Kiew. . Die Ukraine lässt sich die Fußball-Europameisterschaft 2012 einiges kosten. Dem Volk gefällt das nicht. Doch 2012 soll das alles vergessen sein. Dass die EM im nächsten Jahr überhaupt dort stattfinden kann, ist ein Verdienst des Uefa-Chefs Michel Platini. Wenn auch nur indirekt.

Über dem Schreibtisch von Markiyan Lubkivskyi hängt ein großes Foto von Michel Platini. Der Präsident des europäischen Fußballverbandes Uefa hält darauf eine Teetasse in der Hand, über seine Stirn ziehen sich nachdenkliche Falten, Platini wirke „sehr beunruhigt“, sagt Lubkivskyi, der Turnierdirektor des ukrainischen Teils der Fußball-EM 2012, welche die frühere Sowjetrepublik mit Polen ausrichtet. Der strenge Blick des Franzosen begleitet jeden Arbeitstag hier oben im 21. Stock des Parus Business Center, dem höchsten Gebäude der Ukraine im Stadtzentrum von Kiew. Es sei ein „freundlicher Druck“, der von der Uefa ausgehe, erklärt Lubkivskyi kokett, „am Ende hat uns das entscheidend geholfen, das Turnier zu realisieren.“

Lubkivskyi ist erstaunlich offen. Noch vor zwei Jahren sei die Situation „beschissen“ gewesen, sagt er, die Vorbereitungen stockten, die Uefa drohte mit dem Entzug des Turniers. Nun glitzert direkt unterhalb des Glasturmes das erneuerte Olimpijskyj-Stadion, in dem an diesem Freitag (20.45 Uhr) die Ukraine gegen Deutschland spielt. Der Turnierdirektor ist stolz, es ist ein beeindruckendes Bauwerk. Keines dieser reinen Fußballstadien mit steilen Tribünen zwar (eine Laufbahn soll in der rund 60000 Zuschauer fassenden Arena Leichtathletik-Events ermöglichen), doch alles glänzt und strahlt.

Kosten von neun Milliarden Euro

Entsprechend teuer war die Arena, sagenhafte 585 Millionen Euro hat der Umbau gekostet, und diese Summe wirft ein Schlaglicht auf die unschönen Begleiterscheinungen der ukrainischen Vorbereitung. Vor dem Hintergrund, dass selbst die edle Bayern-Arena in München erheblich weniger kostete, hat der Boxer Vitali Klitschko, der als Oppositioneller im Stadtrat von Kiew sitzt, erklärt: „Ich verstehe nicht, wieso es viel billiger ist, ein Stadion in Deutschland zu bauen als dasselbe Stadion in der Ukraine.“ Lubkivskyi sagt, die Frage könne er „nicht kommentieren“. Kaum jemand mag es offen sagen, doch natürlich liegt der Verdacht nahe, dass Gelder in dunklen Kanälen verschwunden sind.

Insgesamt sind rund neun Milliarden Euro ukrainischer Staatsgelder in die EM-Vorbereitung geflossen, fast dreimal mehr als die öffentlichen Investitionen der Südafrikaner in ihre WM. Dabei stehen in der Ukraine nur vier EM-Arenen, von denen zwei auch noch von den Oligarchen Rinat Achmetow (Donezk) und Alexander Jaroslawski (Charkow) finanziert wurden. Gut, die Flughäfen in den Spielorten wurden modernisiert, doch die neuen Metrostationen sucht man vergeblich, und der geplante Ausbau des Straßennetzes ist nur in Fragmenten realisiert worden.

EM ist für Ukraine mehr als eine Sportveranstaltung

Und dennoch preist Funktionär Markiyan Lubkivskyi die Bedeutung dieses Turniers im ukrainischen Modernisierungs- und Demokratisierungsprozess. „Für mich ist das keine Sportveranstaltung, sondern ein geopolitisches Event“, sagt er, die Uefa bringe „mit diesem Turnier europäische Werte in die Ukraine“.

Die politische Realität in der Stadt Kiew erzählt jedoch eine andere Geschichte. Auf der Kreschatik, der Haupteinkaufsstraße, findet eine Dauerdemonstration statt, seit Julia Timoschenko, die Oppositionsführerin, vor Gericht stand. Als sie im Oktober wegen angeblichen Amtsmissbrauchs zu sieben Jahren Haft verurteilt wurde, erklärte Bundesaußenminister Guido Westerwelle, der Richterspruch könne „nicht ohne Folgen für die Beziehungen Deutschlands und der EU mit der Ukraine bleiben“. Und EU-Präsident José Manuel Barroso sagte einen Besuch des ukrainischen Staatschefs Viktor Janukowitsch in Brüssel ab. Politisch isoliert sich die Ukraine gerade von Europa. Kritiker sagen, die Verhältnisse näherten sich mehr und mehr dem Zustand eines totalitären Regimes. Die Kraft der orangen Revolution scheint sich in eine rückwärts gewandte Dynamik verwandelt zu haben.

Bei Stadion-Einweihung wird Staatspräsident ausgepfiffen

Dem Volk gefällt das nicht: Als das Olimpijskyj-Stadion vor zwei Wochen mit einem Auftritt von Shakira eingeweiht wurde, wurde Präsident Janukowitsch ausgepfiffen. Kritiker unken, für den Staatschef sei die EM ein Ärgernis. Weil Europa sähe, wie korrupt dieses Land ist. Im kommenden Sommer werden diese politischen Themen aber keine Rolle mehr spielen, glaubt Lubkivskyi: „Die Uefa wird sich nicht einmischen, die Situation wird gelöst werden, jetzt ist November, das Turnier ist im Juni.“ Seine Vision von der EM als Motor für die Ukraine auf dem erträumten Weg nach Europa – sie ist in Wahrheit aber nur schwer erfüllbar.