoph Daum: Wir laufen im Moment der Musik etwas hinterher. Eigentlich hat das begonnen, als die Mannschaft vor Saisonbeginn die Qualifikation zur Europa League verpasst hat. In diese Situation bin ich als neuer Trainer gekommen und musste die Dinge erstmal ordnen. Jetzt stockt es gerade etwas.
Im türkischen Fußball schlagen die Emotionen noch stärker aus als im deutschen. Schwierig, oder?
Daum: Geduld zeichnet im Fußball doch nur noch wenige aus, ob Fans oder handelnde Personen. Aber ich habe Glück, ich habe ein junges und tolles Präsidium, das mich unterstützt. Alles positiv. Die Fans haben allerdings eine riesige Erwartungshaltung. Die meinen, dass Bursaspor ganz oben mitzuspielen hat. Entsprechend groß ist gerade die Enttäuschung.
In Deutschland läuft die Diskussion um Pyrotechnik, um Ultras und Gewalt. Aus der Distanz: Ist das Problem so groß, wie es gemacht wird?
Tickets für das Jahrhundertspiel
„Eintrittskarten können unter www.tickets-aufschalke.de oder www.tickethall.de erworben werden. Stehplatzkarten sind bereits für 9,50 Euro erhältlich, Sitzplätze ab 19 Euro.“
Daum: Wir reden von Einzelfällen. Aber wenn wir die nicht ernst nehmen, kann das zu einer Ausweitung führen. Wehret den Anfängen, deshalb ist es richtig, jetzt deutlich Stellung zu beziehen. Aber ganz sicher sind die Vorkommnisse nicht symptomatisch für die ganze Bundesliga.
Was die Fans sportlich beschäftigt: Ist die Liga bei spanischen Verhältnissen angelangt? Die Bayern und der BVB einsam vorne weg?
Daum: So ist es. Sie brauchen nur die Etats der Vereine anzuschauen und die Tabelle daneben zu legen. Das ist, bis auf Ausnahmen, die es immer mal geben wird, nahezu deckungsgleich. Das muss man einfach akzeptieren, das bekommen wir nicht mehr zurückgedreht. Bayern und Dortmund haben sich ihre Ausnahmestellung hart erarbeitet. Die Liga ist eine Mehrklassengesellschaft. Dahinter kommen Schalke und Leverkusen. Und dann muss man schon gucken, wer noch oben reinstößt, Wolfsburg vielleicht. Dann kommt das Mittelfeld mit sieben Vereinen, der Rest kämpft um den Ligaerhalt. Das Gute ist: Langweilig wird’s trotzdem nie. Nur die Meisterfrage, die wird auf Sicht ein Zweikampf bleiben.
Das "Jahrhundertspiel" auf Schalke
Das "ran Jahrhundertspiel Deutschland - Türkei" steigt am Sonntag, 17. November, um 17.45 Uhr auf Schalke, live bei kabel eins und auf www.ran.de Die besten ehemaligen deutschen Kicker treten gegen Fußball-Legenden der Türkei an. Auf deutscher Seite sind unter anderem Jens Lehmann, Olaf Thon, Thomas Häßler, Jürgen Kohler, Karl-Heinz Riedle und Guido Buchwald dabei.
Sie sind vor drei Wochen 60 Jahre alt geworden. Was bedeutet das Alter für Sie?
Daum: Die 50 war eine Zahl, über die ich nachgedacht habe. Plötzlich kommt dir die Erkenntnis: Menschenskind, mehr als die Hälfte hast du hinter dir. Aber den 60. habe ich gar nicht gefeiert. Ich feiere wieder groß, wenn ich 66 werde. Jemand hat mir zum Geburtstag geschrieben: Mit 60 setzt der Verstand erst ein. Na, wenn der jetzt bei mir noch dazu kommt, kann das Leben nur noch besser werden.
Sagt Ihnen Ihr Verstand, dass Sie noch einmal in die Bundesliga zurück kehren werden?
