Amsterdam/Essen. Für Bundestrainer Joachim Löw ist das Duell mit dem Rivalen Niederlande ein bedeutsames Spiel. Doch die Rahmenbedingungen sind nach der Absageflut annähernd katastrophal. Die Frage, ob dies als Alibi zugelassen wird, sollte das Spiel in Amsterdam mit einer DFB-Pleite enden, bleibt offen.
Es sah nach Arbeit aus. Vielleicht war das auch gewollt. Zumindest nahm Bundestrainer Joachim Löw, vor nicht allzu langer Zeit noch zur Mode-Ikone und zum Dandy stilisiert – dessen körperbetonte Hemden und Schals zu Kultobjekten hochgejazzt wurden – plötzlich im arg mediokren blauen Trainingsanzug im Amsterdamer Marriott Hotel seinen Platz ein. Er war gekommen, um vor dem letzten Länderspiel des Jahres in den Niederlanden am heutigen Mittwoch (20.30 Uhr/live in der ARD und im DerWesten-Ticker) Bericht zu erstatten über die angespannte Lage der deutschen Fußball-Nation.
Auch interessant
Es ging weniger um rauschhaften Kombinationsfußball, um offensive Kreativität, das Wort der Stunde heißt „Balance“. „Wir müssen defensiv lernen“, sagte der Mann im Trainingsanzug. „Wir müssen künftig die Balance finden.“ In Anbetracht von 22 Gegentoren in 13 Spielen ist das keine sonderlich exklusive Einsicht. Aber seit auch aus dem inneren Mannschaftskreis Forderungen nach einer defensiveren Grundausrichtung zu vernehmen sind, hat sich die Stimmungslage weiter verschärft.
Es ist ja eine merkwürdige Gemengelage eingetreten in den vergangenen fünf Monaten. Der 52-Jähige, jahrelang heroisiert, wird seit dem Aus im EM-Halbfinale überaus kritisch gesehen. Und das spektakuläre 4:4 gegen Schweden mit einer desaströsen halben Stunde nach zuvor 60 Minuten Traumfußball wird nunmehr unter dem Eindruck eines Debakels erinnert.
DFB-Elf zerlegte Niederländer im November 2011
Für Löw ist das Duell mit dem Rivalen Niederlande daher zuvorderst ein atmosphärisch bedeutsames Spiel, das die Debattenrichtung bis zum nächsten Test im Februar 2013 in Frankreich bestimmen wird. In etwa so, wie es das letzte Aufeinandertreffen tat: Im November 2011 zerlegte die DFB-Elf die ersatzgeschwächten Niederländer (damals noch unter Bert van Marwijk) in Hamburg künstlerisch besonders wertvoll mit 3:0 – und anschließend warf der Boulevard die Frage in den Raum, ob diese Elf auf dem Weg zum EM-Titel überhaupt noch aufzuhalten wäre.
Auch interessant
Ein Jahr später aber deuten die Vorzeichen in die entgegengesetzte Richtung. Die Rahmenbedingungen sind nach der Absageflut annähernd katastrophal. Doch die Frage, ob dies als Alibi zugelassen wird, sollte die Partie in Amsterdam mit einer sportlichen Pleite enden, bleibt offen. Denn das Duell mit dem fußballerisch so ungeliebten Nachbarn ist per se dann doch zu aufgeladen. Und dafür sind die Namen der deutschen Elf, die in Amsterdam aufläuft, dann trotz allem auch noch zu klangvoll. Insbesondere die Dortmunder Fraktion wird nach den Absagen von allein vier Bayern-Profis den Takt angeben. So dürfte Marco Reus, nachdem mit Miroslav Klose der letzte nominelle Stürmer die Regeneration vorgezogen hat, als verkappte Sturmspitze in vorderste Front rücken. Zudem werden Mario Götze (anstelle von Mesut Özil) in der offensiven Zentrale sowie die defensiveren Kräfte Ilkay Gündogan und Mats Hummels in der Startformation erwartet.
Robben sieht Deutschland „ein bisschen weiter“
Die These von den starken Deutschen wird ja kräftig befeuert durch die Aussagen der niederländischen Eliteprofis, die es sich wie Arjen Robben in der Außenseiterrolle kommod eingerichtet haben: „Deutschland ist ein bisschen weiter als wir“, sagte der Bayern-Profi. Zudem haben die Niederländer haben mit Robin van Persie und Wesley Sneijder in der gerühmten Offensivabteilung zwei prominente Ausfälle zu beklagen.
Auch interessant
Vor allem aber sitzt nun Louis van Gaal auf ihrer Bank. Der Mann, dessen Selbstbewusstsein das Ausmaß des Ozonlochs locker übersteigt, hatte in den letzten Tagen wieder einmal eine Kostprobe seiner unnachahmlichen Nonchalance abgeliefert. „Er hat noch nicht viel gewonnen“, sagte van Gaal, als er um eine Einschätzung zu Löw gebeten wurde. „Ich denke, dass ein Trainer viel gewinnen muss, um ein legendärer Trainer zu sein.“ Der Subtext lautete: So wie ich. Dabei schleppt van Gaal aus seiner ersten Amtszeit als Bondscoach (2000-2002) eine weiche Stelle mit – die verpasste WM-Qualifikation. Löw hat sie getroffen. Van Gaal sei ein guter Trainer, entgegnete Löw und fügte lächelnd wie boshaft an: „Für einen Nationaltrainer ist es auch wichtig, dass er sich für ein Turnier qualifiziert.“