Essen. Der Bochumer Mentaltrainer und Sportpsychologe Thomas Graw spricht über das kuriose 4:4-Unentschieden gegen Schweden - und sucht eine Erkärung: “Möglich wäre, dass man von den Ereignissen überwältigt, wie gelähmt ist. Wir nennen diese Möglichkeit ein „Freezing“, so Graw.
Das unbegreifliche 4:4 der deutschen Nationalmannschaft gegen Schweden wird die Nationalspieler und vor allem den Trainerstab noch länger beschäftigen. Das Team nimmt ein skandinavisches Tief statt eines irischen Hochs mit in den Winter. DerWesten sprach mit dem Bochumer Mentaltrainer und Sportpsychologen Thomas Graw darüber, wie es einem Spieler ergeht, wenn er 4:0 führt und der Gegner plötzlich doch wieder aufkommt. Graw betreut zurzeit die österreichische Nationalmannschaft unter Trainer Marcel Koller. Das Spiel der Deutschen gegen Schweden hat er daher nicht gesehen.
Herr Graw, in den Interviews nach dem 4:4 gegen Schweden hatten weder Spieler noch Trainer der deutschen Nationalmannschaft eine Erklärung dafür, wie es möglich war, die Vier-Tore-Führung zu verspielen. Löw sagte, das Problem begann wahrscheinlich „irgendwo im Kopf“, Schweinsteiger und Kroos sprachen von dem berühmten Schritt weniger, den alle gemacht hätten.
Thomas Graw: Damit fängt es in der Regel an, dass man nachlässt, weil es ein sicherer Vorsprung ist. Normalerweise ist es ja auch so: Wann wird schon mal ein 3:0 aufgeholt? Oder sogar ein 4:0? Der deutschen Nationalmannschaft ist das ja noch nie passiert.
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Ein bisschen weniger zu tun, weil man sich zu sicher fühlt, ist also nur menschlich. Wenn es aber – wie gestern nach dem 4:2 – plötzlich eng wird, können Spieler dann auch wieder zulegen?
Graw: Man kann auch wieder anziehen, natürlich. Nur, weil man einmal nachgelassen hat, bedeutet das nicht, dass man nicht wieder zulegen kann. Das kann man steuern, auch während des Spiels. Wo ich vorher ein bisschen weniger Energie investiert habe, kann ich auch wieder mehr Energie investieren.
Wie ist dann zu erklären, dass erfahrene Nationalspieler den Schweden nichts mehr entgegen setzen konnten?
Graw: Möglich wäre, dass man konsterniert ist, dass man von den Ereignissen überwältigt, wie gelähmt ist. Wir nennen diese Möglichkeit ein "Freezing".
In der Tat wirkten die Spieler wie eingefroren, wie erstarrt. Sie fanden nicht mehr in die Zweikämpfe, verloren die Ordnung. Was kann ein Spieler tun, wenn er derart die Orientierung verliert?
Graw: Wenn man in so einem „Freezing“ ist, ist es wichtig, das zu erkennen: Dass wir gerade wie gelähmt sind. Man muss sich dessen bewusst werden, die Situation klar analysieren: Bin ich in der Ordnung, bin ich nah genug am Gegenspieler? Und bin ich das nicht, dann gehe ich wieder hin und dann merke ich, dass ich auch wieder mehr Effektivität in die Aktionen bringe, mehr Wirkung. Das sind erstmal Basics, auf die ich mich konzentriere, bevor ich wieder anfange komplexere Sachen zu machen.