Kiew. . Andrej Schewtschenko hat vor einigen Tagen einen Satz gesagt, der die Ängste der ukrainischen Fußballfans ziemlich exakt auf den Punkt brachte. „Ich will mich und meine Mannschaft nicht blamieren“, sagte der ukrainische Nationalspieler im Hinblick auf die Europameisterschaft im kommenden Sommer.
Mit einer Partie gegen Deutschland wird am heutigen Freitag das grundsanierte Olimpijskyj eingeweiht, in diesem imposanten Stadion mitten in der Stadt wird im kommenden Sommer das EM-Finale stattfinden. Und Andrej Schewtschenko, der einst mit dem AC Mailand die Champions League gewann und Mitte vor einigen Jahren einer der besten Stürmer der Welt war, schultert die sportlichen Hoffnungen des EM-Gastgebers.
Doch der Stürmer ist mittlerweile 35 Jahre alt, er spielt jetzt bei Dynamo Kiew, und ein richtig gutes Spiel auf internationalem Niveau hat er seit Jahren nicht mehr zu Stande gebracht. Der Rücken schmerzt, die Auswärtsfahrten spart er sich meist. Dass er eine Blamage für denkbar hält, sagt viel aus über seine Form und sein Selbstvertrauen.
Schewtschenko steht im Mittelpunkt des Interesses
Und dennoch steht Schewtschenko im Mittelpunkt des Interesses. „Andrej ist nicht irgendein Fußballspieler, er ist auch ein Mensch von ungeheuerer und unbestreitbarer Autorität, unser Team braucht ihn“, sagt Trainer Oleg Blochin, dem andere Spieler von internationalem Format fehlen. Der Münchner Anatolij Timoschtschuk ist als Kapitän neben Andrej Voronin der einzige, der über einschlägige Erfahrungen jenseits der Landesgrenzen verfügt.
Wie dünn die Personaldecke ist, lässt sich auch daran ablesen, dass im Augenblick überlegt wird, ob Roman Neustädter noch schnell eingebürgert werden kann, der Mittelfeldspieler von Borussia Mönchengladbach wurde in Dnjepropetrowsk geboren.
Das Niveau der ukrainischen Liga ist durchwachsen
Weil die besten Vereine mit den Millionen der mächtigen Oligarchen betrieben werden, bleiben viele Talente in der Heimat, sie können auch hier gut verdienen. Das bremst die Entwicklung, denn das Niveau der Liga ist durchwachsen. „Es wäre besser, wenn die Spieler ihre Erfahrungen im Ausland sammeln würden“, sagt Voronin, „aber die Vereine lassen sie nicht weg.“ Das sei einer der Gründe, warum die Nationalmannschaft sich seit 2006, als sie bei der WM in Deutschland das Viertelfinale erreichte, nicht mehr für ein großes Turnier qualifizierte. Und gegen stärkere Gegner wie Frankreich oder Italien setzte es zuletzt meist deutliche Niederlagen.
Der nationale Fußballverband war im April derart besorgt, dass der Posten des Nationaltrainers ausgeschrieben wurde. Der war zwar besetzt, aber offenbar hatten die Funktionäre den Glauben an den amtierenden Coacht Juri Kaliwintsew verloren. Diverse Bewerbungen gingen ein, unter anderem die von Blochin, dem Superstar der 70er Jahre, der auch beim WM-Erfolg von 2006 auf der Bank saß. „Was da los war, weiß ich auch nicht“, sagt Voronin, „irgendwie war der Verband nicht zufrieden, die wollten einen großen Namen haben.“
Auf Nationaltrainer Blochin ruhen die Hoffnungen
Und den hat Blochin ohne Zweifel. Der 57-Jährige ist der Beckenbauer des ukrainischen Fußballs, er lief 433 Mal für Dynamo Kiew auf, schoss 211 Tore, gewann zwei Mal den Europapokal der Pokalsieger und wurde 1975 Europas Fußballer des Jahres. Zudem gilt er als Schüler von Walerij Lobanowskyj, dem vielleicht innovativsten Trainer der 70er und 80er Jahre. Der Spiegel bezeichnet den Mann als „Erfinder des Systemfußballs“. Blochin kenne Lobanowskis Arbeit „besser als jeder andere“, sagt Voronin, führt allerdings skeptisch hinzu: „Aber ich sage immer: Es gibt nur einen Lobanowski und so wie der das gemacht hat, das schafft kein anderer.“
Die Stärke des großen Vordenkers bestand nämlich darin, dass er ständig neue Strategien und Methoden entwickelte, diese zentrale Fähigkeit des Fußballingenieurs fehlt Blochin. Und deshalb fürchten die weniger optimistischen Leute in der Ukraine, dass sich im Sommer eine bemerkenswerte Entwicklung fortsetzen könnte.
Bei EM 2008 waren die Gastgeber schwach
Bei der EM 2008 in der Schweiz und in Österreich hat keine der beiden Gastgebernationen die Gruppenphase überstanden, in Südafrika 2010 war es nicht anders, und selbst bei der Copa America in diesem Sommer flog Argentinien als gastgebendes Land aus dem Turnier, bevor es richtig Fahrt aufgenommen hatte. Den Veranstaltungen tut so etwas nie gut, die Stimmung im Land ebbt ab, 2012 droht die nächste Blamage.