Madrid. . Mesut Özil ist bei Bayerns Champions-League-Gegner Real Madrid für die genialen Momente zuständig. Aber oft kommt der in Gelsenkirchen geborene Nationalspieler bei den Königlichen zu selten zur Geltung.

Der Klassiker am Samstag war wieder kein Spiel für ihn. Im Stadion Camp Nou von Barcelona fiel der Mann im weißen Trikot mit der Nummer zehn nur in zwei Szenen auf: In der ersten Hälfte stieß er rechts bis in den Strafraum vor. Und in der 73. Minute schlug er aus dem Stand diese zentimetergenaue, perfekt aufgelegte 30-Meter-Steilvorlage, die Cristiano Ronaldo den 2:1-Siegtreffer für Real Madrid ermöglichte. „Que pase!“, raunten sie im Stadion – Was für ein Pass. „Que pase!“, riefen sie im Radio und Fernsehen. „Que pase!“, stand hernach in den Zeitungen.

Ansonsten, notierten Spaniens Medien, habe Özil versucht, Reals Abwehrnetz mitzuknüpfen, aber er sei müde, „asfixiado“ sogar laut Sportzeitung Marca, fix und fertig.

Zum Glück versemmelte Ronaldo den Ball nicht.

Mesut Özil, 23-jähriger Deutsch-Türke aus Gelsenkirchen, ist ein außergewöhnlich talentierter Fußballer. Aber bei Real Madrid ist er ein Fußballer für Momente. Im Trikot des FC Barcelona zum Beispiel würde sein Stern ständig strahlen.

Barca streichelt den Ball, Real-Trainer José Mourinho lässt lieber Muskeln spielen, wenn es hart auf hart kommt, wie in der Schlussphase in München und nun in Katalonien. Dann stellt sein Team zwei Abwehrriegel auf den Rasen. Und wenn die Kugel erobert ist, geht’s steil in die Spitze. Nur 27 Prozent Ballbesitz am Samstag.

Mesut Özil aber leidet ohne Ball.

Mourinho weiß um die Qualität des deutschen Nationalspielers, deshalb hat er ihn 2010 aus Bremen holen lassen, für etwa 16 Millionen Euro. „Weit unter dem reellen Marktwert“, wie er sagte. Stets lobt er seinen Genius: „Özil ist ein Kind von 23 Jahren, und er hat uns schon alle erobert, das Publikum, die Presse, mich,“ sagte der Portugiese einmal, „er kann Reals Spiel auf zehn Jahre hinaus bestimmen“.

Khedira begeistert Trainer Mourinho

Doch auch der Goldschmied muss malochen wie ein Bauarbeiter, das verlangt Mourinhos System. Da kann sich Özil eine Scheibe abschneiden beim Kollegen Sami Khedira, dessen kraftvoll-sachliche Art den Trainer begeistert, auch wenn dem Stuttgarter Genialität fehlt.

Real kommt auf Wunsch des Managers mit der Vehemenz einer Rockband daher, Özil aber, so stand es neulich schön in der Tageszeitung El Pais, „packt die Geige selbst auf einem Minenfeld aus“.

Abseits des Rasens schüchtern und einsilbig, kann Özil mit dem Ball am linken Fuß Spielzüge komponieren wie der junge Mozart Sinfonien.

Dass es auch schlechte Phasen gibt, liegt an dieser ermüdenden Taktik. Der dünne Kerl ist kein Herkules, ist gemacht für körperlose Kombinationen, nicht für Kollisionen, ähnelt Iniesta und Xavi, nicht Ronaldo und Khedira.

Seit Jahresbeginn läuft es wieder, und vier Runden vor Schluss ist der Deutsche mit 16 Torvorlagen der beste Passer der Primera Division, vor dem Teamkollegen di Maria (14) und Barcelonas Weltfußballer Messi (13). Torgefährlich muss der Deutsche noch werden. Nur ein Treffer in der Liga, in der Champions League war der in München sein zweiter.

WG mit dem Cousin

Dass Mourinho ihn bei den Bayern zwanzig Minuten vor Schluss vom Platz beorderte, kritisierten die Führungsspieler auf dem Heimflug. Die Millionäre vom königlichen Klub sind stolze Männer und halten eine Mauertaktik für würdelos. Özil ist ob seiner Klasse unumstritten.

Auch deshalb fühlt er sich wohl in Madrid, auch wenn ihm Deutschland und die Freunde fehlen. Der zurückhaltende Bursche bildet in einem schicken Haus mit Pool in einer Reichensiedlung eine WG mit seinem besten Kumpel und Mann für alles sowie einem Cousin. Sich in der Stadt zu bewegen ist schwieriger als in Deutschland, die Fans sind verrückter, die Paparazzi überall. Darunter soll auch Khedira leiden, der mit der Freundin weit vor den Toren Madrids ein geradezu abgeschiedenes Leben führt.

Auch Mesut und seine Kumpels bleiben viel zuhause und sind nicht als Nachtschwärmer bekannt in Spaniens Hauptstadt, die nie schläft. Der Junge aus dem Pott spricht mittlerweile fast so gut Spanisch wie Khedira, zwischenzeitlich kam der Privatlehrer jeden Tag zu ihm ins Haus.

Özil hat den Unterricht jetzt unterbrochen, um sich auf die entscheidenden Aufgaben zu konzentrieren. Am morgigen Mittwoch will Real im eigenen Bernabeu-Stadion dominieren und gegen die Bayern den 1:2-Rückstand wettmachen. Es könnte ein Spiel für ihn werden.