Daum: Ich hätte gerne in der Bundesliga weiter gearbeitet. Ich habe von vielen Seiten gehört, was ich für ein toller Trainer sei und dass man mich anrufen werde, wenn Handlungsbedarf bestehen sollte. Aber irgendwann denkst du, von den Komplimenten kannst du dir nichts kaufen. Dann kam Bursaspor, und das ist durchaus reizvoll: Ich baue auf, ich arbeite mit jungen Spielern. Ich habe gar keine Zeit, um alt zu werden.
Zuletzt waren Sie 2011 in der Bundesliga, Sie sollten Eintracht Frankfurt in sieben Spielen retten. Am Ende gab’s keinen Sieg und die Eintracht stieg ab. Hat Ihnen das geschadet?
Daum: Das hat mir enorm geschadet. Es kamen viele Kommentare danach, und ein bisschen bleibt hängen. Ich hatte mir leider nicht richtig überlegt, was ich da tue. Es war ein unglaubliches Risiko, ich habe damals aus persönlichen Gründen zugesagt, ohne die Gesamtsituation analysiert zu haben. Aber ich stehe zu meinen Entscheidungen. Man hat mich gefragt, ob ich gescheitert bin, und ich habe gesagt: Nein, ich bin gescheiter geworden.
Das könnte man fast auf Ihre Kokain-Affäre übertragen, die Sie vor 13 Jahren das Amt des Bundestrainers gekostet hat. Lässt Sie das jemals los?
Daum: Ich habe begriffen: Das ist nicht mit Bleistift geschrieben, das kann ich nie mehr ausradieren. Ich habe das Thema verarbeitet, es ist erledigt. Es war sogar eine Situation, die mir zunächst unlösbar erschien. Und heute sehe ich, dass ich gestärkt aus allem hervorgegangen bin. Aber mir ist völlig klar, dass mich das nicht mehr los lassen wird. Mir gelingt es oft, anderen etwas zu verzeihen. Sich selber zu verzeihen ist das Schwierigste.
Damals hat Uli Hoeneß den Stein ins Rollen gebracht, jetzt muss er wegen Steuerhinterziehung vor Gericht. Löst das bei Ihnen besondere Emotionen aus?
Daum: Ich weiß, was das für eine Show wird, wie viele Kameras alles ausleuchten werden und wie groß über alles berichtet werden wird. Ich weiß, wie das auf die Familie abstrahlen wird. Das wird ein Spießrutenlauf, den Uli Hoeneß sich jetzt noch nicht vorstellen kann. Ich hoffe nur, dass er gut aus allem hervorgeht, dass das sehr zügig abgehandelt wird und es schnell zu einem Resultat kommt, mit dem er leben kann und mit dem die Öffentlichkeit zufrieden gestellt wird. Ich habe meinen Frieden mit Uli Hoeneß geschlossen. Ich weiß, ich bin nicht fehlerfrei, und das gestehe ich jedem anderen auch zu.
Daum über das Jahrhundertspiel - "Unsere Truppe auf Schalke wird erste Sahne sein"
Sie stellen für das Jahrhundertspiel auf Schalke zwischen Deutschland und der Türkei die Auswahl türkischer Legenden zusammen.
Daum: Das wird eine sehr attraktive Truppe. Wir haben Yildiray Bastürk, Bülent Korkmaz, Ibrahim Üzülmez, Marco Aurelio, Tayfur Havutcu oder Rüstü Recber dabei. Das wird erste Sahne.
Machen Sie mit, weil der Erlös deutsch-türkischen Projekten zufließen wird?
Daum: Der Gedanke liegt nahe, weil ich so oft in der Türkei gearbeitet habe. Aber es geht mir vor allem um den Integrationsgedanken. Darum, dass wir in Erinnerung bringen, dass wir gemeinsame Werte haben.
Sehen Sie das Verhältnis zwischen Deutschen und Türken auf einem guten Weg?
Daum: Beide Seiten haben viel erreicht, es gibt keinen Grund, etwas zu dramatisieren. Integration ist ein Prozess. Mir fällt da eine Geschichte ein: Ein Lehrer fragt, wann es Tag wird. Seine Schüler sagen, wenn die Sonne aufgeht. Die Antwort, die der Lehrer gibt, lautet: Die Nacht um uns endet, wenn ich im Gesicht des anderen meinen Bruder oder meine Schwester erkenne.