Hannover. Vor dem Spiel gegen seinen Ex-Klub FC Schalke 04 haben wir uns mit Hannovers Erfolgstrainer Mirko Slomka über seine Heimatstadt Hannover, den sportlichen Erfolg und die Schalker unterhalten.
Ein einziges Bild hängt im weiß getünchten Besprechungsraum von Hannover 96, und natürlich zeigt es das Stadion, bei Flutlicht und mit vollen Rängen. Trotzdem möchte Mirko Slomka mit dem Rücken zum Foto sitzen. Vielleicht, weil er weiß, wie ein gut gefülltes Stadion in Hannover aussieht. Vielleicht aber auch, weil er mit dem Vorurteil aufräumen möchte, seine Heimatstadt sei farblos.
Herr Slomka, ihr Manager Jörg Schmadtke hat kürzlich gesagt, Hannover habe keinen Anker. Er meinte: Köln hat den Dom, Düsseldorf die Kö, Hannover nichts. Regt Sie so etwas auf?
Mirko Slomka: Da muss ich unserem Manager ausnahmsweise heftig widersprechen. Hab ich ihm übrigens auch schon gesagt. Ich finde Hannover liebenswert: Wir haben hier den toll gelegenen Maschsee, wir haben die Herrenhäuser Gärten. Die sind wunderschön angelegt, das ist europaweit einsame Spitze. Und wir haben unsere Hotspots. Aber die muss man kennen.
Dann erzählen Sie doch mal von ein paar attraktiven Ecken Ihrer Heimatstadt...
Slomka: Wo soll ich da anfangen? Bei mir ist das sehr speziell, weil ich hier studiert habe. Deshalb kenne ich viele schöne Kneipen und Cafès in der Nordstadt und im Studentenviertel. Ich mag unsere Wochenmärkte in der Ost- und Südstadt, den Flohmarkt am Hohen Ufer. ich weiß zum Beispiel auch, wo man in kleinen Boutiquen gut einkaufen kann und wo die besten Italiener sind. Und die Kekse von Bahlsen kennt sicher die ganze Welt.
Das Plädoyer eines überzeugten Hannoveraners?
Slomka: Meine Familie hatte ihren Lebensmittelpunkt immer in Hannover, deshalb meine Nähe zu dieser Stadt. Und wissen Sie, das Schöne ist, dass die Hannoveraner mich als normalen Mitbewohner ansehen und mich nicht sonderlich hypen. Natürlich wird man angesprochen, aber das habe ich in Gelsenkirchen als Trainer von Schalke 04 ganz anders wahrgenommen. Hier gehöre ich zum Stadtbild. Gelsenkirchen lebt dagegen den Fußball schon extrem, deshalb kannte dort jeder den aktuellen Trainer.
Wie viel Privates können Sie sich überhaupt erlauben?
Slomka: Erlauben? Ich bin doch nicht mehr in dem Alter, in dem man Lokalitäten aufsucht und die Leute sich fragen: Was macht der denn da? Ich versuche, ein normales Leben beizubehalten, schon weil ich meinen Kindern ein Vorbild sein möchte. Ich gehe selber einkaufen, shoppen, abends essen. Alles ganz normal.
Und man lässt Sie in Ruhe?
Slomka: Ich finde, dass die Hannoveraner mit mir sehr respektvoll umgehen. Die Menschen merken, wenn wir als Familie unterwegs sind und mal unsere Ruhe haben möchten. Das ist prima, und dafür bin ich auch dankbar.
Sie haben früher gesagt, auf keinen Fall als Trainer in der Stadt arbeiten zu wollen, in der Ihre Familie lebt.
Slomka: Das habe ich. Und unabhängig vom aktuellen Erfolg oder Misserfolg ist es nicht nur angenehm. Im Moment spielen wir erfolgreich, da ist die Grundstimmung in der Stadt natürlich gut. Aber im Erfolg gibt es auch viele Neider. Was ich damals zu bedenken hatte, war vor allem die Situation meiner Kinder. Wie läuft so etwas ab, wenn der Vater in der Heimatstadt den Bundesligisten trainiert? Wie findet man eine Schule, die auf diese spezielle Situation achtet?
Haben Sie eine gefunden?
Slomka: Sogar zwei. Ich stehe mit der Schule meiner Tochter und der meines Sohnes in einem besonderen Kontakt. Man achtet dort auf die Reaktionen des Umfelds. Wenn mal etwas vorfällt, tauschen wir uns sehr schnell aus, damit keine größeren Schwierigkeiten entstehen.
Ihre Tochter ist 14, ihr Sohn wird jetzt sieben Jahre alt, die nehmen beide genau wahr, was der Vater macht, oder?
Slomka: Mein Sohn noch bewusster als meine Tochter. Er ist ja Fußballer. Natürlich haken Mitschüler nach Niederlagen schon mal nach. Aber ich habe das Gefühl, dass beide in ihren Schulen sehr gut behütet sind.
Gibt’s eigentlich viele 96-Fans in den Klassen Ihrer Kinder?
Slomka: Es gibt inzwischen schon ‘ne Menge, mehr als früher. Wenn ich meine Kinder abhole, bekomme ich das ja mit. Ich hatte früher das Gefühl, dass es in Hannover deutlich mehr Fans gab, die an anderen Vereinen hingen. Am HSV, an Werder Bremen, an Dortmund, natürlich an den Bayern. Man geht eben lieber zu einem Verein, der öfter gewinnt. Deshalb haben die Bayern ja so viele Fans.
