Dortmund. . Sechs Monate und zwei Testspiele vor der EM strauchelt die Defensive der Nationalmannschaft. Und während sich Mats Hummels beim BVB seiner Rolle gewiss sein kann, ringt der 22-jährige bei Bundestrainer Löw noch um Anerkennung.

Dass Andrej Schewtschenko auflief, ist für die meisten Menschen sicherlich nur eine Randnotiz dieses Abends in Kiew. Für Mats Hummels nicht, denn der 22-Jährige bewundert den Stürmer, dem er früher als kleiner Junge am Fernseher beim Toreschießen zuschaute.

Andrej Schewtschenko ist mit seinen 35 Jahren nämlich schon lange im Geschäft, seine Tore schoss er sehr lang sehr regelmäßig für feine Adressen des internationalen Fußballs, den AC Mailand und den FC Chelsea. Und der heutige Dortmunder Verteidiger schaute ihm im heimischen Wohnzimmer dabei zu. Am Freitagabend nun stand der deutsche Nationalspieler Hummels dem ukrainischen Nationalspieler Schewtschenko auf dem Platz gegenüber. So wahnsinnig gern wird sich Mats Hummels - oder jeder andere, der gern Teil einer funktionierenden Defensive ist - aber vermutlich nicht an diesen Abend erinnern.

Drei Gegentore waren Resultat des Dreierketten-Experiments

Bundestrainer Joachim Löw hatte nämlich Hummels sowie dessen Verteidiger-Kollegen Holger Badstuber und Jerome Boateng zum Bestandteil eines verwegenen, weil nie eingeübten Dreierketten-Experiments gemacht, an dessen Ende viele Missverständnisse und drei Gegentore standen. „Hummels, Badstuber und Boateng haben das in vielen Situationen sehr gut gemacht“, beeilte sich der Bundestrainer nach dem Spiel zu sagen. Fakt ist aber: Einen richtig guten Eindruck machte keiner der drei. Und am undankbarsten ist das für Hummels, der bundesweit noch um die Anerkennung ringt, die er in Dortmund längst genießt.

Gut sechs Monate und zwei Testspiele sind es noch bis zur EM in Polen und der Ukraine - und wie fast immer vor solchen Turnieren macht die Defensive und dessen personelle Zusammenstellung die meisten Sorgen. Neben den Kiew-Probanden buhlen Benedikt Höwedes und der von Löw durch alle Höhen und Tiefen begleitete und protegierte Per Mertesacker um die Gunst des Bundestrainers. Möglich also, dass in Wahrheit nur noch ein Plätzchen in der Innenverteidigung frei ist, nicht unwahrscheinlich, dass am Ende Mats Hummels der Leidtragende dieser Konstellation ist.

Löw hält große Stücke auf Badstuber

Jener Hummels, der momentan der beste deutsche Verteidiger ist, der schon im Frühjahr längst zur Defensiv-Elite der Bundesliga gehörte, als Löw auf dessen Dienste verzichtete und statt seiner den gleichaltrigen Holger Badstuber nominierte. Der Bayer steckte damals in einer veritablen Formkrise. Aber Löw sagte: „Insgesamt halte ich große Stücke auf Holger. Ich weiß, welches Niveau Holger hat und was er kann.“ Über Hummels gerät der Bundestrainer indes nicht derart ins Schwärmen. Ins Bild passt: Die Dreierkette von Kiew brauchte ein Zentrum, einen Chef, einen Anweisungsgeber. Löw entschied sich für den Linksfüßer Badstuber und beorderte mit Hummels einen Rechtsfüßer auf Links.

Es ist ein Indizienprozess, in dem sich Hummels’ Lage nicht zu verbessern scheint. Zumal er den Ballverlust vor dem 0:2 verursachte. Das wirkte auf viele mindestens unglücklich - obwohl ein Ballverlust im gegnerischen Strafraum durchaus erlaubt sein dürfte, ohne dass der Ball gleich im eigenen Tor einschlägt.

Die Nationalelf würde 2012 gern nach Kiew zurückkehren. Dort findet das Finale der EM statt. Mats Hummels wäre dann auch gern dabei. Er weiß, dass beides sehr schwer werden wird. Klar habe es Fehler gegeben, „aber besser jetzt als nächstes Jahr“, sagt er - und nimmt zumindest die Erinnerung an ein Spiel gegen Andrej Schewtschenko mit.

Ron-Robert Zieler:

Die Nummer 1 von Hannover 96 feierte sein Länderspiel-Premiere in Kiew. Der 50. Debütant unter Jogi Löw hatte einen bitteren Abend. Der 96er sah immer nur den Ball auf seinen Kasten zukommen und konnte sich in der ersten Hälfte kaum auszeichnen.

Erst im zweiten Abschnitt mit guten Parade (49., 89.). Sicherte dem DFB-Team das Unentschieden. Trotzdem: Ein trauriges Debüt für den Schlussmann, der einem eigentlich nur leid tun konnte. Note: 3

Jerome Boateng:

Musste sich in der Anfangsphase erst sortieren und fiel durch einige Fehler auf. Konnte sich im Laufe der Partie etwas stabilisieren,...

... sorgte allerdings mit seinen Ausflügen in die Offensive - wie auch seine Nebenleute Hummels und Badstuber - für die Räume der Gastgeber. Note: 4,5

Holger Badstuber:

Der zentrale Mann in der deutschen Dreierkette hatte viel zu tun gegen die konterstarken Gastgeber. Der Münchener konnte die Gegentore nicht verhindern und sah...

nicht immer glücklich aus. Gewann aber den Großteil seiner Kopfballduelle. Note: 4

Mats Hummels:

Der Dortmunder Innenverteidiger spielte in der Dreierkette mit Boateng und Badstuber. Ein ungewohntes System für den Abwehrspieler, der beim 0:1 nicht gut aussah. Beim 0:2 verlor Hummels den Ball im gegnerischen Strafraum.

