Danzig. Der letzte Systemumsturz, den Bundestrainer Joachim Löw in der DFB-Elf vollzog, ging still vonstatten. Die Absicherung vor den mittleren Gliedern der defensiven Viererkette wird nur noch von einem Sechser geleistet.
Den letzten großen Systemumsturz hat Deutschland im Sommer 2009 erlebt. Er wurde von oben angeordnet, vom Bundestrainer persönlich. Joachim Löw hatte endlich den Spieler entdeckt, der über genug Talent in den Füßen verfügte, um mit ihnen Angriffe dirigieren zu können. Mesut Özil. Für diesen Ausnahmefußballer wurde der Umsturz vollzogen. Weg von der eher defensiv orientierten 4-4-2-Formation, hin zur offensiveren 4-2-3-1-Ausrichtung mit Özil als zentraler Kraft hinter der einzig verbliebenen Sturmspitze. Und es sah gut aus, sehr gut. Auf einmal wurde Deutschland gelobt. Nicht für den Sieg pur, sondern für die Gewandtheit der Kombinationen, für die Schönheit der Attacke.
Nach dem mühsam erwirtschafteten 2:2 in der Testpartie gegen die Polen wurden die offensiven Artisten auch nicht geteert und gefedert aus der Danziger Arena gejagt. Vor allem Stürmer Miroslav Klose war zwar dadurch auffällig geworden, dass es ihm beim finalen Stoß an Ernstfall-Konzentration mangelte, doch nach vorne war insgesamt dennoch viel gegangen. Innerhalb der ersten neun Minuten hätte die deutsche Auswahl bereits davonziehen können. Klose, Simon Rolfes, Philipp Lahm boten sich Gelegenheiten, die Partie beim EM-Gastgeber ohne sichtbaren Übergang mit dem 6:2-Hurra gegen Österreich zu verbinden, das die frühzeitige Quartierbuchung für Sommer 2012 ermöglichte.
Aus Chancen wurden aber keine Tore. Und als die Polen plötzlich mitmischten, entwickelte sich ein Schlagabtausch, der Schwächen in der Deckung des hohen Favoriten offenbarte. Deutschland, das hat Löw festgestellt, sei ja jetzt immer Favorit. Dabei spiele es gar keine Rolle, dass sieben Akteure aus der ersten Österreich-Reihe von Beginn an gar nicht gespielt haben. Auf kuriose Weise zeigte sich der Bundestrainer sogar zufrieden mit dem Geschehen. Führung der Polen durch einen Treffer des Dortmunders Robert Lewandowski. Ausgleich durch Elfmeter von Toni Kroos. Und in der Schlussphase rasende Hektik vor tobendem Publikum und zwei weitere Treffer: Jakub Blaszczykowski, der zweite Dortmunder in der polnischen Phalanx, per Elfmeter zum 2:1. Cacau sichert in letzter Sekunde das Remis.
„Absolut dankbar“ sei er „für solche Spiele“, erklärte Löw. „Dankbar“ sei er, „was das Ergebnis betrifft“. „Dankbar“ ebenfalls dafür, „dass wir nicht alle Spiele bestreiten wie gegen Österreich, sondern mal auf Schwierigkeiten stoßen“. Und „dankbar“ auch, „weil man merkt, dass Deutschland gejagt wird“. Mit etwas weniger Dank wird der Bundestrainer darauf reagieren, dass Kritiker wie nebenbei eine Hatz auf seine Defensivspieler eröffnet haben. Auf Spieler, die Einzeltäter gewesen sein sollen. Rechtsverteidiger Christian Träsch konnte seine Rolle nicht ausfüllen. In der Innenverteidigung agierten Jerome Boateng und Per Mertesacker fehlerhaft. Das räumte Löw ein. Er sah allerdings darüber hinaus, „wie die Bälle verloren wurden“ im Mittelfeld. Was Abdichten häufiger nötig und damit gefährlicher macht.
Der letzte Systemumsturz, den Deutschland erlebt hat, ging sehr still vonstatten. Es handelt sich bei ihm auch eher um eine Systemmodifikation. Seit Sami Khedira verletzt abwesend ist (seit Juni ohne Einsatz für die Nationalelf), hat der Bundestrainer sein Personal per Formation auf noch mehr Angriff getrimmt. Hinter der Sturmspitze halten sich nun vier Zulieferer und Hineinstoßer und Vollender auf. Die Absicherung vor den mittleren Gliedern der defensiven Viererkette wird nur noch von einem Sechser geleistet. Es ist also trotz aller Verschiebungen während einer Begegnung im 4-1-4-1-System angelegt, dass der verteidigende Block an Menschenmasse verliert.
Joachim Löw wurde deshalb gefragt, ob er zu viel Angriff gewagt habe in Danzig. Er antwortete ein wenig distanziert: „Interessiert mich jetzt eigentlich nicht.“ Und den Testcharakter von Testspielen ließ er auch nicht unerwähnt.