Hannover war jahrelang eine Fahrstuhlmannschaft. Fehlt 96 eine Fan-Generation?
Slomka: Die Kleinen, die jetzt heranwachsen, die greifen wir gerade auf. Wir haben in dieser Saison bislang 30 000 Trikots verkauft, so viele wie in der kompletten Vorsaison. Mir fällt jedenfalls auf, dass man im Alltag viel öfter unsere roten Trikots in der Stadt sieht. Aber natürlich müssen wir diesen Trend dauerhaft bestätigen.
Sie sind mit Hannover im Vorjahr Vierter geworden – so gut war 96 noch nie in der Bundesliga. Was muss man denn tun, um diesen Verein dauerhaft oben zu etablieren?
Slomka: Wir sollten zunächst mal einen Charakter für 96 finden, der zu dieser Stadt passt. Da sind wir dabei. Nehmen wir Gelsenkirchen als Vergleich: klassische Arbeiterstadt, da kann ich schlecht als weißes Ballett auflaufen. Hier haben wir schauen müssen: Wie kann ich die Fans begeistern? Was kann unser Stil sein? Wir haben weniger Geld zur Verfügung als viele andere, unser Etat liegt im hinteren Mittelfeld der Liga. Trotzdem kann man mit Schnelligkeit und Leidenschaft begeistern. So arbeiten wir daran, uns dauerhaft in der Top 10 der Liga fest zu setzen.
Im Vorjahr sind neben Hannover auch Mainz und Freiburg überraschend in die Spitze vorgestoßen. Beide Vereine stecken wieder im Keller, Hannover nicht. Zufall?
Slomka: Ich könnte jetzt mit dem schönen Wort Kontinuität kommen. Oder mit Nachhaltigkeit. Aber das sind Schlagworte. Wir haben es geschafft, unseren Kader zusammen zu halten. Andere haben mit Leihspielern gearbeitet, aber das ist nicht unsere Marschroute. Vielleicht profitieren wir gerade davon. Dazu kommt dann, was ich schon sagte: Passt ein Spieler zu uns, der für hohen Ballbesitz oder spielerische Schönheit steht? Auf diesen Feldern wird es immer Mannschaften geben, die besser sein werden. Wir wollen eine Systematik und einen Fitness-Status entwickeln, die uns einen Vorteil verschaffen. Etwa aus einer stabilen Deckung sehr schnell nach vorne spielen zu können.
Slomka über das besondere Verhältnis zu Margit und Clemens Tönnies
Sie üben im Training, nach der Balleroberung in maximal zehn Sekunden im gegnerischen Strafraum zu stehen?
Slomka: Ja. Sogar mit Stoppuhr.
Trotzdem wären Sie nicht böse, wenn man sagt, kaum einer kennt mehr als vier oder fünf Spieler von Hannover?
Slomka: Auch das entwickelt sich, ich nenne nur mal Ya Konan, Schlaudraff, Zieler, Pinto oder jetzt Abdellaoue. Aber wir sind nicht darauf gepolt, Stars zu holen. Wir müssen Spieler finden, die wir entwickeln können, die Potenzial haben und die uns irgendwann auch mal ein paar Millionen als Transfereinnahme bringen können.
Klingt ein bisschen nach Werder Bremen.
Slomka: Stimmt.
Nun sagen Sie nur noch, Sie können sich vorstellen, so lange in Hannover zu arbeiten wie Thomas Schaaf in Bremen?
Slomka: Oh, das ist hier sicherlich schwieriger. Allein die mediale Landschaft ist deutlich komplizierter als in Bremen. Hier wird sehr stark polarisiert. Deshalb denke ich nicht, dass man hier zehn Jahre als Trainer arbeiten kann. Ich fänd’s aber super, die Vertrauensbasis zwischen Präsident Martin Kind, Manager Jörg Schmadtke und mir hat sich jedenfalls entwickelt.
Am Sonntag treten Sie mit 96 bei Ihrem Ex-Verein Schalke 04 an. 2007 haben Sie als junger Cheftrainer die sicher geglaubte Meisterschaft auf den letzten Metern verpasst.
Slomka: Das hat mich damals sehr beschäftigt. In Deutschland sucht man ja immer einen Schuldigen und ich muss sicherlich einen Teil der Schuld bei mir suchen. Für mich haben wir damals beim 2:2 in Wolfsburg die Meisterschaft verspielt. Später kamen Dinge dazu, die anderen Klubs so vielleicht nicht passiert wären. Aber wissen Sie was?
Was?
Slomka: Es gab nach unserer Niederlage am vorletzten Spieltag in Dortmund ja noch eine Woche. Meister konnten wir praktisch nicht mehr werden, aber wir mussten unbedingt noch Platz zwei gegen Werder Bremen verteidigen. Für den Klub ging es damals um die Qualifikation für die Champions League und 15 Millionen Euro. Wir haben dann gegen Bielefeld gewonnen, inmitten dieser großen Enttäuschung. Vielleicht war das damals meine wichtigste, vielleicht sogar meine beste Woche als Trainer.
Und am Sonntag?
Slomka: So wie ich früher nie ganz unbeteiligt nach Hannover kommen konnte, kann ich jetzt nicht so tun, als hätte ich auf Schalke keine Freunde. Margit und Clemens Tönnies und ich sind einander ans Herz gewachsen, wir haben einen sehr engen Kontakt. Sportlich wird’s natürlich schwer. Mein Eindruck: In der Schalker Mannschaft ist in den vergangenen Wochen ein neuer Geist entstanden.