Wurde in der zweiten Halbzeit ein bisschen besser, schaltete sich auch weiterhin in die Offensive ein. Bereitete so den Anschlusstreffer zum 2:3 vor. Klärte ordentlich im Eins-gegen-Eins (79.). Note: 4,5

Christian Träsch:

(bis 46.) Der Wolfsburger war im Mittelfeld eher mit offensiven Aufgabe betreut und ließ auf der Außenbahn Etliches vermissen. Defensiv auch mit großen Schwächen.

In dieser Form wird der ehemalige Stuttgarter um sein EM-Ticket bangen müssen. Träsch blieb zur Halbzeit in der Kabine. Note: 5,5

Toni Kroos:

Der Münchener war der beste Mann auf dem Platz und Dreh- und Angelpunkt im DFB-Team. Starker Pass in der 15. Minute auf Gomez, machte es dann in der 39. Minute einfach selbst und traf zum Anschluss (1:2).

Konnte auch in den Zweikämpfen überzeugen. Bis zum Schluss der wichtigeste Mann auf dem Feld im Deutschland-Trikot. Note: 2,5

Sami Khedira:

(bis 46.) Khedira war viel unterwegs in der ersten Halbzeit und hatte auch viel Ballbesitz. Mit seiner Dynamik versuchte der Madrilene immer wieder Räume zu erarbeiten, bleib aber meistens erfolglos.

Trotzdem war sein Spiel deutlich verbessert im Vergleich mit seinen letzten Auftritten in der Nationalmannschaft. Note: 3,5

Dennis Aogo:

Der Hamburger rückte für Dortmunds Marcel Schmelzer ins Team, den es in der Wade zwickte. Aogo spielte links vor der Dreierkette, rückte aber bei Ballbesitz der Gastgeber nach hinten. Konnte trotzdem die Gegentore nicht verhindern und sah beim 0:1 auch nicht gut aus.

Offensiv ging kaum was zusammen für den HSV-Spieler, der mit dem "alten Hasen" Shevchenko große Probleme hatte. Zu langsam, zu schwach im Zweikampf. So kein Kandidat für die EM. Note: 5,5

Mesut Özil:

(bis 66.) Egal, ob ihm zwei, drei oder vier Ukrainer gegenüber standen, der Mittelfeld-Star von Real Madrid suchte immer die Duelle, ging aber selten als Sieger daraus hervor. Das Zusammenspiel mit Götze funktionierte in der ersten Halbzeit überhaupt nicht...

... und wurde in der zweiten Hälfte nur bedingt besser. Von dem "Zauberduo" war nichts zu sehen. Zu viele Fehlpässe und insgesamt eine sehr mäßige Vorstellung des Real-Spielers. Note: 5

Mario Götze:

(bis 66.) Der Dortmunder Youngster durfte erstmals gemeinsam mit Mesut Özil in Deutschlands Offensive zaubern - aber "zaubern" traf es in Kiew nicht ansatzweise. Leistete sich viele Unsicherheiten...

... wie vor dem 0:1. Nur selten mit Tempodribblings oder ähnlichen Offensivaktionen. Nur eine nennenwerte Aktion, als er einen Elfer rausholen wollte. Note: 5

Mario Gomez:

Erstmals führte der Bayern-Torjäger die deutsche Nationalelf als Kapitän auf das Feld. In seinem 50. Länderspiel hätte er schon früh das 1:0 machen können (15.)...

... tauchte danach völlig ab und war gar nicht mehr zu sehen. Bekam aber auch keine Bälle und hatte etliche Abwehrspieler um sich versammelt. Seine Qualität konnte er nicht unter Beweis stellen. Note: 5

André Schürrle:

(ab 46.) Der Leverkusener machte fast in zweit Minuten nach seiner Einwechslung mehr Dampf, als die komplette DFB-Elf in 45. Minuten. Allerdings war er nicht so spritzig wie zuletzt im DFB-Dress. Note: 4

Simon Rolfes:

(ab 46.) In seinem 25. Länderspiel kam der Bayer-Kapitän - wie verabredet - für Khedira ins Spiel und brachte die DFB-Auswahl wieder ins Spiel mit seinem Treffer zum 2:3 (65.). Machte eine ordentliche Partie und hielt die Defensive etwas mehr zusammen - aber auch Rolfes konnte nicht alle Konter der Gastgeber verhindern. Note: 3

Lukas Podolski:

(ab 66.) Kam für den schwachen Özil in die Partie und übernahm am 11.11.11 passend zum Beginn der Session als Kölner die Kapitänsbinde. Ohne richtig große Wirkungskreise und ohne Note.

Thomas Müller:

(ab 66.) Machte den Unterschied in der zweiten Hälfte und den 3:3-Ausgleich. Allerdings war sein Schuss nicht unhaltbar. Ohne Note.

Cacau

(ab 83.) Der Stuttgarter Stürmer kam für Gomez und hätte sich kurz vor Schluss nur einmal richtig drehen müssen - dann wär vielleicht sogar der Sieg drin gewesen. Ohne Note.

Sven Bender:

(ab 87.) Der Leverkusener kam für drei Minuten ins Spiel. Ohne Note.

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